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# taz.de -- Bachmannpreis in Klagenfurt: Mehr Vollkornbrot täte gut
> Dieses Jahr trifft sich der Literaturbetrieb wieder leibhaftig beim
> Bachmannpreis in Klagenfurt. Zu Beginn hätte das Wettlesen nahrhafter
> sein können.
Bild: „Weißbrotliteratur ohne besonderen Nährwert“ bestimme laut Anna Baa…
Bevor der diesjährige Bachmannwettbewerb beginnen und der am Wörthersee
versammelte Literaturbetrieb nach zwei Jahren digitaler Fastenzeit endlich
wieder zu üppig belegten Weißbrotschnittchen und alkoholischen Getränken
übergehen konnte, waren wie üblich nicht nur Worte von lokalen und
regionalen Würdenträgern zu hören, die meist ohne großen Inhalt, also
geistigen Nährwert sind, sondern auch die „Klagenfurter Rede zur
Literatur“.
Die Schriftstellerin Anna Baar übernahm heuer die heikle Aufgabe zum gewiss
nicht nur geistig ausgehungerten Publikum zu sprechen, und sie entschied
sich, zunächst einmal die böse Vergangenheit Klagenfurts zu erwähnen, die
in der schönen Kärtner Landeshauptstadt immer noch in Straßennamen von
Nazis und anderen Gruselgestalten präsent ist. Doch mit solchen Angriffen
vor den versammelten Ehrengästen wird der intellektuelle Nutri-Score nur
mäßig erhöht, geht es doch eigentlich darum, etwas zur Literatur zu sagen,
was dann an den folgenden Tagen des Bewerbs gerne zitiert wird.
Die Autorin, die mit ihren Romanen („Die Farbe des Granatapfels“) zuletzt
viel Zuspruch erfahren hat, beschwerte sich dann auch über eine
„Weißbrotliteratur ohne besonderen Nährwert“, die den Markt bestimme.
Zwischen „flotten Plots, derber Provokation und Betroffenheitsmilde“ gäbe
es zu wenig sprachliche Ballaststoffe, die „gegen den tödlichen Forst
neuliberaler Coolness“ tauge.
Doch weder Baars Pathos noch ihre Lust an Lebensmittelmetaphorik
veranlasste die Jury, fortan den Vollkorngehalt der Wettbewerbsbeiträge zu
bestimmen. Dabei wäre das dringend nötig gewesen. Gäbe es eine
entsprechende Baar-Skala, hätten nicht wenige Texte, die in Klagenfurt
dieses Jahr vorgetragen wurden, als Graubrotbelletristik abgetan werden
müssen.
Eva Sichelschmidt etwa erzählte in ihrem wohl autofiktionalen Beitrag nicht
nur vom Sterben ihrer Großmutter, sondern auch von einem Leben, in dem sich
vieles ums zu schnelle Schnabulieren drehte: „Frühstücken, einkaufen,
kochen in Windeseile. Den Tisch decken und dann wieder essen – rasch, wie
Mähdrescher. Abräumen abwaschen, darauf der Gang zum Konditor:
[1][Zitronenrolle, Herrentorte oder Frankfurter Kranz?“]
## Eine Buttercreme-Story?
Leider weigerte sich die Jury, den Bezug zu Baars Rede herzustellen, um
dann ausführlich zu besprechen, ob hier nun Weißbrotliteratur vorliege oder
ob doch eine neue Kategorie eingeführt werden müsse, vielleicht eine leicht
fettreduzierte Buttercreme-Story?
Einen anderen, durchaus als anti-kulinarisch zu bezeichnenden Weg ging der
Autor Andreas Moster, der vom Verzicht schrieb, also „nicht zu trinken,
wenn andere tranken, früher zu gehen, während die anderen blieben.“ Es ging
um einen Vater, der als Leistungssportler lieber trainieren möchte, statt
sich ums Kind zu kümmern, weil die Frau plötzlich verschwunden ist.
In diesem Fall helfen nicht mal Vitaminbomben oder Proteinshakes, und zwar
auch im übertragenen Sinn: „Weißbrotliteratur!“ hätte der Grazer Germani…
Klaus Kastberger rufen müssen, statt sich nur über den Namen des Balgs zu
beschweren: „Ich hasse Figuren, die Jelly heißen!“
## Fader Quallensalat
Warum eigentlich? Hat er irgendwo schon mal schlechten Jelly-Fish,
[2][mäßig gewürzten Quallensalat] gegessen? Fragen über Fragen, die in
Klagenfurt nicht beantwortet wurden. Stattdessen lud wie üblich der
Bürgermeister zum Empfang, um dann bei Weißbrotsemmel und anderen
Köstlichkeiten der österreichischen Buffetkultur die Bachmanntage zu
feiern, die bekanntlich immer mal wieder vor dem Aus standen.
Wenn aber nicht bald eine valide Vollkorn-Bewertung eingeführt wird, ist zu
befürchten, dass dem Wettlesen nicht einmal eine kalorienreduzierte Zukunft
beschieden ist.
24 Jun 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Carsten Otte
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