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# taz.de -- Übernahme von Twitter: Er mag keine Regeln
> Der Autohersteller Tesla hat Elon Musk reich gemacht, das
> Raumfahrtunternehmen SpaceX berühmt. Nun will er sein liebstes Spielzeug
> kaufen: Twitter.
Bild: Elon Musk, selbst passionierter Twitternutzer, betreibt den siebtgrößte…
Als vor vier Jahren eine jugendliche Fußballmannschaft in den Tiefen eines
weitverzweigten Höhlensystems [1][in Thailand eingeschlossen war], fieberte
die Welt ihrer Rettung entgegen. Elon Musk bot seine Hilfe an. Mithilfe
eines ferngesteuerten Mini-U-Boots sollten die Jungs die unter Wasser
liegenden Höhlengänge passieren. Ein Plan, der viel Aufmerksamkeit auf sich
zog – und die einhellige Kritik aller beteiligten Fachleute. Einer davon,
der britische Taucher Vernon Unsworth, der direkt an den Rettungsarbeiten
vor Ort beteiligt war, nannte Musks Angebot einen „PR-Stunt“. Musk war
außer sich und bezichtigte Unsworth in einer Reihe wütender Tweets der
Pädophilie.
Musk entschuldigte sich später und löschte die Tweets. Dennoch gibt diese
Episode einen tiefen Einblick in die Gefühlswelt von Elon Musk und sein
Verhältnis zu Twitter. Den Dienst, den er für umgerechnet 41 Milliarden
Euro kaufen will. Dass die mit Abstand größte Tech-Übernahme der Geschichte
durch einen Privatmann statt durch eine Firma geschieht, sagt etwas über
unsere Zeit aus. Aber auch über Elon Musk.
## Berührung mit der Realität
Musk wuchs in Südafrika als Sohn eines reichen Minenbesitzers auf. Neben
dem sorgenlosen Lebenswandel erbte er auch die Gewinnerhautfarbe im
damaligen Apartheidsregime. Keine Idealbedingungen, um zu lernen, dass
Regeln auch für einen selbst gelten sollten. Nach seinem Studium in Kanada
und dem anschließenden Umzug in die USA sah es kurzeitig so aus, als würde
er doch noch in Berührung mit der Realität kommen. Musk arbeitete hart an
der Gründung seines ersten Start-up Zip2 und verdiente wenig. Doch der
Verkauf von Zip2 machte ihn schon mit 28 zum Multimillionär. Das Timing war
günstig: Im Jahr darauf platzte die Dotcomblase.
Musks zweite Firma, X.com, sollte Zahlungen im Internet abwickeln,
fusionierte dann mit einer ähnlichen Firma von Peter Thiel und wurde zu
PayPal. Der Verkauf an Ebay 2002 machte alle Beteiligten zu hundertfachen
Millionären und begründete die „PayPal-Mafia“, ein informelles Netzwerk v…
mächtigen Investoren und Gründern, zu denen neben Musk und Thiel (erster
Investor von Facebook und Gründer von Palantir) auch Reid Hoffman (Gründer
von LinkedIn), Chad Hurley (Gründer von Youtube) und viele andere gehören.
In den nuller Jahren dominierte die PayPal-Mafia die Entwicklung der
sozialen Medien.
Nur Elon Musk gründete erst mal die Raketenfirma SpaceX, die es sich zum
Ziel setzte, den Preis von Weltraummissionen zu drücken. Das gelang
tatsächlich, unter anderem mit landefähigen Raketen. Ein Erfolg, der viel
zu Musks heutiger Popularität beigetragen hat.
Sein zweiter, noch größerer Erfolg ist die Etablierung [2][der elektrischen
Automarke Tesla]. Musk hat Tesla nicht gegründet, sondern nur eingekauft
und er hat auch keine der wesentlichen Technologien erfunden. Es ist ihm
aber durch geschicktes Marketing und eine strategisch kluge
Produktentwicklung gelungen, dem elektrischen Auto zu einem echten
Durchbruch zu verhelfen.
Musks unternehmerischer Erfolg ist erstaunlich und manchmal unheimlich. Der
hohe Kurs der Tesla-Aktie ist der wichtigste Grund für Musks Reichtum. Die
ungeheure Marktkapitalisierung des Unternehmens – aktuell eine knappe
Billion Dollar – ist schwer zu erklären. Tesla musste die zehn
nächstgrößeren Autohersteller der Welt komplett ersetzen und dann noch
ordentlich wachsen, um diesen Investorenerwartungen zu entsprechen. Dabei
verkauft Tesla derzeit nicht mal eine Million Fahrzeuge im Jahr. Allein VW
verkauft zehnmal so viele.
## Musk hat siebtgrößten Twitteraccount
Der Bloomberg-Kolumnist Matt Levine hat [3][die sogenannte
Elon-Markt-Hypothese aufgestellt]: „So wie der Finanzmarkt derzeit
funktioniert, berechnet sich der Wert von Anlangen nicht nach ihren
Einnahmen, sondern nach der (assoziativen) Nähe zu Elon Musk.“ Das gilt
nicht nur für den Aktienmarkt, sondern auch für Musks Engagement [4][in
Kryptowährungen.] Sein Hypen und Fallenlassen von Bitcoin und Dogecoin
führte immer wieder zu enormen Kursschwüngen, auch wenn dieses Engagement
hauptsächlich aus wenigen nur halb ernstgemeinten Tweets bestand.
Twitter ist für Elon Musk überhaupt so vieles: Werbeplattform für seine
Unternehmen, Selbstvermarktungstool, Finanzmarktmanipulationsvehikel. Doch
in allererster Linie ist es Musks liebster Zeitvertreib. Er selbst ist
passionierter Twitternutzer und betreibt [5][den siebtgrößten
Twitteraccount der Welt].
Doch nun [6][will er sein Spielzeug für sich haben]. Dafür will er nicht
nur die Mehrheit der Anteile kaufen, sondern alle. Er will Twitter ganz von
der Börse nehmen und zu seinem Privatbesitz machen. So würde er den
Rechenschaftsplichten gegenüber der Öffentlichkeit, Aktionär*innen und
vielen Regularien der Börsenaufsicht entkommen. Er hat zudem angekündigt
das Werbegeschäftsmodell abzuschaffen. So könnten ihm auch die Werbekunden
nicht mehr reinreden.
Musk betont, keine wirtschaftlichen Ziele mit dem Kauf Twitters verfolgen
zu wollen. Im Gegensatz zu Mark Zuckerberg und seinem
Facebook-Mutterkonzern Meta ist Musk schließlich nicht auf die Einnahmen
von Twitter angewiesen. Twitter könnte so zum persönlichen Hobbyprojekt des
reichsten Menschen der Welt werden. Musk hat vor, dort seine politischen
Vorstellungen von „echter Redefreiheit“ auszuprobieren. Nicht zufällig
kommt das seinem eigenen Twitterstil zugute.
Elon Musk liebt es, Kontroversen auszulösen. Während Corona verbreitete er
sowohl Desinformationen über die Krankheit als auch über die Impfung.
Anfang des Jahres verglich er den kanadischen Premierminister Justin
Trudeau mit Adolf Hitler. Er gab sich überrascht, dass der amerikanische
Senator Bernie Sanders noch lebt, als jener höhere Steuern für Superreiche
forderte, und er macht sich gerne über Bill Gates’ Aussehen lustig. Seine
Tweets bestehen zu einem guten Teil aus dem, was man im Netz „Shitposting“
nennt, und selbst wenn sie ausnahmsweise mal ernst klingen, kann man sich
nie ganz sicher sein.
So wurde auch sein Angebot, Twitter zu kaufen, zuerst nicht für voll
genommen. Schon 2018 hatte er getwittert, Tesla von der Börse zu nehmen –
„Finanzierung gesichert!“ Weil das eine glatte Lüge war, musste sich Musk
wegen Anlagebetrugs vor der US-Börsenaufsicht verantworten. Dass Musk nach
seinem Angebot zum Kauf von Twitter vorschlug, das w aus „Twitter“ zu
streichen oder die Firmenzentrale zum Obdachlosenheim umzufunktionieren,
war seiner Seriosität ebenfalls abträglich. Doch als er plötzlich mit dem
nötigen Geld auftrat, lachte keiner mehr.
## Musk hasst Regeln
Ganz sicher, ob er den Deal auch durchzieht, scheint sich der Aktienmarkt
aber bis heute nicht zu sein. Der Wert der Twitteraktie liegt noch zehn
Prozent unterhalb von Musks Angebot und die Übernahme kann sich noch
monatelang hinziehen. Allerdings müsste Musk wohl mindestens eine Milliarde
US-Dollar zahlen, wenn er es sich anders überlegt.
Musk liebt Twitter und er hasst Regeln. Das sind die beiden
Hauptmotivationen für den Deal. Musk ist der Meinung, Twitter solle sich
aus der Regulierung von Inhalten, soweit es geht, zurückziehen. Ausnahmen
seien die jeweils geltenden Gesetze und die Bekämpfung von Spam und
Betrugsversuchen. Jede Moderation darüber hinaus schade dem Funktionieren
des „freien Marktplatzes der Ideen“, wie er Twitter auch gerne nennt.
Musk nennt sich einen „Redefreiheitsabsolutisten“. Der bereits erwähnte
Taucher Vernon Unsworth würde hier sicher die Augenbraue heben. Genau wie
die Blogger und Journalist*innen, die von Teslas Events ausgeladen werden,
weil sie mal kritisch über das Unternehmen schrieben. Musk hat zudem eine
lange Geschichte von Hetze gegen Journalist*innen und Medien, die
kritisch über ihn und seine Unternehmen berichten. Unter seinen fast 90
Millionen Followern stehen ihm etliche, meist junge Männer zur Seite, wenn
es darum geht, die Ehre ihres Helden zu verteidigen.
2018 machte [7][ein Artikel der Journalistin Erin Biba] die Runde, in dem
sie beschrieb, wie Musks Twitterarmee systematisch vor allem weibliche
Journalistinnen angreift. Biba – selbst ein mehrfaches Opfer solcher
Hasstiraden – berichtete über viele Fälle, in denen sich Journalistinnen
deswegen aus der Berichterstattung über Musk zurückgezogen haben. An Musk
gewendet endete ihr Text: „Ich kann Ihnen versichern, dass jede Frau einen
Moment zögert, bevor sie Ihren Namen in einem Tweet nennt.“
Musk hat nach der Meldung seines geplanten Kaufs von Twitter gesagt, er
hoffe, dass seine größten Kritiker*innen auf der Plattform bleiben,
„denn darum geht es bei der Redefreiheit“. Es bleibt abzuwarten, wie er das
genau meint. Der Autor David Hogg fragte direkt nach, ob diese Freiheit
auch für seine Mitarbeitenden gelte, wenn sie sich via Twitter
gewerkschaftlich organisieren. Musk, der auch eine lange Geschichte damit
hat, Gewerkschaftsgründungen zu bekämpfen, antwortete leider nicht.
Musk hat nun die Chance, seine Hingabe zur Redefreiheit unter Beweis zu
stellen. Bedeutet es die Rückkehr von Donald Trump, Alex Jones und anderer
Hetzer, Lügner und Verschwörungstheoretiker unter einem
Anything-goes-Regime? Oder will er Wege finden, wie seine
Kritiker*innen sich wieder trauen, über ihn zu schreiben? Ich fürchte,
wir kennen die Antwort.
30 Apr 2022
## LINKS
[1] /Rettungsaktion-in-Thailand/!5516000
[2] /Tesla/!t5009860
[3] https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2021-02-10/elon-musk-tweets-grea…
[4] /Kryptowaehrung/!t5476505
[5] https://twitter.com/elonmusk
[6] /Twitter-Verkauf-an-Elon-Musk/!5847177
[7] https://www.thedailybeast.com/what-its-like-when-elon-musks-twitter-mob-com…
## AUTOREN
Michael Seemann
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