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# taz.de -- Radsportklassiker Mailand-Sanremo: Der Erfinder rast runter
> Der Slowene Matej Mohorič riskiert beim ersten Radsportklassiker der
> Saison am meisten. Er siegt – auch dank seiner Experimentierfreude.
Bild: Legt sich quer für den Radsport: Matej Mohorič auf dem Weg zum Sieg
Sanremo taz | Gewöhnlich ist die [1][Classicissima] ein Sprinterrennen.
Viermal siegte hier der Berliner Erik Zabel, dreimal sein spanischer
Dauerkonkurrent Óscar Freire. In früheren Jahren war die italienische
Riviera auch Showbühne für Rundfahrer wie Eddy Merckx (7 Siege) oder Fausto
Coppi (3). In diesem Frühjahr stahl aber ein ganz anderer Spezialist den
Sprintern, Rundfahrern und Klassikerkönigen die Schau. Der Slowene Matej
Mohorič düpierte in der Abfahrt die Konkurrenz.
Mehrere hundert Meter Vorsprung holte er bei der Abwärtshatz über die
Serpentinen vom Poggio Richtung Sanremo heraus. Einmal überstand er eine
Beinahekollision, ein zweites Mal balancierte er sein wegrutschendes
Hinterrad gerade noch so aus. „Dabei verlor ich etwas Zeit. Ich habe aber
ein gutes Gefühl für den Moment entwickelt, in dem ein Pneu ins Rutschen
kommt. Ich kann das auffangen“, sagte er selbstbewusst im Ziel.
Zu verdanken hatte Mohorič diesen Erfolg auch seiner technologischen
Experimentierfreude. Denn er setzte als vermutlich erster Straßenprofi auf
World-Tour-Niveau eine absenkbare Sattelstütze ein. „Ich bin damit schon
bei den Strade Bianche gefahren. Da bin ich leider gestürzt. Aber die
tiefere Position bringt wegen der Aerodynamik beachtliche Zeitvorteile. Und
wenn man mehr Stabilität braucht, geht man wieder auf die höhere Position.
Für mich passt das perfekt.“
Seiner Ansicht nach wurden die im Mountainbikesport üblichen verstellbaren
Sattelstützen auf der Straße bislang wegen des höheren Gewichts nicht
eingesetzt. „Wir haben aber ein hyperleichtes Modell gefunden“, erzählt der
Slowene. Er war so überzeugt von seiner technischen Überlegenheit, dass er
während des Rennens zu den wichtigsten Konkurrenten fuhr und sie warnte,
ihm bloß nicht auf der Abfahrt zu folgen. Landsmann Tadej Pogačar
bestätigte später die Geschichte. „Ich sagte ihm, dass er verrückt sei.
Aber ich lobte ihn auch für die Idee. Er hat verdient gewonnen. Und auf der
Abfahrt ließ ich ihn vorbeifahren und dachte auch, dass lieber die anderen
ihn verfolgen sollten“, sagte der zweifache Tour-de-France-Sieger im Ziel.
Auch er ist der Meinung, dass die verstellbare Sattelstütze Vorteile
bringt. „Deshalb nutzen Mountainbiker das ja auch in der Abfahrt.“
## Mit Super Tuck und eventuell auch mit Tizanidin
Mohorič, mit seinen 27 Jahren vier Jahre älter, ist überzeugt, dass seine
Initiative schnell Verbreitung finden wird im Feld der Straßenprofis.
„Deshalb war dieses Jahr bei Mailand – Sanremo auch meine große Chance. Im
nächsten Jahr werden das viele haben.“
Mohorič ist damit schon zum zweiten Mal ein großer Innovator in Sachen
Abfahrt auf zwei Rädern. Vor neun Jahren wurde er bereits mit der
aerodynamischen [2][Super-Tuck-Position] berühmt. Weil die zumindest für
Ungeübte kreuzgefährlich ist – das Gesäß sitzt auf dem Rahmen, die
Sattelspitze pikst in den Rücken – wurde sie in der letzten Saison vom
Weltverband UCI verboten. Mit der durch einen Handgriff veränderbaren
Sitzposition durch die neue Sattelstütze sieht Mohorič aktuell sogar noch
größere Vorteile als durch den Super Tuck. Bezogen auf seine beiden
Innovationen meinte er munter: „Ich habe zweimal den Radsport gekillt.“
Nun, ganz tot ist der Radsport nicht. Und man darf sich mit Mohorič auch
darüber freuen, dass er in diesem Falle Vorteile durch das erlaubte
Austesten von Grenzbereichen erreicht hat. Sein Rennstall Bahrain
Victorious wurde während der letzten Tour de France Ziel einer Razzia der
französischen Antidopingspezialeinheit OCLAESP. Die Razzia förderte zutage,
dass mindestens drei Radprofis Spuren des Muskelmedikaments Tizanidin im
Körper hatten. Das ist zwar ebenfalls nicht verboten. Medikamente ohne
medizinische Indikation zu nehmen, gilt jedoch als Dopingpraxis. Die Namen
der betroffenen Profis wurden allerdings nicht veröffentlicht. So bleibt
die Sattelstütze das wichtigste Element der diesjährigen Classicissima.
20 Mar 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Tom Mustroph
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Radrennen
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