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# taz.de -- Debatte über Umgang mit Drogenszene: Keine Bänke für Trinker*inn…
> Der Andreas-Hermes-Platz in Hannover ist ein Treffpunkt der Drogenszene.
> Nun wird debattiert, ob der Platz eine Renovierung wert ist oder nicht.
Bild: Derzeit wenig einladend: der Andreas-Hermes-Platz in der Nähe des Hauptb…
Hannover taz | Mitten in Hannovers Innenstadt, nur wenige Hundert Meter vom
Hauptbahnhof entfernt, liegt einer dieser Nicht-Orte, den wohl alle Städte
haben. Der Andreas-Hermes-Platz ist eine abgesenkte Fläche, eingesäumt vom
Schnellweg und mehreren Hochhäusern. Autos donnern vorbei, Geschäfte gibt
es hier kaum.
Mohammed Khasim (Name geändert) sitzt auf der Treppe am Rand. Immer wenn
seine Depressionen und die Erinnerungen an den syrischen Bürgerkrieg
besonders schlimm sind, komme er hierher um nachzudenken, erzählt er. „Ich
trinke ein paar Bier, beobachte das Treiben und fahre dann nach Hause“,
sagt der junge Mann, der Umweltingenieur ist, aber seit mehreren Jahren
nicht arbeiten kann. Andere Orte, wo das so einfach gehe, kenne er nicht,
sagt er.
Mehrere Skulpturen stehen auf dem Platz. Graffiti zieren die Wände. In den
Ecken liegen Fäkalien und Müll. Ein Mann rennt zu einer Pfütze, wäscht
seine Hände und trinkt etwas Wasser. Wer sich genau umsieht, kann Menschen
entdecken, die Spritzen aufziehen oder in kleinen Runden, die Köpfe
zusammengesteckt, Pfeife rauchen. Es ist einer der Orte, an denen sich
Hannovers offene Drogenszene trifft. Der Hauptbahnhof ist nah und damit
auch Hilfsangebote. Direkt am Andreas-Hermes-Platz liegt zurzeit noch der
Kontaktladen Meckie.
300.000 Euro will die Stadt [1][Hannover] nun in die Hand nehmen, um den
Platz umzugestalten. Im Juli soll es losgehen, bis Oktober soll der Umbau
dann abgeschlossen sein. Der Platz und die ganze Gegend sollen attraktiver
werden.
Der Betonbrutalismus soll Begrünung weichen. Wilder Wein, Beete und Efeu
sollen die Fläche zukünftig säumen. Außerdem sollen Stufen zusammengefasst
und Betonpoller rückgebaut werden, damit Reinigungsfahrzeuge besser
durchkommen, heißt es in einem Antrag an den Stadtbezirksrat Mitte.
Eigentlich ist die Rampe an der Nordseite des Platzes auch zu steil und
nicht barrierefrei. Eine Million Euro würde ein entsprechender Umbau
kosten. Die Planer*innen verweisen aber auf einen, einige Hundert Meter
weiter gelegenen Aufzug.
Bereits vor mehreren Jahren war im angrenzenden Kulturzentrum Pavillon ein
Bürger*innenbeteiligungsverfahren durchgeführt worden. Die dort
am häufigsten genannten Probleme: die Verschmutzung und ein allgemeines
Unsicherheitsgefühl. Am Ende wünschten sich alle, die Plätze in
Bahnhofsnähe wieder gastlicher zu machen und zu beleben, etwa durch neue
Sitzbänke.
Dafür hagelt es nun Kritik aus der Politik. So fordert die CDU Politikerin
Cornelia Kupsch in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, die Stadt solle
das Anbringen von Bänken streng prüfen. Erst einmal müsse man den Platz für
die Szene „etwas ungemütlicher machen“. Und auch die Grünen sehen Bänke
skeptisch.
Hier zeigt sich exemplarisch der Umgang mit der offenen Drogenszene und
[2][Wohnungslosen] durch die Stadtgesellschaft. Zwar gibt es in Hannover
akzeptierende Arbeit und offene Konsumräume, nichtsdestotrotz kommt immer
wieder die Forderung nach einer Verdrängung marginalisierter Gruppen auf –
ganz ähnlich zu beobachten bei der Debatte um den nur wenige Hundert Meter
entfernten Weißekreuzplatz. Bei den Konflikten um diese Orte geht es um die
Frage, wem die Stadt gehört und für wen im öffentlichen Raum Platz ist.
Der Weißekreuzplatz liegt auf der anderen Seite des Kulturzentrums
Pavillon. Ein Stück Berliner Mauer steht hier und ein Stein, der an die
Proteste in Gorleben erinnert. An der Südseite des Platzes stehen Bänke in
einem kleinen Laubengang. In der Mitte ist eine Freifläche. Immer wieder
kam es zu Ruhestörungen und Auseinandersetzungen in der Umgebung. Es ist
einer der Orte, an denen obdachlose Menschen übernachten. Im Winter 2020
starb hier auch ein obdachloser junger Mann.
Die dämonisierte Trinker*innenszene besteht hauptsächlich aus älteren
Männern, die sich hier nach dem Feierabend teils seit über 35 Jahren
treffen, um zu schnacken, zu rauchen und Bier zu trinken. Sie ärgert die
Pauschalisierung. Natürlich komme es zu Konflikten, die Anwohner*innen
seien aber auch nicht besser. „Wenn die besoffen sind, benehmen die sich
genauso daneben“, sagt ein älterer Herr, der seinen Namen nicht in der
Zeitung lesen will. Und ja – die öffentliche Toilette sei in einem
desaströsen Zustand, das seien aber andere gewesen.
2018 war ein Regelkatalog zur Nutzung der Fläche vorgestellt worden. Die
Hannoversche Allgemeine Zeitung titelte gar „Anwohner erobern Platz zurück“
und goss nicht zum ersten Mal Öl ins Feuer. Der Konflikt zwischen den
Altbau-Loftbewohner*innen und denen, die auf dem Platz Zuflucht suchen,
hält bis heute an.
Für diejenigen, die in der Stadt Wohnungslose unterstützen, sind die
[3][Verdrängungsmechanismen] nicht neu. So erzählt Jan Goering, Vorstand
der Selbsthilfe für Wohnungslose (Sewo), seit der Expo 2000 verschwänden
nach und nach Nischen in der Innenstadt, in denen sich Wohnungs- und
Obdachlose aufhielten.
Zunächst wurden die Einkaufszone Passerelle und dann der Omnibusbahnhof
umgebaut. Durch eine Zentralisierung der Hilfsangebote ziehe es aber nach
wie vor viele Menschen in die Gegend um den Bahnhof. „Ein schlauer Mensch
sagte mal: Am hinteren Ende eines Bahnhofs kannst du sehen, wie es einer
Stadt geht“, sinniert Goering. In Hannover dürfe Armut im öffentlichen Raum
nicht sichtbar sein. Das passe nicht zur Außendarstellung der Stadt.
„Spricht eigentlich jemand mit den Menschen: Wie findest du das, dass die
Gesellschaft sagt, dass du dich hier nicht niederlassen darfst?“, fragt
Goering.
31 Mar 2022
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## AUTOREN
Michael Trammer
## TAGS
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