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# taz.de -- Radklassiker Mailand–Sanremo: Männer der siebten Stunde
> Der Belgier Wout van Aert gewinnt den extrem langen Radklassiker
> Mailand–Sanremo. Trotz Verbot säumen einige hundert Zuschauer die
> Straßen.
Bild: Enges Finale: Van Aert (r.) fährt nach 305 Kilometern knapp vor dem Fran…
Die Erleichterung war groß auf der Via Roma in Sanremo. Das längste
Radsportmonument der Welt, die „Classicissima“ von Mailand nach Sanremo,
war auch bei der erstmaligen Verlegung in den Hochsommer gut über die Bühne
gegangen. Es gab keine schlimmen Stürze wie zuletzt noch bei der
Polenrundfahrt.
„Aber das Finale in Sanremo ist auch anders, da geht es nicht abwärts ins
Ziel“, sagte Enrico Poitschke, Sportlicher Leiter bei Bora hansgrohe, in
Sanremo. „Ich verstehe sowieso nicht, warum diese Abfahrt trotz der
jahrelangen Kritik daran immer weiter genehmigt wurde. Es ist traurig, dass
erst so etwas Schlimmes passieren musste“, spielte er auf den Crash des
Niederländers Fabio Jakobsen an, der von seinem Kontrahenten Dylan
Groenewegen in die Absperrgitter gedrängt wurde und mit vielen schweren
Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
Der Sprint auf der Via Roma verlief jedenfalls fair ab. Die Erschöpfung
nach 305 Rennkilometern mochte da eine Rolle gespielt haben. Die
Kontrahenten Wout van Aert und Julian Alaphilippe – Letzterer pikanterweise
vom Rennstall des Sturzopfers Jacobsen, van Aert Teamkollege des
Sturzverursachers Groenewegen – sind aber auch keine bulligen
Massensprinter, die bei Hochgeschwindigkeit ihre Muskeln spielen lassen und
denen das Adrenalin im Blut immer mal wieder eine Lücke vor Augen
erscheinen lässt, die gar nicht vorhanden ist.
Van Aert und Alaphilippe sind Erschöpfungsfahrer. Sie sind noch stark, wenn
die anderen schon platt sind. Als „Männer nach der sechsten Stunde“
beschrieb Philippe Gilbert einst diese spezifische Gruppe von Rennfahrern,
die auch nach mehr als sechs Stunden Rennen immer noch die Kraft zum
Attackieren und Sprinten haben. Gilbert, Ex-Weltmeister und Sieger von vier
der insgesamt fünf Monumente, ist selbst so ein Fahrer der sechsten Stunde.
## Erleichterte Zuschauer
Van Aert und Alaphilippe machten an diesem Samstag aber eine neue Kategorie
auf. Sie sind Fahrer der siebten Stunde. Denn mehr als sieben Stunden
dauerte diese Classicissima. Sie war mit einer Strecke von 305 Kilometer
auch die längste seit der Erstaustragung im fernen Jahr 1907. Und die
schwerste. 500 Höhenmeter mehr als gewohnt waren zu bewältigen.
Auf dem erschwerten Kurs bezwang der neue Stern des Post-Lockdown-Sommers
van Aert den Wunderknaben des letzten Frühjahrs, Alaphilippe, ganz knapp
mit einer halben Radlänge. Er gewann nach den Strade Bianche letzte Woche
nun auch das zweite große Rennen des verkürzten Radsport-Kalenders. Rivale
Alaphilippe war im Frühjahr 2019 das gleiche Double geglückt. Danach trug
er zudem noch [1][bei der Tour de France lange das Gelbe Trikot].
Erleichtert waren nach dem Rennen auch viele Zuschauer. Es standen keine
Massen links und rechts der Rennstrecke, für Corona-Verhältnisse war die
Strecke aber dennoch gut gesäumt. Das überraschte etwas. Denn Sanremos
Stadtpolitiker hatten jedem 400 Euro Bußgeld angedroht, der an der Strecke
verharrte. Das Bußgeld sollte Massenansammlungen vermeiden. Die Drohung
löste aber vor allem Frust aus. „Das geht doch gar nicht. Wenn das Rennen
so schädlich ist für alle, sollen sie es doch gar nicht erst stattfinden
lassen“, murrte Domenico Messana. Er betreibt einen Radladen direkt neben
der Rennstrecke, auf dem allerletzten Kilometer der Classicissima sogar.
„Gewöhnlich gehen wir raus, wenn die Rennfahrer vorbeikommen. Jetzt kann
ich mich aber nicht einmal vor meinen Laden stellen. Das ist nicht fair“,
beklagte er sich.
Ob er sich doch raustraute, war dann nicht mehr zu ermitteln. Es standen
immerhin einige hundert Menschen am letzten Kilometer. „Bußgelder haben wir
aber nicht verteilt. Die Menschen waren alle vernünftig“, meinte ein
Polizist nach dem Rennen. Ende gut, alles gut also. Wenn Radsport doch nur
immer so einfach wäre.
9 Aug 2020
## LINKS
[1] /Fahrradrennen-Tour-de-France/!5606807
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
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