# taz.de -- HSV vor der Relegation gegen Hertha: Mehr Sicherheit trotz Risiko | |
> Dank offensivem Fußball hat es der Hamburger SV in die | |
> Bundesliga-Relegation geschafft. Doch nach enttäuschenden Jahren ist das | |
> Gebilde noch wackelig. | |
Bild: Eine neue Idenität? Der HSV überzeugte zuletzt mit mutigen Auftritten | |
HAMBURG taz | Nach Monaten der verbalen Zurückhaltung, des Versteckens | |
hinter den branchenüblichen Floskeln, formuliert Tim Walter nun plötzlich | |
mutig bis verwegen, und man muss zugeben, dass diese Facette etwas | |
Mitreißendes, Frisches hat. Er hat seine Art, Fußball spielen zu lassen, | |
jetzt rhetorisch unterfüttert – weil die Resultate es hergeben: „Der HSV | |
hat eine Identität kreiert, die in den vergangenen Wochen wohlwollend | |
aufgenommen worden ist. Der HSV steht wieder für etwas. Und das ist | |
wunderschön.“ | |
In den Tagen vor dem Relegationshinspiel bei Hertha BSC hat Walter einige | |
Male vom „neuen HSV“ gesprochen. Mutig, voller Elan, anpassungsfähig und | |
wehrhaft sei seine Mannschaft. Natürlich nimmt der 46 Jahre alte | |
Fußballlehrer den Mund ganz schön voll. Es wäre sicher passender, vom neuen | |
HSV zu sprechen, wenn es nicht um den möglichen Aufstieg nach vier Jahren | |
Zweitklassigkeit ginge, sondern um eine Bilanz der ersten Jahre des HSV in | |
der Bundesliga nach der Versetzung, und zwar mit den Mitteln, die der neuen | |
Vereinsphilosophie entsprechen: [1][Ausbildung eigener Spieler,] weil viel | |
weniger Geld vorhanden ist. [2][Das ist in Ansätzen zu erkennen.] Nur ist | |
das ganze Gebilde noch so anfällig, dass alle Skeptiker genug Anlass haben, | |
Walter für einen Schwätzer zu halten, der seinen Klub starkredet, bevor | |
wirklich etwas erreicht ist. | |
Dennoch ist nachvollziehbar, warum Walter gerade so auf die Pauke haut. Zum | |
einen will er das Momentum der vergangenen Wochen nutzen und verlängern; | |
schließlich hat der HSV seit dem 29. Spieltag sieben Punkte aufgeholt, | |
fünfmal gewonnen und ist auf Rang drei der Abschlusstabelle geklettert, | |
während die Hertha selbst [3][mit „Retter“ Felix Magath] nur Sechzehnter | |
geworden ist. | |
„Wir sind gut drauf und freuen uns einfach auf diese Spiele“, sagt Walter. | |
Zum anderen hat er wirklich etwas erreicht. Er war im Sommer 2021 gekommen, | |
um der Mannschaft mehr Widerstandskraft zu verleihen, neudeutsch: | |
Resilienz. Ob unter Hannes Wolf, mit Dieter Hecking oder bei Daniel | |
Thioune: Immer war der HSV im letzten Drittel der Saison eingeknickt, hatte | |
sich durch unfassbare Stolpereien, Nervenschwächen, Abwehrböcke oder allem | |
zusammen um die Früchte der Arbeit gebracht – und war in allen Spielzeiten | |
der zweiten Liga Vierter geworden. | |
## Hoch riskant und unterhaltsam | |
Das ganze kulminierte am letzten Spieltag der Saison 2019/2020, als das | |
Heimspiel gegen den SV Sandhausen 1:5 endete und der HSV die Relegation | |
verschenkte. Der Klub galt als hoffnungsloser Fall. Zuletzt war aus Häme | |
manchmal Mitleid geworden, und kein Trainer der vergangenen Jahre kam mit | |
weniger Vorschlusslorbeeren als Walter. Seine Besetzung wirkte eher wie: | |
Einer muss es ja machen. Mitgebracht hatte Tim Walter einen Fußball, den er | |
schon bei Bayerns Amateuren, Holstein Kiel und dem VfB Stuttgart hat | |
spielen lassen: Walterball. Hoch riskant, spektakulär, unterhaltsam. | |
Ballbesitz und Gegenpressing sind die hervorstechenden Eigenschaften. Lange | |
Bälle und schlappe Passivität verpönt. | |
Im Rückblick muss man sagen, dass Walter seinem Stil weitgehend treu | |
geblieben ist. Dabei hat er viel Kritik einstecken müssen, weil die | |
Absicherung in der Hinrunde oft fehlte, es häufig Unentschieden hagelte, | |
obwohl der HSV gerade zu Hause oft überlegen agierte. Dass die Hamburger am | |
Ende nun die wenigsten Gegentore der ersten und zweiten Bundesliga haben, | |
somit die beste Defensive stellen – es gibt Walter recht. Und auch der | |
Fakt, in Vor- und Rückrunde fast gleichermaßen gepunktet zu haben, verheißt | |
etwas, das es in Hamburg nie gab: Stetigkeit. | |
Trotzdem sind Walter und Sportvorstand Jonas Boldt in die Kritik geraten. | |
Als es im Anschluss an das 0:1 in Kiel am 29. Spieltag nach der nächsten | |
Enttäuschung im Volkspark aussah, machte die Unzufriedenheit von Vorstand | |
Thomas Wüstefeld und HSV-Präsident Marcell Jansen die Runde. Offenbar ging | |
es da aber mehr um den allgemeinen Zustand mit zu vielen hoch bezahlten | |
Direktorenposten als um die sportliche Situation. Klar ist allerdings, dass | |
sich bei ausbleibendem Erfolg niemand sicher fühlen kann beim HSV. | |
Vergangenes kann Walter gut wegschieben. „Unser Mut ist unser Ass im | |
Ärmel“, sagt der Trainer, der immer wirkt, als wolle er gar nicht gemocht | |
werden. Dass es nun gegen die HSV-Ikone Magath geht, hat Walter verbal | |
ziemlich geschickt verpackt und ist dabei sein Lieblingswort auch | |
losgeworden: „Wir kennen uns gut, sind uns aber auf dem Platz noch nicht | |
begegnet. Er hat mir in Sachen Erfahrung viel voraus. Aber wir sind mutig | |
und sprühen vor Elan. Außerdem spielt nicht Walter gegen Magath, sondern | |
der HSV gegen Hertha BSC.“ Am mangelnden Selbstvertrauen dürften die | |
Hamburger mit diesem Trainer nicht scheitern. | |
19 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Frank Heike | |
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