# taz.de -- Konzerte und Buch von Jimi Tenor: Inspirationen beim Pilzesammeln | |
> Während Jimi Tenor mit Globalpop-fundiertem Jazz auf Tour geht, erzählt | |
> sein Buch „Omniverse“ noch weit mehr: über Techno, Kunst und früher. | |
Bild: Kosmos, Götter, Göttinen: Jimi Tenor flaniert durch finnische Wälder | |
Für Jimi Tenors ausgedehnte Tourneen sind die eingebuchten Spielorte meist | |
weniger wichtig als die Frage, wo er gerade herkommt. Musikalisch. Was ihn | |
aktuell umtreibt, den Genre-agnostischen Multiinstrumentalisten zwischen | |
Synthesizer, Flöte und Bigband. Letztere dürfte diesmal den Ausschlag geben | |
für Tenors anlaufende Konzertreise. „Aulos“ steht auf dem Programm, womit | |
das 2020 veröffentlichte Jazzalbum endlich auch live an den Start geht. Es | |
gehört zu den eingängigeren Werken in Tenors Œuvre – und zu seinen besseren | |
– mit handgemachten Afrobeats ghanaischer Prägung. | |
Wobei auch das schon wieder so eine Sache ist: Zur Inspiration für diese | |
Musik will Tenor nämlich beim Pilzesammeln zu Hause in finnischen Wäldern | |
gekommen sein. Schräge Verortungen wie diese gibt es demnächst auch | |
gedruckt: In Jimi Tenors Buch „Omniverse“, das bald beim Mainzer | |
Ventil-Verlag auf Englisch erscheint. Was genau für ein Band das nun aber | |
wird, ist ähnlich schwer zu fassen wie die Musik. Biografisch ist es | |
natürlich, mit vielen Fotos, aber eben ausdrücklich keine Biografie, | |
sondern eher ein Sammelsurium Tenor betreffender Dinge … | |
Tja, Jimi Tenors Kampf gegen die Entropie – so steht es handschriftlich | |
gleich am Anfang – verlaufe mitunter eben etwas chaotisch. Immerhin formal | |
lässt sich dem Buch aber gut folgen: In jeweils chronologisch sortierten | |
Kapiteln stellt der als Lassi O. T. Lehto geborene Künstler seine | |
wechselnden Lebens- und Arbeitsräume vor, selbst erfundene Instrumente, | |
Menschen, mit denen er zu tun hatte, und Aktionen kreuz und quer durch die | |
Musik- und Kunstwelt. Persönlich plaudernd erklärt der heute 57-Jährige | |
seine Fotos, ohne allerdings in grässliche Selbstdarstellungen zu | |
verfallen, die ja sonst jeder Anekdote am Hacken kleben. Dass das klappt, | |
ist schon deshalb bemerkenswert, weil Jimi Tenor ja selbst eine Art | |
Kunstfigur ist. | |
## In Ruinen des Sowjetreichs | |
Und das war offenbar auch früher schon so, als er um 1995 eine sowjetische | |
Discoruine im finnischen Espoo bezog. Die Fotos aus dieser Zeit sind | |
Porträts in vollgerümpelter Küche, Posen vor vergessenen Emblemen des | |
Sowjetreichs: eine frühe Serie von PR-Bildern, privaten Schnappschüssen – | |
und Fotos, die irgendwie beides sein könnten. | |
Diese Stationen sind betörend in ihrer Andersweltlichkeit. Und | |
erfreulicherweise taugen sie rein gar nicht dazu, Tenors sattsam bekannte | |
Künstlerbiografie zu verfestigen. Sie wissen schon: Loveparade und „Take Me | |
Baby“, ein kurzer Starmoment mit Clubhit – und dann Jazz mit Globalpop in | |
stetig anwachsender Dosierung. Getragen von mystelnden Texten über den | |
Kosmos, Götter und Göttinnen. | |
Diesen Bogen nun monografisch-monolithisch zu schlagen, hätte ein paar | |
Fragen abhaken können, einen marktförmigeren Tenor entwerfen und | |
Anknüpfungspunkte für junge wie alte Fans anbieten. Statt aber nun | |
Stringenz, immerhin Folgerichtigkeit zu behaupten, türmt das Buch | |
Geschichte auf Geschichte auf, und Experiment auf Experiment. Auch in | |
diesem Sinne interessant ist etwa Tenors im Buch kurz vorgestellte | |
Bekanntschaft mit [1][Max Weissenfeldt] vom Kreuzberger Label Philophon, | |
das gerade einen Zweitsitz im ghanaischen Kumasi eröffnet hat. | |
## Nirgends angekommen | |
Weissenfeldt ist für den Afrosound der „Aulos“ des Albums verantwortlich, | |
hat sie produziert und trommelt nun auch auf der Tour. Zu lesen ist nun | |
allerdings, dass es zunächst überhaupt nicht rund lief mit dieser zweiten | |
gemeinsamen Session – dass einige Monate Krise und Neuanfang nötig waren, | |
damit dieses Modell überhaupt noch mal funktioniert. Nirgends in | |
„Omniverse“ geht es ums Ankommen, sondern immer nur um die nächste Station | |
vor der übernächsten. | |
Dabei landet Jimi Tenor immer wieder auch bei der bildenden Kunst. Nach | |
seinem vorläufigen Abschied aus Finnland, lebt er Anfang der 1990er Jahre | |
in New York mit Künstler:innen zusammen, spielt auf Vernissagen, macht | |
in Mode und Wrestling. Dass er auch selbst mit den Möglichkeiten der | |
Kunstfotografie zu experimentieren beginnt, legt den Grundstein für den | |
kommenden Bildband, auch wenn er sich mit der Kamera damals vor allem als | |
Souvernirfotograf auf dem Empire State Building durchschlägt. Bis er wieder | |
nach Europa zurückkehrt und irgendwo zwischen Barcelona und Helsinki wieder | |
irgendwas ganz anderes macht. | |
Sicher ist: Das Buch wird keine Klammer für Tenors Karriere stiften und | |
auch die Tour nicht seine letzte sein. Tatsächlich steht mit „Multiversum“ | |
schon das nächste Album in den Startlöchern. Erscheinen wird es parallel | |
zum Buch bei Bureau B aus Hamburg. Anders als die so organisch klingende | |
Weissenfeldt-Kooperation, geht es hier um Minimalismus und Do-it-yourself: | |
Zu Hause aufgenommen, spontan und in einem Sound, der zumindest für Jimi | |
Tenors Verhältnisse als schlicht durchgehen könnte. Ein bisschen „back to | |
the roots“ vielleicht – bevor es dann doch wieder ganz woanders weitergehen | |
wird. | |
3 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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