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# taz.de -- Die Wahrheit: Grausam und gebissen
> Welchen historischen Beinamen könnte der sich mit Peter dem Großen
> vergleichende Neo-Zar Putin dereinst bekommen?
Bild: Beklatscht sich am liebsten selbst: Kremlzar Wladimir Putin
Es war ein versteckter Hinweis an den amerikanischen Präsidenten, als
Wladimir Wladimirowitsch Putin kürzlich einen seiner beliebten historischen
Exkurse gab und auf die von Zar Peter I. im Großen Nordischen Krieg
eroberte Stadt Narva verwies. Der eitle Putin verglich sich zwar mit dem
großen Zaren aus dem 18. Jahrhundert, spielte insgeheim aber auch auf eine
Frage an, die in den USA derzeit kursiert und von dem konservativen
Politiker Newt Gingrich aufgebracht worden ist: „Wie viele amerikanische
Soldaten wären bereit, für Narva zu sterben?“
Eine Frage, die sich an dieser Stelle sicher nicht beantworten lässt, was
einem angesichts des regierenden Kremlmonsters und seiner überbordenden
Eitelkeit allerdings schon einfällt, sind die Gräueltaten seiner vielen
Vorgänger, die ebenfalls vom Kreml aus das Böse dekretierten. Doch nicht
etwa Peter der Große, sondern eher Iwan der Schreckliche drängt sich als
historisches Vorbild des Putin’schen Wladimirs auf. Dumm also, dass das
Schreckliche als Beiname schon vergeben ist. Wie leider auch bereits so
manches Attribut der Widerwärtigkeit.
Erinnert sei hier nur an Albrecht den Entarteten, Landgraf von
Thüringen-Meißen, oder Arnulf den Bösen, Herzog von Bayern, an Swajopolk
den Verfluchten, einen russischen Großfürsten, und Peter den Grausamen,
König von Portugal. Sie alle fallen einem dazu ein, ganz zu schweigen von
Chloderich dem Parasiten, König der Rheinfranken, oder Wilhelm dem Bastard,
Herzog der Normandie.
Ganz oben auf der Liste, und von dort wahrscheinlich kaum zu verdrängen,
steht Vlad Dracul der Pfähler, der rumänische Fürst, der die Häupter der
Besiegten gern am Stadtrand der gebrandschatzten Städte auf allem
drapierte, was oben spitz war. Glaubt man den Kremlastrologen, geht der
gegenwärtige Kremlherrscher lieber auf Abstand zu allem und jedem und lässt
wöchentlich die Taiga desinfizieren, ehe er ins Land schreitet, um an
frisch Deportierte russische Pässe auszustellen. Er sei dabei so auf
Hygiene bedacht, dass er bei Staatsbesuchen angeblich in einem
Spezialkoffer seine anfallenden Exkremente zum Düngen in die russische
Heimat mit nach Hause bringt, heißt es.
## Schwere Erkrankung
Die vielen Hinweise auf eine schwere Erkrankung Putins verweisen freilich
auf viele historische Vorbilder der Gebrechlichkeit, sei es Friedrich der
Gebissene, Landgraf von Thüringen, oder Fruela der Aussätzige, König von
Leon, oder Heinrich der Impotente, König von Kastilien, oder Bermudo der
Gichtige, König von Leon, oder Heinrich der Kränkliche, ebenfalls aus dem
Grenzgebiet zwischen Spanien und Frankreich, das offenbar eine erhebliche
Zahl Beeinträchtigter in Fürstenstellungen hervorgebracht hat. Erinnert sei
da auch an Garcia den Zitternden, König von Navarra, oder Johanna die
Wahnsinnige, Königin von Spanien, oder Heinrich den Ohnmächtigen, König von
Kastilien.
Manch einer der Mächtigen hatte allerdings eine schwere Kindheit – wie zum
Beispiel Mustafa I., der Prinz im Käfig, der hin und wieder mal Sultan der
Osmanen war und zwischen seinen beiden Herrschaftszeiten insgesamt 16 Jahre
in Käfighaltung hinter der Goldenen Pforte verbrachte. Die geistige
Umnachtung, die der Bursche dabei davongetragen haben dürfte, erinnert doch
sehr an Wladimirs früheren Aufenthalt im Dresdner Zwinger. Möglicherweise
dienen die russischen Überfälle auch dem Ziel, dorthin zurückzukehren.
## Nichtimperiale Gestalten
Historiker vergessen jedoch keinesfalls, auch den nichtimperialen Gestalten
der Geschichte Namen beizugeben. Erwähnt seien Harald Hasenfuß, der König
von Dänemark, oder Ludwig der Nichtstuer, König von Frankreich, oder Otto
der Faule, Herzog von Bayern, oder Friedrich mit der leeren Tasche, Herzog
von Österreich.
Vielleicht ist auch ein Blick in die oft verkümmerten Gehwerkzeuge früherer
Potentaten zielführend, um eine gangbare Bezeichnung für den marodierenden
Wladimir zu finden. Denn neben Karl dem Hinkenden, König von Neapel, oder
Otto mit dem Pferdefuß, Graf von Geldern, oder Wladislaw dem Dünnbeinigen,
Fürst von Großpolen, oder Friedrich mit dem silbernen Bein, Landgraf von
Hessen-Homburg, findet sich der bei seinen Touren durch den Kreml leicht
zur Seite ausschlagende Kremlfürst doch sehr in eherner Gesellschaft.
Wladimir der Hirnamputierte oder Wladimir der Teufel in dir wären mögliche
Beinamen für die künftigen Geschichtsbücher. Die allerdings erst dann mit
dem Blut, das an Wladimir Putins Händen klebt, geschrieben werden können,
wenn man ihn darin ertränkt.
15 Jun 2022
## AUTOREN
Reinhard Umbach
## TAGS
Wladimir Putin
Weltgeschichte
Namen
Friedrich Merz
Geschichte
Christian Lindner
Bahn
Kolumne Die Wahrheit
Ostern
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