| # taz.de -- Gentherapie bei Bluterkrankheit: Heilbar, nur wie lange? | |
| > Bluter sind lebenslang auf Spritzen oder Blutpräparate angewiesen. Eine | |
| > Studie zeigt nun erstmals: Der Gendefekt lässt sich weitgehend beheben. | |
| Bild: Bei der Bluterkrankheit Hämophilie sind Gene defekt, die dafür sorgen, … | |
| Berlin taz | Für die Mehrheit der Menschen ist der Kontakt mit einer | |
| Tischkante schmerzhaft, aber selten gefährlich. Auch ein kleiner Luftsprung | |
| geht meist glimpflich aus, selbst wenn es ein paar feine Blutgefäße in den | |
| Gelenken dahinrupft. Ein wenig Blut strömt ins Gewebe, dann wird das Leck | |
| vom Körper gestopft – zumindest bei Gesunden. | |
| Sogenannte Bluter können jedoch selbst an kleinsten Verletzungen sterben. | |
| Ein Erbdefekt stört ihre Blutgerinnung, vor allem innere Blutungen werden | |
| nicht gestillt. Die Patienten, die fast ausschließlich männlich sind, | |
| bleiben ein Leben lang auf Medikamente angewiesen. Bisher jedenfalls. Die | |
| Hoffnung wächst, dass sich das absehbar ändern könnte. | |
| Erstmals hat ein US-Forschungsteam im Rahmen einer klinischen | |
| Wirksamkeitsstudie gezeigt, dass die Bluterkrankheit oder Hämophilie | |
| heilbar ist. Wie Biomediziner:innen im New England Journals of | |
| Medicine berichten, war mehr als ein Drittel der 134 teilnehmenden Bluter | |
| ein Jahr nach der Behandlung nicht mehr hämophil, weitere 50 Prozent hatten | |
| nur noch leichte Gerinnungsstörungen. | |
| Insgesamt sank der Bedarf an Gerinnungspräparaten unter den Probanden | |
| binnen eines Jahres um mehr als 98 Prozent. Nebenwirkungen traten zwar bei | |
| allen Teilnehmern der Studie auf, waren jedoch meist mild und behandelbar. | |
| ## Viele Bluter starben an HIV | |
| Die Bluterkrankheit ist keine sehr häufige Erkrankung, dennoch erlangte sie | |
| in den 1980er Jahren tragische Berühmtheit. Unter Blutern kam es damals | |
| weltweit zu einer Welle von HIV-Infektionen, der Aidserreger wurde durch | |
| die damals noch ungeprüften Blutpräparate zur Behandlung der Hämophilie | |
| übertragen. Viele Betroffene starben noch vor der Entwicklung wirksamer | |
| HIV-Medikamente. | |
| Ihre Ursache hat die Bluterkrankheit in genetischen Defekte des | |
| Gerinnungssystems. Hämophilie-A-Patienten fehlt aufgrund eines solchen | |
| Defekts der Gerinnungsfaktor VIII, kurz Faktor acht genannt. In | |
| Hämophilie-B-Patienten ist das Gen für den Gerinnungsfaktor IX, kurz Faktor | |
| neun oder auch Christmas-Faktor genannt. Das Protein war 1952 erstmals in | |
| Blutproben von Stephen Christmas entdeckt worden, einem damals fünfjährigen | |
| Jungen, der sich über die zur Therapie nötigen Blutprodukte später mit HIV | |
| infizierte und an Aids starb. Hämophilie B wird heute oft noch als | |
| Christmas-Krankheit bezeichnet. | |
| Beide Typen der Bluterkrankheit kommen fast ausschließlich bei Männern vor, | |
| weil die Gene der beiden Gerinnungsfaktoren auf dem sogenannten X-Chromosom | |
| sitzen, einem Geschlechtschromosom, das bei Männern nur einfach, bei Frauen | |
| aber doppelt vorhanden ist. Frauen haben deshalb meist eine gesunde zweite | |
| Kopie des Erbanlage für den Faktor und werden nicht krank. Sie vererben die | |
| Krankheit aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an ihre Söhne oder | |
| über die Töchter auch an ihre Enkel. | |
| Bisher wird eine Hämophilie behandelt, indem der fehlende Gerinnungsfaktor | |
| regelmäßig zugeführt wird. Neben aus menschlichem Blut gewonnenen | |
| Präparaten stehen heute zwar auch länger wirksame, gentechnisch | |
| hergestellte Faktoren zur Verfügung. Dennoch müssen die Betroffenen auch | |
| diese Mittel in der Regel mehrfach wöchentlich intravenös spritzen, um | |
| weitestgehend normal leben zu können. Zudem entwickelt das körpereigene | |
| Immunsystem bei einem substanziellen Teil der Patienten Antikörper gegen | |
| die zugeführten Gerinnungsfaktoren. Die Wirkung der Injektionen wird | |
| dadurch stark eingeschränkt. | |
| ## Frühe Misserfolge | |
| Eine Heilung der Bluterkrankheit ist nur durch den Ersatz der defekten | |
| Erbanlage möglich. Forschungen dazu begannen bereits in den Neunzigern, als | |
| erste gentherapeutische Ansätze auch für andere Leiden erprobt wurden. Das | |
| Konzept bestand und besteht darin, gesunde Kopien von defekten oder | |
| fehlenden Genen mithilfe einer sogenannten Genfähre – fachsprachlich Vektor | |
| – in den Körper und die Zellen einzuschleusen. Als Fähren dienen dabei bis | |
| heute Viren, die Menschen nicht krank machen, aber zuverlässig in | |
| menschliche Zellen eindringen können, damit ihr Gepäck auch zur Entfaltung | |
| kommt. | |
| Die ersten Jahre, in denen solche Therapien an Patient:innen erprobt | |
| wurden, endeten jedoch nicht glücklich. In einigen Studien lösten die | |
| Vektoren heftige, teils tödliche Immunreaktionen aus, in anderen Tests | |
| verursachten sie bei den Patienten Krebs. Das Forschungsfeld lag wegen | |
| dieser Zwischenfälle lange Zeit fast brach, seither bemühten sich | |
| Forscher:innen, das zentrale Problem der unzuverlässigen delivery, der | |
| Lieferung von Erbgutschnipseln mittels Genfähren, zu lösen. | |
| Seit etwa fünf Jahren sieht es so aus, als sei komme man einer Lösung | |
| allmählich nahe. 2017 wurden zahlreiche viel versprechende Ergebnisse neuer | |
| Gentherapiestudien veröffentlicht – darunter Resultate einer ersten Studie | |
| mit Blutern. Zehn Patienten wurde mit einer neuartigen Genfähre das intakte | |
| Gen in Zellen der Leber eingeschleust. Der Vektor, der aus einem | |
| adeno-assoziierten Virus (AAV) entwickelt worden war, erwies sich als | |
| unproblematisch. Die Therapie zeigte zugleich Wirkung: Nach einem halben | |
| Jahr waren acht der zehn Probanden unabhängig von einer Medikation durch | |
| Spritzen. | |
| Die neue Studie bestätigt nun den Erfolg von damals. Und sie legt auch | |
| nahe, dass die neue Genfähre zuverlässig ist. „Die relativ große Zahl von | |
| Patienten in der Studie spricht für eine hohe unmittelbare Sicherheit | |
| dieser Gentherapie mit AAV-Vektoren bei Erwachsenen“, sagt Boris Fehse vom | |
| Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Bei Kindern hatte es zuletzt | |
| schwere immunologische Nebenwirkungen mit AAV-Genfähren gegeben. Es gibt | |
| aber noch weitere Sicherheitsbedenken, sagt der Biomediziner Fehse: So | |
| könnten sich die Genfähren zufällig in das Erbgut der Zellen einbauen. Aus | |
| diesem Grund seien deshalb längere Nachbeobachtungen erforderlich. | |
| ## Experten dämpfen Erwartungen | |
| Selbiges wird auch für die Wirkung gelten. Auch hier hatten kleinere | |
| Untersuchungen bereits gezeigt, dass der Effekt der Gentherapie nach zwei | |
| bis drei Jahren schwindet. „Ein Nachteil ist sicherlich, dass man mit | |
| dieser gentherapeutischen Konstellation nur einen Schuss hat“, sagt der | |
| Forscher. Sollten sich die Leberzellen, die das neue Gen enthalten, | |
| erneuern – etwa infolge einer Hepatitis oder auch durch Alkoholkonsum – | |
| versiege auch die Produktion des Gerinnungsfaktors. „Ein weiteres Mal lässt | |
| sich die gleiche Gentherapie aber wahrscheinlich nicht an einem Patienten | |
| durchführen, weil das Immunsystem die Genfähren bei einem zweiten Kontakt | |
| erkennt und abfängt.“ | |
| Für Fehse wie auch andere Experten ist klar, dass eine direkte Korrektur – | |
| ein Editieren – des defekten Gens prinzipiell nachhaltiger sein dürfte als | |
| die bloße Ergänzung durch ein zusätzliches, gesundes Gen, das aber nicht | |
| Teil des Erbguts wird. Editierte Zellen würden das korrigierte Gen im | |
| Rahmen einer Zellteilung weitergeben, es ginge nicht so einfach verloren. | |
| Möglich wäre ein gezieltes Editing in Leberzellen etwa mit der Genschere | |
| Crispr-Cas9, die das Erbgut sehr präzise punktuell verändern kann. | |
| Allerdings müssten solche programmierten molekularen Scheren auch in die | |
| Zellen gebracht werden – und zwar in möglichst viele, weil je Zelle nur ein | |
| Gen korrigiert werden könne. | |
| „Ein Vorteil der Gentherapie, wie sie jetzt untersucht wurde, ist, dass je | |
| Zelle mehrere Kopien des gesunden Gens eingeschleust werden können“, sagt | |
| Fehse. Wenn nur ein kleiner Teil der Zellen im sehr großen Organ Leber von | |
| den Vektoren erreicht würde, sei der Effekt schon sehr groß. Insofern ist | |
| man tatsächlich einen Schritt weiter. Zu Ende ist der Weg allerdings noch | |
| nicht. Man hat ihn gerade erst beschritten. | |
| 18 Mar 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Kathrin Zinkant | |
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