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# taz.de -- Kommunaldiplomatie jetzt: Städte führen keine Kriege
> Fast jede vierte russisch-deutsche Städtepartnerschaft wurde auf Eis
> gelegt, des Krieges wegen. Das ist Putin wurscht und hilft der Ukraine
> nicht.
Bild: Wohin geht's mit Partnerschaften? Celle hält auch im Krieg an Tjumen fest
Aller [1][Dinge Vater?] Na ja, wie man’s nimmt, aber es ist nicht falsch,
zu schreiben, dass die Idee der Städtepartnerschaft im Zweiten Weltkrieg
ihren entscheidenden Schub bekommen hat. Und zwar in dem Moment, als sie
als Bewegung von unten für den Frieden und als Zeichen der Solidarität
erscheinen konnte. Einer Bewegung, die sich – unterhalb der staatlichen
Ebene – um die Konfrontation politischer Blöcke nicht schert. Dadurch war
sie von vornherein wahrnehmbar ein pazifizierender Appell. Schlägt also
jetzt die Stunde der kommunalen Außenpolitik?
Städtepartnerschaften gibt es weltweit etwa 15.000, die meisten in Europa
und Nordamerika. Gerühmt werden sie als Medien des zivilen Kontakts von –
Achtung, Propagandagefahr! – „ganz gewöhnlichen Menschen“ über Grenzen …
Fronten hinweg. Dietmar Woesler vom Bonner Institut für europäische
Partnerschaften [2][nennt sie sogar „die größte Friedensbewegung der
Welt“].
Sie versprechen einen Austausch mit Menschen, mit Angehörigen – nicht
Vertretern – möglichst aller Konfliktparteien, vielleicht sogar an einem
neutralen Ort. Treffen sich Sumy und Tjumen im schnuckeligen Kaff Celle:
Fachwerk, Heide, Bienen. Frieden.
Keine Ahnung, was im Mittelalter darunter verstanden wurde, als die
[3][Bischofssitze Paderborn und Le Mans sich verbrüderten]. Das moderne
Konzept der Partner-, Sister- oder Twin-Cities war Anfang des 20.
Jahrhunderts in den USA und Europa aufgekommen – schon 1931 hat sich Toledo
(Ohio) mit Toledo (Kastilien) verpartnert – [4][und ist mittlerweile durch
diese Idee regelrecht geprägt].
## Auch im Kalten Krieg im Einsatz
Aber die prägende ideologische Ladung als Friedensinstrument bekommt es im
von den Nazis 1940 zerbombten Coventry. Zwei Jahre später, während der
Schlacht ums damalige Stalingrad, hatte eine Gruppe von fast 900 Frauen,
unterstützt von Coventrys Bürgermeisterin Emily Smith, einen Spendenaufruf
gestartet, um die sowjetischen Verteidiger mit Medizintechnik auszustatten:
mobilen Röntgengeräten.
Von den Frauen Stalingrads bekamen die Britinnen als Dank ein Fotoalbum,
signiert. Noch im Krieg, 1944, sollen die offiziellen Vertreter*innen
der Städte ein Freundschaftsabkommen unterzeichnet haben, heißt es.
[5][Mitten im Koreakrieg kam dann die Vizebürgermeisterin von Stalingrad,
Tatjana Murashkina], nach England, um es zu bekräftigen. Es hält noch immer
– auch wenn die russische Partnerin nun Wolgograd heißt.
Als The Guardian vor ein paar Jahren [6][diese Geschichte noch einmal
erzählte], hat er sie zutreffend „a tale“ genannt. Märchen blenden ja
wirklich stets die Interessenlagen aus, die sich in ihrer Handlung kreuzen.
Nach 1945 entstehen massenhaft Städtepartnerschaften, gerade auch
französisch- und britisch-deutsche. Aber das geschieht eben nicht allein
auf Betreiben „der Basis, um die durch zwei Weltkriege in Europa
aufgerissenen Wunden zu heilen“, wie es im „Handwörterbuch des politischen
Systems“ der Bundeszentrale für politische Bildung heißt.
Sie werden auch massiv top down gefördert, in Deutschland vom Auswärtigen
Amt – als friedenssichernde Maßnahme. Bloß kann das halt auch bedeuten,
dass sie Waffen sind im Kalten Krieg: Ziel sei es, mithilfe
zwischenmenschlicher Kontakte „jeden möglichen Spalt im Eisernen Vorhang zu
erweitern“, hatte US-Präsident Dwight D. Eisenhower am 11. September 1946
[7][die Idee des einschlägigen People-to-People-Programms skizziert.] Um
dann die mit freier Welt angefütterten Ärzte, Professoren, Studenten und
Führungskräfte „in unseren Kreis zu holen“.
Auch Zeithistoriker Stefan Goebel erinnert [8][mit Blick auf das
Stalingrad-Coventry-Modell daran], dass die „ordinary people“, die in den
1950er-Jahren an blockübergreifendem Austausch teilnahmen, „carefully
selected party cadres or loyal citizens“ gewesen seien, handverlesene
Parteikader auf sowjetischer Seite, treue Bürger auf der anderen.
Ob, in welchem Umfang und wie genau das funktioniert hat, ist kaum
erforscht: Zwischenmenschliche Beziehungen, kulturelle Transfers,
vielleicht auch Verständigungen auf Soft-Governance-Maßnahmen zeitigen
bestimmt Wirkungen. Wenn Menschen auf Menschen treffen, „von Angesicht zu
Angesicht“, wie [9][Philosoph Emmanuel Lévinas so was nennt], stellt das
diejenige emotionale Nähe her, die in Krisen belastbare Solidarität erzeugt
– siehe Celle. Man fühlt sich nicht nur stärker betroffen. Man ist es auch.
## Tschetschenien-Kriege weniger empörend
Aber wie zähl-, lenk- und beherrschbar mögen diese Effekte sein?
Feststellen lässt sich vielleicht, dass sie nur dort eintreten, wo die mit
der Partnerschaft verbundenen, von ihr ausgelösten Aktivitäten –
Schüleraustausch, Brieffreundschaften, Sportturniere – als relevanter
Faktor im gesellschaftlichen und kulturellen Leben wahrnehmbar sind.
Vergesst die Metropolen! Lebendige Partnerschaften finden sich eher in
Ober- und Unterzentren, maximal in kleineren Großstädten.
Greifbarer sind in Deutschland die Konjunkturen, denen
Städtepartnerschaften unterworfen sind. Initiiert werden sie von
politischen Ereignissen: Hamburg (SPD) und Sankt Petersburg, damals
Leningrad (KPdSU), reagierten 1957 per symbolischem Schulterschluss auf
Konrad Adenauers (CDU) Ankündigung, Atomraketen auf dem Gebiet der BRD zu
stationieren. Élysée-Vertrag (1963), Willy Brandts Ostpolitik in den frühen
1970ern, Nicaragua-Solidarität (ab 1979) lösen auf kommunaler Ebene jeweils
einen Verpartnerungsboom aus.
Aber danach fehlt diese Ebene fast völlig, sogar bei den seltenen
Kündigungen: Mal entfreundet man sich, weil die Beziehung eigentlich schon
lange eingeschlafen ist, mal, weil einer der Orte im Zuge einer
Gebietsreform irgendwo eingemeindet wurde, und mal, weil dem Gemeinderat
Leinsweiler (Pfalz) offenbar 2011 nach acht Jahren aufgefallen ist, dass
Ungarisch verflixt schwierig ist.
Aber nur sehr wenige der doch [10][hochpolitischen
Sandinista-Partnerschaften] wurden aufgrund der Machtergreifung Daniel
Ortegas infrage gestellt. Und es gibt zum Beispiel keinerlei Anzeichen
dafür, dass die Kriege von Boris Jelzin und später Wladimir Putin gegen
Tschetschenien die Städtediplomat*innen in irgendeiner Form gekümmert
hätte: Rund ein Drittel der russisch-deutschen Städtepartnerschaften wurde
besiegelt, während die liefen. Kaum eine hat man deshalb lautstark infrage
gestellt.
Dass dies nun vielfach geschieht – etwa jede vierte russisch-deutsche
Städtepartnerschaft ist eingefroren – belegt höchstens die Inkonsistenz
moralischer Standards und hilft der Ukraine wenig.
Vor allem aber weist es auf ein seltsames Verständnis der eigenen Rolle
hin: Denn Städte sind in Fragen staatlicher Souveränität radikal
inkompetent. Formal haben sie dazu nichts beizutragen: Städte führen keine
Kriege ([11][mehr]). Sie können sie weder erklären, noch können sie sie
beenden.
Gerade diese „Abwesenheit von Souveränität“ sei aber so etwas wie ihre
Superkraft („special virtue“), wenn es ans Lösen globaler Probleme geht,
hatte der Harvard-Politologe Benjamin Barber 2013 in seinem sehr
euphorischen Buch „If Mayors Ruled the World“ festgestellt. Denn gerade
„ihrr Mangel an formeller Macht eröffne ihnen Möglichkeiten des
Netzwerkens“.
Der Politologe Barber sieht das als eine optimale Antwort auf globale
Bedrohungen – durch multinationale Konzerne, durch Terror und ausdrücklich
auch durch Krieg. Städte können, auch wenn sie sich zusammentun, keinen
Frieden schließen. Aber sie vermögen ihn auf pragmatischer Ebene
herzustellen: Das konnten in Deutschland alle lernen, die in den
vergangenen 70 Jahren per Chorfahrt, Klassenreise oder Praktikumsbörse die
transnationale Infrastruktur genutzt haben, die geschaffen wurde durch
Städtepartnerschaften.
Im Krieg bleiben sie immerhin ein Versprechen darauf.
20 Mar 2022
## LINKS
[1] http://www.zeno.org/Philosophie/M/Heraklit+aus+Ephesus/Fragmente/Aus:+%C3%9…
[2] https://ipz-europa.de/
[3] https://www.paderborn.de/guiapplications/newsdesk/publications/Stadt_Paderb…
[4] http://www.toledosistercities.org/
[5] https://www.youtube.com/watch?v=rd8gTkWzu0E
[6] https://www.theguardian.com/cities/2016/mar/04/twin-cities-coventry-staling…
[7] https://d.lib.ncsu.edu/collections/catalog/AV2_FM_296-people2people#t=35
[8] https://www.kent.ac.uk/history/people/393/goebel-stefan
[9] https://ixtheo.de/Record/274067307#fulltextsearch
[10] https://infobuero-nicaragua.org/2021/11/deutsch-nicaraguanische-staedtepar…
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Bremisch-Schwedischer_Krieg
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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