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# taz.de -- Träumen und Realitätsflucht: Luzide Träume
> Sogar Alpträume sind inzwischen besser als die Realität, findet unsere
> Autorin. Mit Techniken zum Luziden Träumen lassen jene sich
> kontrollieren.
Bild: Vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchtete Menschen in einem Zelt in Rum�…
Manche Träume enden nur mit Gewalt. Mit einem Stein, der durchs Fenster der
bürgerlichen Wohnung kracht und die selbst gezimmerte Utopie kaputtmacht.
An das Ende von Bernardo Bertoluccis Film „Die Träumer“ musste ich diese
Woche immer wieder denken, als alle Gespräche immer mit derselben dumpfen
Verzweiflung endeten (inzwischen wünscht man sich ja fast, dass Corona
wieder unser größtes Problem wäre).
In Bertoluccis Film über drei junge Suchende, Filmstudenten in Paris, gibt
es zwar viel revolutionäre Pose, tatsächlich aber ist er völlig
unpolitisch. Er ist ein sehnsuchtsvolles Schwelgen in Utopien von Jugend
und 68er-Idealen. Ein Traum, von dem man sich die ganzen 130 Minuten
wünscht, dass er niemals endet.
Solche Träume gibt es fast nur im Kino, nachts suchen einen ja eher banale
oder bedrohliche Bilder auf. Unbequem. Deshalb gibt es natürlich Menschen,
die ihre Träume steuern wollen. Soll man trainieren können, längst gibt es
Klartraum-Kurse, logisch. Und ich kann den Impuls ja verstehen. Zumindest
seit dem 24. Februar.
Denn was „wir“ hier in Westeuropa, im gemütlichen Zuhause erleben, ist ein
Albtraum. Wie Schlafende können wir den Horror, der sich vor unseren Augen
entfaltet, weder stoppen noch beeinflussen. Man wünscht sich, dass es
endet, aber bitte nicht mit einem Steinwurf. Nur: Wie dann?
Wir können weder einfach mit dem Finger schnippen und aufwachen, noch – wie
im Klartraum – Putin einfach umnieten. Klar, ich kann meine Couch
freiräumen und Geflüchtete beherbergen, ich kann Geld spenden oder – wenn
ich mich noch ein bisschen ohnmächtiger fühlen will – auf einer Demo
rumstehen.
Aber es ändert nichts am Leid tausend anderer. Nichts ändert was,
wahrscheinlich würde es [1][nicht mal der Stopp von Kohle und Gas]. Und der
deutsche Nachkriegstraum vom „Nie wieder!“ ist eh ausgeträumt. Eingreifen,
rumeiern, zuschauen, eine wirklich gute Option gibt’s irgendwie nicht.
So unberechenbar wie Putin sind inzwischen meine Gefühle. Und manchmal etwa
auf dem emotionalen Niveau meines vierjährigen Ichs. Auch damals war der
Osten schuld, wir wollten meine DDR-Großeltern besuchen und wurden an der
Grenze gestoppt. „Fahr einfach durch!“, hab ich meinen Vater angeschrien,
den steinernen Gesichtern der Grenzer Fratzen gezeigt. Genützt hat es
nichts.
Der erste Schritt, um seine [2][Träume] zu beeinflussen, so sagen die
Traum-Ingenieure und Manipulierer, sei es, sich im Traum bewusst zu werden,
dass man träumt. Luzides Träumen heißt das dann. Und ja, es ist
unerträglich, dem Sterben zuzusehen – wie es übrigens ja auch schon
unerträglich war in Syrien –, aber wir werden hinsehen müssen.
Beim Hinschauenmüssen endet dann aber auch der Traum-Vergleich, denn im
schlafenden Albtraum kommt niemand zu Schaden, im Gegenteil. Wenn man ihn
sich nicht schön luzidiert, kann er einem am nächsten Tag oft Interessantes
und Verdrängtes aus dem eigenen Leben erzählen – das ist zumindest meine
Erfahrung.
Und auch dieser sehr reale Albtraum fördert unschönen Ballast zutage,
[3][beiseitegeschobenen Selbstbetrug] etwa, vielleicht aber auch ein paar
gute Impulse für die Zukunft, ein paar davon dürften an diesem Freitag beim
weltweiten Klimastreik zur Sprache kommen.
Für die nächste Woche – und Wochen – träum ich noch ein bisschen weiter:
dass Träumen und Wachen wieder getrennt werden. Dass die nächtlichen Träume
uns erzählen, was wir tagsüber verpennt haben – so schmerzhaft und
drastisch wie eben manchmal nötig. Dass wir genau hinschauen, statt uns
mit immer neuen Techniken in den Schlaf zurückzulullen –, und dann
tagsüber ausgeschlafen genug sind, um zu handeln.
25 Mar 2022
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## AUTOREN
Ariane Lemme
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
Wladimir Putin
Musik
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Fridays For Future
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