Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Theater in Politik und Wirtschaft: Kasperles Spielpause
> Die Kulturkasper braucht keiner mehr, denn Kasper gibt es schon genug.
> Heute heißt das Kasperletheater Ampelkoalition, findet unser Autor.
Bild: Ein freier, selbstbestimmter, so was von diverser Kasperl, das wäre doch…
Tri tra trullala. Tri tra trullala. Der Kasperle ist wieder da. Und seid
ihr auch alle … Ah, naa, heut is ja wieder keine Vorstellung. Die Leut
sehen derzeit halt nicht gern einen Kasperl. Es wird so viel
herumgekaspert, sagen die, da braucht man nicht noch einen Extrakasperl.
Und außerdem sind mir meine Mitspieler*innen abhandengekommen. Der
Teufel macht jetzt in Aktien, weil er auf den größten Haufen scheißen mag,
die Gretl ist Influencerin geworden, die Großmutter hat eine Pflegestufe,
dass der Sau graust, und der Seppl ist in die Tourismusbranche gangen.
Folklore, verstehst. Der Räuber und der Gendarm arbeiten jetzt ’zamm. Wenn
Räuber und Gendarm ’zammenarbeiten, nennt man das Marktwirtschaft. Und
jetzt macht auch noch das grüne Krokodil mit. Wenn Räuber, Gendarm und
Krokodil ’zammarbeiten, heißt man es Ampelkoalition. Und das ist eine
Garantie, dass sich nix ändert bei dera Marktwirtschaft. Also, ein paar
Sachen ändern sich schon. Eben zum Beispiel, dass es [1][mit dem
Kasperltheater] nicht mehr recht geht.
Alsdann, mach ich halt genau das, was Sie auch grad machen. Ich setz mich
hin und les eine Zeitung. Die hab ich mir grad extra gestohlen, weil so
eine Zeitung, die ist fast genauso altmodisch wie ich selber bin. Also, was
ham ma da? Prinzessinnen, Mörder, Krieg, Inflantion … Sie, ich sag Ihnen
was. [2][Jetzt ist die Kasperlfamilie schon, warten S’, mehr wie
zweihundert Jahre alt]. Und immer hat es genau dasselbe gegeben.
Prinzessinnen, Mörder, Krieg und Inflantion. Eine Inflation, die
interessiert mich freilich weniger. Weil, ich hab ja sowieso kein Geld
nicht. Wenn ich jetzt nix hab, heißt dann eine Inflantion vielleicht, dass
ich noch weniger als nix hab? Schulden hab ich auch nicht, weil, mir leiht
ja eh keiner mehr was. Es ist schon ein rechtes Elend mit uns Kasperln.
Ich erinnere nur an den Kriegsertüchtigungskasperl, so im Jahr 1917, oder
an einen Antisemitismuskasperl in den 40ern. Gut, da war ich noch gar nicht
da. Aber schenieren tut mich das trotzdem noch. Ich bin ja in der
Nachkriegszeit vor allem als Verkehrskasper beschäftigt gewesen. Ich sag
Ihnen, als staatlich anerkannter Anarchist war das schon eine Viecherei.
Aber gut, hab ich gedacht, wenn es das eine oder andere Kind vor den
Automobilen retten tät, dann lass ich mich sogar von einem Polizisten
führen. Und dann war ich, warten S’, dass ich mich nicht vertu,
Raiffeisen-Sparkassen-Kasper, da hab ich den Kindern sagen müssen, dass sie
keine Micky-Maus-Hefterln kaufen, sondern das Taschengeld zur Bank bringen
sollen. Da scham i mich heut noch dafür. So ein Micky-Maus-Hefterl ist doch
heut viel mehr wert als das Geld auf der Bank. Und dann hab ich noch eine
Manufactum-Karriere gemacht. Weil, ich bin ja total natürlich und
handwerklich. Aber was nutzt ein Kasperl, wenn ihn niemand spielt? Da kann
er nur herumsitzen und Zeitung lesen.
Ich mein, es gäb doch genug zu tun für einen Kasperl wie mich. Ich hab mich
ja beworben als Impfkasperl. Aber nix war’s. Dafür sind da die Querdenker
gekommen. Was ich immer sag: Wenn es keine gescheiten Kasperl nicht mehr
gibt, dann glaubt jeder Depp, er kann herumkaspern, wie’s ihm grad taugt.
Jetzt wär vielleicht ein Sondervermögenkasperl recht. Mit einem rechten
Kasper können Sie alles verkaufen, glauben S’ mir. Ich könnt auch
Ministerkasperl. Einen, der von nix was versteht, der sich überall ein
Fassel Bier und ein paar Butterbretzen abzweigt und der nix anders kann wie
grinsen. [3][Des Grinsen ist das Schlimmste am Kasperledasein]. Ich tät
meine Zipfelmützen hergeben, dass ich nicht mehr so blöd grinsen müsst.
Aber dann wär ich halt auch kein Kasperl mehr. Jedenfalls haben sie mich
nicht als einen Ministerkasperl genommen, weil, haben sie gesagt, von
solchenen hätten s’ schon selber genug.
Ich hätt mir zum Beispiel das Verkehrskasperl-Ministerium gut vorstellen
können, da tät ich eine Ampel machen: Bei Rot dürfen alle Gendarmen gehen,
bei Gelb dürfen alle Räuber gehen, und bei Grün dürfen alle Krokodile
gehen. Oder fahren. Weil ich ja Verkehrsminister wär. Und wenn gar nichts
mehr geht, dürfen alle Kasperl zum Kassieren kommen. Und dann machen wir
uns unsere eigene Inflation. Und dann täten wir uns ein Bier kaufen, und
noch eins. Und dann hätten mir ein solches Schädelweh, dass uns gar nix
anderes übrig bleiben tät, als dass wir den Verkehr überhaupts erst einmal
einstellen täten. Und dann wäre eine Ruhe, bloß dass dann keiner mehr einen
Verkehrskasperl-Minister brauchen tät. Aber es braucht ihn ja eh keiner.
Also. Ich hab’ kein Geld, und einen Job krieg ich auch nicht. Wo ich doch
eindeutig systemrelevant und Kunst und alles bin. Da hab ich der Frau
Kulturkrokodil geschrieben, wegen einer Subvention wegen der Inflation und
Corona und alles, und weil keiner mehr ins Kasperltheater geht. Glauben Sie
vielleicht, die Frau Kulturkrokodil hätt sich auch nur ein Tränderl
verdruckt wegen uns arme Kasperln? Nix! Die Frau Kulturkrokodil muss so
viel Kultur eröffnen, dass man gar nicht merkt, wie viel Kultur grad zum
Teufel geht.
Mei, aber so eine Zeitung ist fei auch nicht mehr das, was sie einmal war.
Einen Großvater von mir, den haben Sie noch verbrannt, weil er in einem
Zeitungsbild was gesagt hat, was er nicht hätt sagen dürfen. Dafür sind wir
ja einmal erfunden worden, dass wir sagen, was man nicht sagen darf. Aber
ehrlich: Die Geschichte vom Kasperl, das ist die Geschichte von seinem
Missbrauch. Weil, es ist ja so, dass normalerweise hinter jedem Kasperl ein
Mensch steckt. Ich weiß schon, was Sie jetzt sagen wollen, das ist ein
alter Witz von mir. Dass hinter jedem Menschen auch ein Kasperl steckt. Da
kann ich nur ganz hölzern lachen. Hahaha. Aber im Ernst. Ich glaub, dass
wir Kasperl nur noch eine Überlebenschance haben, wenn wir aufhören, uns
von den Menschen führen zu lassen. Ein freier, selbstbestimmter, so was von
diverser Kasperl, das wäre doch was! Wenn ich bloß mit dem saublöden
Grinsen aufhören könnt.
15 Jun 2022
## LINKS
[1] /Theatervorstellungen-in-Berlin/!5830050
[2] /Marx-und-der-Krieg/!5856391
[3] /Der-Kanzler-im-ZDF-Interview/!5851886
## AUTOREN
Georg Seeßlen
## TAGS
Marktwirtschaft
Olaf Scholz
Ampel-Koalition
Schlagloch
Ampel-Koalition
Marxismus
Bundestagsabgeordnete
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ökosozialer Umbau: Ampel hat Angst vor der Wende
Die Regierungskoalition ist dabei, eine historische Chance zum ökosozialen
Umbau zu verpassen. Die Gesellschaft würde viele harte Maßnahmen mittragen.
Marx und der Krieg: Kämpfen in Ketten
Das Prinzip des Handels beförderte weltweit Freiheit, Gleichheit und
Frieden. Wäre da nicht die kapitalistische Arbeitslogik.
Neuer Anlauf für Wahlrechtsreform: Ampel will kleineren Bundestag
Nicht mehr als 598 Sitze: Politiker von SPD, Grünen und FDP haben einen
Vorschlag für eine Wahlrechtsreform vorgelegt. Die Union ist skeptisch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.