# taz.de -- Essen gehen mit Kindern: Hauptsache, die stören nicht | |
> Paniert, frittiert, pragmatisch – Gerichte auf Kinderspeisekarten sind | |
> oft das Gegenteil von einfallsreich. Muss das sein? | |
Bild: Irgendwas malen und bloß kein Gemüse: Sind Kinder wirklich nicht anders… | |
Als kleinen Gruß aus der Küche, in der dieser Text entstanden ist, ein | |
Thesenhäppchen: Speisen, die in Restaurants für Kinder angeboten werden, | |
sollen in erster Linie die Kleinen ruhigstellen, damit der Rest der | |
Tischgesellschaft einen netten Abend hat und auch sonst niemand im | |
Restaurant gestört wird. | |
Kinderspeisekarten sind Ausdruck dieser Tatsache, darauf weist oft schon | |
ihre verbreitete Gestaltung als Ausmalbild hin, Buntstifte werden in einem | |
Glas dazu gereicht. Die Kinder sollen sich beschäftigen, Ausmalbilder – die | |
wohl stupideste Art der Langeweilevermeidungstechniken – übernehmen die | |
Funktion eines Au-pairs, das still im Hintergrund wirkt, bis ein Glas Fanta | |
umfällt. Na ja, kann passieren, der Kellner wischt’s weg. Wann kommt das | |
Essen denn endlich? | |
Noch deutlicher bestätigen die auf den Kinderspeisekarten annoncierten | |
Gerichte, dass hier Genuss, ausgewogene Ernährung, Fragen gar nach Haltung | |
und Herkunft der verwendeten Lebensmittel bestenfalls untergeordnet sind. | |
Es stehen dort immer dieselben Gerichte drauf, die auch noch besonders | |
infantile Namen tragen – Fischstäbchen mit Kartoffelbrei („Arielle, die | |
Meerjungfrau“), Bratwürstchen mit Kartoffelbrei („Räuber Hotzenplotz“), | |
paniertes Schweineschnitztel mit Pommes und Ketchup („Rudi Rüssel“), | |
Hähnchennuggets mit Pommes („Tigerente“). Als wäre Essen nur ein Spiel. | |
Geschmack, Einfallsreichtum, das Besondere, das einem Koch eigentlich | |
Auftrag sein müsste, Ehre und Motivation? Hier nicht, im Gegenteil: Das | |
Zeug, das massenhaft auf den Kindertellern deutscher Restaurants landet, | |
muss möglichst fettig sein, paniert, frittiert, niedere Gelüste wecken, | |
darf nichts wagen, muss konsensual sein. Hier geht es nur darum, die | |
Kleinen schnell und pragmatisch satt zu bekommen. | |
## Das „Kinderspeisekartendilemma“ | |
Dabei achten Eltern ja sonst durchaus auf gute Ernährung. Und man geht doch | |
ins Restaurant, weil man sich etwas Besonderes, etwas Besseres gönnen | |
möchte. Warum sollten die Kinder dann etwas Schlechteres bekommen? | |
Anruf bei Helmut Heseker, der sich sein Berufsleben lang mit gesunder | |
Ernährung beschäftigt hat und es privat immer noch tut. Gerade ist er | |
dabei, Tomaten zu häuten, Möhren zu schnibbeln, er bereitet ein Gulasch zu | |
– dem flexitarischen Geist entsprechend, der bei ihm und seiner Frau zu | |
Hause weht, mit wenig Fleisch und viel Gemüse. Die Enkelkinder werden zum | |
Mittagessen erwartet, wegen Corona gehen sie derzeit nicht in die Kita, Opa | |
und Oma sorgen fürs Mittagessen. Heseker war bis vergangenes Jahr | |
Professor für Ernährungswissenschaft in Paderborn, sechs Jahre war er | |
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. | |
Er nennt das, was sich beim Essen mit Kindern im Restaurant zuträgt, das | |
„Kinderspeisekartendilemma“: Die Gerichte sind stets von hoher Energie- | |
und niedriger Nährstoffdichte, sind fettreich und kochsalzlastig. Gemüse, | |
Vollkornprodukte, Salat, Obst sind selten zu finden. Trotzdem gibt es kaum | |
Alternativen, weil das Angebot eine Win-win-Situation ist: Die Eltern haben | |
ihre Ruhe, und die Wirte müssen sich nicht den Vorwurf machen, dass ihr | |
Essen unter Geschimpfe zurückgewiesen wird. Denn das ist ja leider auch | |
Teil des Problems: Kinder sind verdammt wählerisch. Manche Restaurants | |
haben den Umstand schon mit ironischen Namen für Kindergerichte gewürdigt, | |
die heißen dann „Schmeckt mir nicht“, „Hab keinen Hunger“, „Ich wei�… | |
und so weiter. Für drei Sekunden ist das sogar lustig. | |
## Gemüse unterjubeln | |
Helmut Heseker klingt zwischen den klappernden Töpfen sehr entspannt. Und | |
das Sympathische: Ganz nebenbei und ohne zu dozieren, weist er einem den | |
Weg, der wiederum eines Tages in besseren Kinderspeisekarten münden oder | |
diese gar ganz überflüssig machen könnte. Er sagt, wenn sie für die | |
Enkelkinder kochten, würden sie es schaffen, „Gemüse unterzujubeln“ – | |
selbstverständlich ist die Aufnahme von Möhren, Erbsen, Sellerie also | |
offenbar auch bei ihm nicht. Manchmal werde gemurrt, „aber es klappt doch“. | |
Kurzer Zwischengang: Eine Anfrage an das Auslandskorrespondentennetzwerk | |
weltreporter.net hat ergeben, dass in den meisten Ländern | |
Kinderspeisekarten gar nicht existieren, sondern dass die Kinder das essen, | |
was auch die Eltern serviert bekommen. Sie kriegen einfach etwas davon ab. | |
(Es gibt allerdings natürlich auch Länder, da geht man gar nicht essen oder | |
nur sehr selten. Und wenn man essen geht, dann geht man in ein | |
Fast-Food-Resto, wo es dann Frittiertes gibt. Für alle.) Okay, solche | |
leeren Teller zum Mitessen bei den Großen gibt es hier auch, sie heißen | |
dann, wieder kindgerecht gelabelt, „Räuberteller“, und kosten manchmal | |
sogar ein paar Euro, was wiederum viel erzählt über Geschäftemacherei im | |
Gastrogewerbe und überhaupt Kundenfreundlichkeitsweltmeister BR | |
Deutschland. | |
Also zurück zum Hauptgang: Der Schlüssel zur besseren Ernährung in | |
Restaurants liegt zu Hause in der eigenen Küche. Einfach öfter mal etwas | |
Gemüse unterjubeln, wie es Heseker sagt, der – auch sehr trickreich – | |
unters Kartoffelpürree eine Süßkartoffel mischt, weil das die Farbe | |
attraktiver macht und den Geschmack hebt. Nur Kartoffel wäre vielleicht | |
etwas langweilig, der Zusatz schafft dagegen im besten Falle sogar | |
Entdeckerlust. („Mmmh, was war denn das? Warum war der Kartoffelbrei so | |
orangefarben? Können wir das mal wieder machen?“) | |
## Wir könnten bessere Esser sein | |
Die Wirte, die dann zukünftig am Ende dieser Verkostungskette stünden, | |
würden sich kreativ kochend betätigen können, und trotzdem würden alle | |
ganz entspannt am Restauranttisch sitzen und miteinander speisen – hier mal | |
probieren, da versuchen, niemand würde malen müssen, keine Thekenkraft wäre | |
jemals genötigt, sich kindgerechte Namen für Gerichte ausdenken zu müssen, | |
die nur Mampf sind. | |
Okay, es wird noch dauern, ehe wir in dieses goldene Zeitalter vordringen. | |
Irgendjemand hat mal behauptet, man müsse Kindern ungefähr zehnmal etwas | |
anbieten – „vorsetzen“, um es angemessen technisch auszudrücken –, ehe… | |
bereit seien, es selbstverständlich und dann auch immer wieder zu essen. | |
Und da so eine Versuchsreihe eher nicht in einem Restaurant durchgeführt | |
werden sollte, sind Hartnäckigkeit und Geduld der kochenden Eltern gefragt. | |
Hier wird die Dehoga leise jubeln, denn der Branchenverband des deutschen | |
Hotel- und Gaststättengewerbes reagiert stets etwas pikiert, wenn es um die | |
Kinderspeisekartenthematik geht, und weist die Verantwortung seiner | |
Betriebe gern zurück. Aber es ist doch auch ganz schön, wenn die Dehoga | |
sich mal freuen kann in Zeiten, in denen die ganze Branche wegen Corona | |
darbt. | |
Bald kehren wir wieder in die Restaurants zurück, vielleicht sogar als | |
bessere Esser, von Kindesbeinen an. Bis dahin: ausprobieren, unterjubeln, | |
schmackhaft machen, nicht verzagen. | |
20 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
## TAGS | |
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Leipzig | |
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