# taz.de -- Blau-gelber Nationalkitsch: Holt die Flaggen ein | |
> Wer Solidarität mit den Menschen in der Ukraine zeigen will, sollte das | |
> anders tun, als mit Nationalflaggen zu wedeln. Denn das erzeugt mehr | |
> Hass. | |
Bild: Auf dem Weg zum Horizont: Empathie für die Ukrainer:innen | |
Es gibt viele gute Wege, sich gegen den Krieg und für Geflüchtete zu | |
engagieren und seine Solidarität mit den Opfern zu zeigen. Eine blau-gelbe | |
Flagge in sein Twitter-Profil oder aus dem Fenster zu hängen, mit Kindern | |
[1][blau-gelbe Blumen auf dem Schulhof] zu pflanzen oder blau-gelbe | |
Freundschaftsarmbänder zu knüpfen, gehört ganz sicher nicht dazu. Wer den | |
Nationalkitsch unbedingt braucht, soll sich das bitte für Fußballspiele | |
aufsparen. Da gehören die Emotionen hin, die so erzeugt werden. | |
Nicht nur bei Kindern und Jugendlichen entsteht derzeit der falsche | |
Eindruck, im Krieg könne es wie bei einer Weltmeisterschaft Gewinner und | |
Verlierer geben. Und noch schlimmer: Mit der einseitigen Parteinahme für | |
ein Land – zudem eins, von dem nur wenige vor dem Krieg eine Vorstellung | |
hatten – wird ein Bild von Opfern und Tätern geschaffen, von Guten und | |
Bösen. Die Flagge hat Pop-Charakter, die Story „David gegen Goliath“ | |
[2][mit einem kameratauglichen und -gewohnten Helden] lässt das Ganze wie | |
einen Film erscheinen, in dem „die Russen“ wieder mal den Part der Schurken | |
bekommen. | |
Das ist einerseits unangemessen angesichts des realen Leids. So entsteht | |
keine Empathie, etwa mit den Eingekesselten in Mariupol, im Gegenteil, es | |
schafft Distanz. Flaggen-wedelnd und Button-tragend können wir uns das | |
Elend spitzenmäßig vom Hals halten und die ganze Scheiße besser aushalten. | |
Denn wir gaukeln so Handeln vor, tun damit aber nur etwas für uns, für | |
unser Wohlgefühl. So wie Spenden, nur billiger und weniger effektiv. | |
Ein solcher Betroffenheitskult ist genau so unerträglich wie vor sieben | |
Jahren die [3][vielfach wiederholte Behauptung „Je suis Charlie“] nach dem | |
Terroranschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift | |
Charlie Hebdo. Nein, wer nicht selbst dabei war, war nicht Opfer eines | |
Attentats, verlor Leben, Gesundheit oder Freund:innen. Genauso wenig „sind | |
wir Ukraine“. Wir sitzen im Trockenen und manche ziehen sich wieder mit | |
wohligem Schauder die Nachrichtenbilder rein und zittern für „unsere“ | |
Mannschaft – Pardon, „unsere“ Kämpfer:innen: Die mutigen Ukrainer:innen,… | |
deren Haut wir nicht stecken wollen. | |
Das andere Problem mit der Fixierung auf die zwei Knallfarben Gelb und | |
Blau: So geht verloren, dass noch sehr viele andere Menschen auf der ganzen | |
Welt ebenfalls Opfer von Putins Politik sind. Manche, als Soldat:innen, | |
auch in der Weise, dass sie ihr Leben verlieren. Andere, weil sie gegen den | |
Krieg demonstrieren oder sie ihre Arbeit verlieren werden infolge der | |
wirtschaftlichen Sanktionen und Kriegsfolgen. Und ja, es gehen in Russland | |
nur wenige auf die Straße, sei es aus Angst – vergleiche: demonstrieren in | |
Berlin oder in Moskau – sei es, weil sie die Lügen des Kreml glauben. | |
Glauben wollen. | |
Aber auch mit ihnen werden wir weiter zusammenleben müssen, während des | |
Krieges und danach. Einerseits in einer Weltgemeinschaft, andererseits hier | |
in Deutschland, als Nachbar:innen oder Schüler:innen, die sich den | |
Schulhof teilen. Deshalb wäre es besser, gelb-blau-rot-weiße | |
Freundschaftsarmbänder zu knüpfen, Friedenstauben- und Peace-Flaggen | |
aufzuhängen. Nebenbei würde so daran erinnert, dass es noch viele andere | |
Kriege gab und gibt. | |
Das heißt nicht, das Leid der Ukrainer:innen zu relativieren oder zum | |
Putinversteher zu mutieren. Es heißt nur, sich einem Schwarz-Weiß-Denken zu | |
verweigern, das genau den Hass schürt, den es vermeintlich bekämpfen soll. | |
24 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Diskriminierung-von-russischen-Menschen/!5839133 | |
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/wolodymyr-selenskyj-die-verehrun… | |
[3] /Gemeinsames-Trauern-im-Netz/!5315612 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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