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# taz.de -- Doku „Homs und ich“ bei 3sat: Jeder Schulhof ein Friedhof
> Ein Mann hat den Bürgerkrieg im syrischen Homs mit seiner Kamera
> dokumentiert. Der Film ist unmittelbarer als jeder
> Korrespondentenbericht.
Bild: „Seit zwei Monaten bin ich eingeschlossen in der Altstadt von Homs“: …
Zerstörte Häuser, Trümmerberge, Blutlachen auf dem Boden: „Um hier zu
filmen, muss ich mich verstecken. Da vorne bei der Flagge sind
Scharfschützen. Sie belagern eine Grenze, die mitten durch meine
Heimatstadt geht“, sagt die vertraut klingende Stimme aus dem Off. Was
aussieht und klingt wie die vertrauten Fernsehnachrichten dieser Tage,
wurde nicht etwa in der ukrainischen Stadt Mariupol aufgenommen, sondern
1.380 Kilometer südlich und fünf Jahre zuvor, in [1][Homs: Die drittgrößte
Stadt Syriens] war eine Hochburg des Widerstands gegen die Armee des von
Russland und Iran unterstützten Despoten Baschar al-Assad.
Geschichte wiederholt sich nicht, aber Situationen sind vergleichbar.
Kriegsberichterstatter können nicht überall vor Ort sein, aber überall
filmen die Menschen heute selbst, selbst wenn sie nichts mehr zu essen
haben als Blätter und Gras. „Homs und ich“ ist – anders als „[2][Homs …
zerstörter Traum]“ (2013) des inzwischen in Berlin lebenden Talal Derki –
nicht das Werk eines ausgebildeten Regisseurs.
„Mit meiner Kamera will ich der Welt zeigen, was hier passiert“, sagt die
vom bekannten Schauspieler Tom Schilling auf Deutsch eingesprochene Stimme:
„Ich bin Sulaiman Tadmory. Seit zwei Monaten bin ich eingeschlossen in der
Altstadt von Homs. Ich hatte bei Freunden übernachtet, weil der Heimweg zu
gefährlich war. Am nächsten Morgen hatten Assads Truppen die Altstadt
umstellt.“
Von dem anfangs 23-jährigen Erzähler erfährt man kaum mehr als seinen
Namen. Und das ist schon viel, denn: „Jeder hier lebt unter einem
Pseudonym. Mich nennen alle nur Abu Hamza. Nur ganz wenige wissen, wie ich
richtig heiße. Wenn Assads Geheimdienst mitbekommt, dass ich, Sulaiman
Tadmory, hier bin, ist meine Familie im anderen Teil der Stadt in Gefahr.
Ich frage mich, wie lange ich noch Abu Hamza sein muss und wann ich wieder
Sulaiman sein kann.“
## Bewegung von Haus zu Haus
Nicht einmal auf den Grabsteinen aus Schutt stehen die echten Namen der
Toten: „Zehn Monate nach der Blockade ist Homs mittlerweile voll mit
Leichen. Jede Grünfläche, jeder Schulhof, jeder Park ist jetzt ein
Friedhof.“ Gegen die Scharfschützen sind die in den Straßen gespannten
Stoffe und hochkant gestellten Wellbleche nur ein fragiler Schutz.
Sicherer, aber auch langsamer ist die Bewegung von Haus zu Haus, über
geheime Wege durch Löcher in den Wänden.
Mal lassen die bärtigen Rebellen, über deren Zugehörigkeit zu einer Gruppe
man nichts erfährt, den filmenden Sulaiman gewähren, weil sie ihre
Wehrhaftigkeit, etwa ihre Fähigkeit, Waffen herzustellen, demonstrieren
wollen. Mal zwingen sie ihn, seine Kamera abzuschalten. Sulaiman gehört
nicht zu ihnen. Er ist Beobachter, kein Kämpfer. Er ist für die Demokratie,
gegen Waffenlieferungen: „Ich glaube, mehr Waffen führen nur zu noch mehr
Toten.“
[3][Die vielen Toten]: „Gestern ist hier 'ne Granate eingeschlagen und hat
’n Freund von mir getötet. Mich haben die Splitter nur knapp verfehlt.
Jedes Mal, wenn ich ’n Freund treffe, weiß ich, dass es vielleicht das
letzte Mal war.“ Was macht das mit einem? „Irgendwie habe ich mich an die
Angst schon gewöhnt. Aber an den Gedanken, jeden Moment sterben zu können:
an den kann ich mich nicht gewöhnen.“ Und doch: „Letzte Woche habe ich mir
eine Pistole besorgt. Lieber sterbe ich durch meine eigene Kugel, als zu
Tode gefoltert zu werden.“
Sulaiman Tadmory ist am Ende mit heiler Haut aus Homs herausgekommen und
über die Türkei nach Deutschland geflohen, wo ihm die Co-Autoren Stephan
Löhr und Katharina Schiele ([4][„Kevin Kühnert und die SPD“]) geholfen
haben, seinen Film fertigzustellen. Der will und kann keine fundierte
Analyse des Krieges und seiner Ursachen sein – das journalistische Handwerk
ist nicht sein Maßstab. Die Bilder sind arg verwackelt, die Reflexionen
dafür persönlicher, die Eindrücke aus zwei Jahren Krieg unmittelbarer als
jeder Korrespondentenbericht.
31 Mar 2022
## LINKS
[1] /Buergerkrieg-in-Syrien/!5393328
[2] /Doku-Homs--ein-zerstoerter-Traum/!5047257
[3] /Russische-Offensive-in-Syrien/!5358353
[4] /Dokuserie-ueber-SPD-Vize-Kevin-Kuehnert/!5801426
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Homs
Schwerpunkt Syrien
Dokumentarfilm
Kevin Kühnert
Homs
Homs
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