| # taz.de -- Prozess um Maskenatteste in Hamburg: Was heißt schon unzumutbar? | |
| > Eine Hamburger Ärztin soll ein unzulässiges Maskenattest ausgestellt | |
| > haben. Die Anklage wirft ihr vor, den Mann nicht richtig untersucht zu | |
| > haben. | |
| Bild: In der Hand statt im Gesicht: FFP2-Maske | |
| Hamburg taz | Ob sie denn wenigstens irgendeine Maske dabei habe, fragt der | |
| Verteidiger seine Mandantin vor Verhandlungsbeginn. Diese bejaht, beide | |
| sitzen dann aber doch unmaskiert im Gerichtsaal. Angeklagt ist eine | |
| ehemalige Hamburger Ärztin, weil sie einem Mann ein unzulässiges Attest zur | |
| Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt haben soll. Die | |
| Staatsanwaltschaft wirft der 76-jährigen Susanne L. vor, den Mann überhaupt | |
| nicht untersucht zu haben und ihm ein sogenanntes „unrichtiges | |
| Gesundheitszeugnis“ ausgestellt zu haben. | |
| Im dem Prozess am Amtsgericht Harburg wird schnell deutlich, dass die | |
| Rentnerin ihren neuen Patienten Oliver J. zwar gesehen, ihn aber nicht | |
| genau untersucht haben soll. Doch wie sieht schon eine richtige | |
| medizinische Untersuchung aus? Reicht ein Abtasten des Gesichts für eine | |
| Befreiung von der Maskenpflicht? Das ist nun die entscheidende Frage des | |
| Prozesses. | |
| Bundespolizist:innen hatten Oliver J. im September 2020 am Hamburger | |
| Hauptbahnhof mit einem Attest erwischt, das sie für unglaubwürdig hielten. | |
| Daraufhin erfolgte ein richterlicher Beschluss zur Durchsuchung der | |
| Räumlichkeiten der Ärztin Susanne L.. Schon stand die Polizei vor der | |
| ersten Kuriosität: Eine Praxis als niedergelassene Ärztin führt L. gar | |
| nicht mehr. Sie ist Rentnerin, hat aber noch ihre Approbation. Man könne | |
| sich telefonisch an sie wenden, um ihren ärztlichen Rat zu erfragen, sagt | |
| sie vor Gericht. Das biete sie insbesondere ehemaligen Patient:innen | |
| an, die sie gut kenne. | |
| Oliver J. soll jedoch, so sagt es die Angeklagte selbst, über die | |
| Internetseite [1][von „Ärzte für Aufklärung“ von L. erfahren] haben, ein… | |
| Initiative, die der Impfgegner:innen-Bewegung nahe steht und die mehrfach | |
| Falschinformationen zur Coronapandemie verbreitet hat. Er war also nicht | |
| bereits ihr Patient. Offenbar war J. damit kein Einzelfall: „Bei mir melden | |
| sich Leute, die große Probleme mit Masken haben“, sagt die Angeklagte im | |
| Prozess. | |
| ## Keine Spur von medizinischem Gerät | |
| Als Zeuge ist auch der Kriminalkommissar geladen, der im vergangenen Juli | |
| die Hausdurchsuchung bei L. leitete. Er erinnert sich noch gut an das Haus | |
| der Angeklagten. Eine Praxis habe es dort nicht gegeben, nur ein | |
| Arbeitszimmer. Von medizinischem Gerät sei keine Spur gewesen, sagt der | |
| Kommissar. Nur Fachliteratur im Bücherregal habe darauf hingedeutet, dass | |
| es sich um ein Behandlungszimmer handele. An der [2][Eingangstür habe ein | |
| „Querdenken“-Sticker geklebt.] | |
| Sitzt hier also eine Überzeugungstäterin auf der Anklagebank? Susanne L., | |
| eine schmale Frau mit grauem, schulterlangem Haar und rahmenloser Brille, | |
| von der ihr Verteidiger sagt, sie sei „nur eine ältere Dame“, gibt an, | |
| „medizinische Apparate“ seien für sie längst nicht so wichtig wie die | |
| „körperliche Wahrnehmung“ von Patient:innen. Je eine halbe Stunde nehme sie | |
| sich Zeit, um mit allen zu sprechen, die bei ihr vorstellig würden. Und in | |
| dieser Zeit könne sie aus persönlichen Schilderungen heraus viel mehr über | |
| ein Krankheitsbild erfahren als mit Ultraschall, Röntgenbildern und MRTs. | |
| Sie bestätigt, dass unter denjenigen, die sie aufsuchten, auch immer wieder | |
| Menschen gewesen seien, [3][die sich von der Maskenpflicht haben befreien] | |
| lassen wollen. Ob es denn schon einmal jemanden gegeben habe, dem sie diese | |
| Befreiung nicht habe ausstellen wollen, weil eine Maske eben doch zumutbar | |
| gewesen sei, will der Staatsanwalt wissen. Susanne L. druckst herum. Sie | |
| könne sich nicht erinnern. Dann sagt sie, es hätten eben bei allen, die zu | |
| ihr kamen, so schwerwiegende Gründe vorgelegen, dass L. sie von der | |
| Maskenpflicht befreien wollte. | |
| Staatsanwalt Jonathan Buchweitz. hakt nach: Woran sie das denn festgemacht | |
| habe? Das könne sie eben während ihrer Anamnesegespräche herausfinden. Oft | |
| hätten es die Leute sogar schon bei mehreren anderen Ärzt:innen probiert, | |
| aber niemand habe das Attest ausstellen wollen. Bei Oliver J. habe ihrer | |
| Auffassung nach eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung vorgelegen. Ein | |
| Pneumologe habe ihm kein Attest ausstellen wollen, da sei er zu L. nach | |
| Harburg gekommen, sagt die Rentnerin. | |
| ## Ärzte seien „Verfolgung“ ausgesetzt | |
| Das will sich auch der Vorsitzende Richter Christian Gies genauer erklären | |
| lassen. L. argumentiert, sie habe sich über die Einschätzung von | |
| Kolleg:innen hinweggesetzt weil, da auf Ärzt:innen während der | |
| Pandemie zu viel Druck ausgeübt worden sei. Diese seien „Verfolgung | |
| ausgesetzt“ gewesen und hätten aus diesem Grund keine Atteste ausgestellt. | |
| Sie aber habe Leuten helfen wollte, die unter ihren Masken gelitten hätten. | |
| Und dafür lasse sie sich auch nicht vergüten. | |
| Also ein minder schwerer Fall? Die Verteidigung jedenfalls forderte die | |
| Einstellung des Verfahrens: Frau L. habe die Atteste fälschlich | |
| ausgestellt, weil ihr die Vorgaben der Ärztekammer nicht bekannt gewesen | |
| seien. Die Vorschriften des Hamburger Senats habe sie hingegen zu befolgen | |
| versucht. Susanne L. sagt noch: „Ich bin nicht generell gegen Masken. Ich | |
| bin gegen Zwang.“ | |
| Doch Staatsanwalt Buchweitz lehnt die Einstellung des Verfahrens ab: also | |
| Urteil oder Freispruch. Zu groß sei das öffentliche Interesse an dem Fall, | |
| sagt der Staatsanwalt. So geht der erste Verhandlungstag ohne Urteil zu | |
| Ende. Der nächste Termin ist am 20. April angesetzt, dann soll auch Oliver | |
| J. gehört werden. | |
| 8 Apr 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Leopold Pelizaeus | |
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