Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Saline Luisenhall: Salz aus der Tiefe
> Weil Jörg Bethmann das Göttinger Familienunternehmen gerettet hat, wird
> hier weiter Salz gewonnen wie vor 150 Jahren. Und in der Sole kann man
> baden.
Bild: Saline Luisenhall: Europas letzte Pfannensiederei
Göttingen taz | Wie eine Windmühle ohne Flügel erhebt sich der markante
Förderturm aus dunklem Holz über die Dächer im ansonsten langweiligen
Göttinger Stadtteil Grone. Um ihn herum gruppieren sich alte
Backsteinbauten, da sind hohe, runde Schornsteine aus Ziegeln, hölzerne
Lagerschuppen mit alten Blechschildern, und natürlich fehlt auch die Villa
des Fabrikbesitzers nicht – steht man vor der Saline Luisenhall, kommt man
kaum auf die Idee, dass hier noch Tag für Tag Salz aus der Tiefe geholt
wird, sieht sie doch aus wie eine Industrieruine.
Dieser Eindruck setzt sich im Inneren zunächst fort: salzverkrustet sind
die Holzbalken, rostig die Gestänge. Doch dann, mittendrin, stehen große
Pfannen, in denen türkis leuchtendes Salzwasser blubbert. Und darunter ein
Kohlenfeuer, mit dem die Chose erhitzt wird.
Es ist faszinierend, die historische Fabrik in voller Aktion zu erleben. Da
rollen Förderbänder mit Salzkristallen, da drehen sich Pumpengestänge, die
das Salzwasser aus der Tiefe pumpen, da röhren Wirbelschichttrockner mit
Heißluft, um die Restfeuchtigkeit aus dem Salz zu pressen. Im
[1][Verkaufsraum] geht die Nostalgie weiter: Die pfundschweren Packungen
mit dem wertvollen Salz werden hier tatsächlich noch mit einer antiken
Bizerba-Waage grammgenau abgewogen. Kurzum, die Saline Luisenhall ist
eigentlich ein Industriedenkmal. Aber ein lebendes.
Das ist Jörg Bethmann zu verdanken. Der 67-Jährige rettete 1995 das
Familienunternehmen, als es kurz vor der Pleite stand. „Es ist ja oft so:
eine Generation baut ein Unternehmen auf, die nächste erwirtschaftet
Gewinne, und die nächste lässt es dann schleifen“, deutet Bethmann die
Geschichte. Er baut es nun wieder auf. Dank seiner Resilienz, wie er es
beschreibt, und weil er – eine lange Geschichte, deren Details hier zu weit
führen würden – einst das schwarze Schaf der Familie war, packte ihn der
Ehrgeiz. Und der zahlte sich aus.
Um die Jahrtausendwende überlegte Bethmann, wie er das Unternehmen
gewinnbringender aufstellen könnte. „Ich schwankte zwischen der
Beauftragung einer Werbeagentur oder dem Bau eines Solebades“, erinnert er
sich. Das [2][Solebad] machte dann das Rennen, denn Bethmann ahnte, dass
zufriedene Kunden, die das Salz und den Produktionsort hautnah zu spüren
bekommen, die Mund-zu-Mund-Propaganda ankurbeln würden. Fünf Jahre lang
entwickelte und verfeinerte Jörg Bethmann die Idee im ehemaligen Jauchebad
des Gutshofes Luisenhall. „Und ich hatte recht: bis Corona war das Bad
praktisch immer voll.“
Im Badehaus kann man in der Thermalsole bei 35 Grad baden – oder besser:
schweben, denn dank des hohen Salzgehalts treibt man auf der
Wasseroberfläche wie im Toten Meer. Anschließend kann man in einer
Soledampfsauna schwitzen und sich zur Krönung mit einem Salzpeeling
abrubbeln – eine Prozedur, die eineinhalb Stunden dauert und 25 Euro
kostet. Dabei ist man weltoffen in Göttingen: es gibt getrennte Badezeiten
für Leute, die „mit“ baden wollen und für die, die lieber nackt ins Wasser
steigen. Das Badehaus ist übrigens der einzige Gebäudeteil auf dem Gelände,
der neu errichtet wurde.
Aber wie genau funktioniert eigentlich eine [3][Pfannensiederei]? Unter der
Saline, in genau 462 Metern Tiefe, befindet sich eine Steinsalzschicht. Und
unter dieser Steinsalzschicht liegt eine Sole, also eigentlich ein
unterirdischer Salzwassersee. Diese Sole wird an die Oberfläche gepumpt,
lagert dort in einem 350.000 Liter fassenden Reservoir und wird dann nach
und nach in flachen Siedepfannen bei 60 bis 80 Grad erhitzt, bis der
Salzbrei abgeschöpft werden kann. Anschließend wird das Salz mithilfe von
Zentrifugen und eines Wirbelschichttrockners weiter dehydriert.
Die Göttinger Sole hat eine ungewöhnlich hohe sogenannte
Sättigungskonzentration, nämlich 26 bis 27 Prozent. So ist die Sole direkt
siedefähig, ohne vorher „gradiert“ werden zu müssen. Anderswo muss das
Salzwasser in einem Gradierwerk erst konzentriert werden, indem die Sole
durch Reisig geleitet wird, wobei auf natürliche Weise Wasser verdunstet.
In einigen Kurstädten, etwa in Bad Nauheim, sind solche Anlagen noch heute
in Betrieb. Kurgäste wandeln gerne um diese Gradierbauten herum, um die
salzhaltige, die Gesundheit befördernde Luft einzuatmen.
Das Salz wird in Luisenhall beinahe exakt so produziert wie im Jahr 1850,
als der Geologe Philipp Rohns die Saline in der alten Universitätsstadt
gründete. Wie Rohns exakt auf diesen Standort kam? Durch den Fund von
Zeigerpflanzen, die so heißen, weil sie darauf hinweisen, dass in der Tiefe
des Bodens eine Salzschicht vorhanden ist.
In seiner Entstehungszeit war die Saline Luisenhall allerdings kein
finanzieller Erfolg, in den ersten drei Jahrzehnten ihres Bestehens
versuchten einige Unternehmer vergeblich, aus Salz Geld zu machen – die
Mutter der zweiten Besitzer, der Brüder Louis und Theodor Laporte, gab der
Saline übrigens den Namen Luise.
Erst als 1881 Hermann Bartold Levin, Sohn eines Göttinger Tuchfabrikanten
und Urgroßvater des heutigen Betreibers Jörg Bethmann, die Anlage übernahm,
rollte der Rubel. Zu dieser Zeit verfügte die Saline auch noch über eine
angeschlossene Landwirtschaft, denn „damals war es schwer, Arbeiter vom
Land in die neuen Fabriken zu locken. Die waren misstrauisch“, erzählt Jörg
Bethmann. Aus diesem Grund hätten die Besitzer jedem Salinenarbeiter die
Möglichkeit gegeben, auch in der Landwirtschaft zu arbeiten. In dieser
Tradition ist auch Bethmann Landwirt, genau wie sein Vater – und wie seine
Söhne Hans und Friedrich, die inzwischen ebenfalls Geschäftsführer der
Saline sind.
Heute verlassen pro Jahr etwa 3.000 Tonnen Salz die Saline Luisenhall, weit
weniger als vor hundert Jahren. Nur Peanuts im Vergleich zu dem, was die
großen Salzfabriken herstellen. Deshalb setzten die Bethmanns auf die
steigende Zahl der Feinschmecker, die qualitativ gutes Salz zu schätzen
wissen. „Wir beliefern viele gute Restaurants, wie etwa das Nobelhart &
Schmutzig in Berlin, und sogar den Chefkoch des Bundespräsidenten“, sagt
Jörg Bethmann nicht ohne Stolz. Außerdem gibt es das Salz auch bei
Manufactum und in normalen Supermärkten der Umgebung Göttingens.
Das Luisenhaller Salz sieht anders aus als handelsübliches, wie es zum
Beispiel die Südwestdeutschen Salzwerke produzieren. Er ist nicht so
reinweiß, die Kristalle sind nicht so ebenmäßig. Und der Geschmackstest
zeigt: Oho, das Luisenhaller Salz schmeckt auch gar nicht so penetrant
salzig. Es ein eher „weicher“ Salzgeschmack.
Ein Teil des gewonnenen Salzes wird zudem an die Firma Kneipp verkauft, die
es wiederum zu [4][Badesalz] weiterverarbeitet – durch die gröbere Struktur
des Salzes haften die ätherischen Öle besser. Und dann gibt es noch die
sogenannte Salzblüte, das sind die zarten Salzkristalle, die beim
Siedevorgang oben vom Wasser abgeschöpft werden. Hier kosten 60 Gramm
stolze 14,50 Euro – was offenbar nicht zu viel ist. Denn die Salzblüte ist
derart gefragt, dass sie zurzeit ausverkauft ist.
27 Apr 2022
## LINKS
[1] https://luisenhall.de/shop/
[2] https://luisenhall.de/badehaus/
[3] https://kulturerbe.niedersachsen.de/objekt/isil_DE-89_av-portal_21941/1/
[4] https://www.kneipp.com/de_de/kneipp-wissen/baden-und-duschen/ursprung-von-b…
## AUTOREN
Dirk Engelhardt
## TAGS
Salz
Industrie
Baden
Göttingen
Salz
Kinderfrage
Endlagerfrage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sechs Geschichten übers Salz: Nimm das, Karl Lauterbach!
Unser Gesundheitsminister isst möglichst salzfrei – und verpasst so eine
Menge. Denn das weiße Gold ist der Stoff, aus dem Geschichten sind.
Kinder fragen, die taz antwortet: Wie kommt das Salz ins Meer?
Wir wollen von Kindern wissen, welche Fragen sie beschäftigen. Jede Woche
beantworten wir eine davon. Diese Frage kommt von Benji, 9.
25 Jahre Anti-Atom-Firma Salinas: Atomsuppe versalzen
Vor 25 Jahren gründeten Atomkraftgegner die Firma Salinas. Mit
Salzförderung wollten sie verhindern, dass in Gorleben ein Endlager gebaut
wird.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.