# taz.de -- Protest gegen Putins Krieg: Putinocchio und Friedenstauben | |
> In vielen deutschen Städten wie in Berlin gingen am Sonntag mehr als | |
> hundertausend Menschen gegen den Ukraine-Krieg auf die Straße. | |
Bild: Klartext auf der Demonstration gegen den Ukraine-Krieg in Berlin am 13.03… | |
BERLIN taz | Vor dem Fernsehturm sitzt Putin an einem Tisch, der so lang | |
ist wie seine Nase. „Putinocchio“ steht darüber. Es ist eins von hunderten | |
Schildern und blau-gelben Flaggen, die am Sonntag die Straßen in | |
Berlin-Mitte schmücken. Deutschlandweit gingen erneut mehr als | |
hunderttausend Menschen gegen den Angriff auf die Ukraine auf die Straße, | |
in Berlin sind es Zehntausende. Das Bündnis „Stoppt den Krieg“ hatte zu | |
Versammlungen in einigen deutschen Städten wie Leipzig, Hamburg, Stuttgart | |
und eben Berlin aufgerufen. | |
[1][Betroffenheit ist den Menschen auf dem Alexanderplatz], dem Startpunkt | |
der Demonstration, deutlich anzumerken. Viele gehen schweigend, die Hände | |
hinter dem Rücken verschränkt oder bei ihren Mitdemonstrant*innen | |
untergehakt. Nur vereinzelt skandiert jemand: „Hoch die internationale | |
Solidarität“, Musik ist kaum zu hören. | |
Auch Nikolai Ivanov ist sichtlich bewegt von den Ereignissen der letzten | |
Tage. Der 48-jährige Kunsthistoriker lebte bis vor dreieinhalb Jahren in | |
Sankt-Petersburg. Seit zwanzig Jahren engagiert er sich bei [2][Memorial, | |
einer russischen Bürgerrechtsorganisation], die sich für die Aufarbeitung | |
der Verbrechen des Stalin-Regimes einsetzt und Menschenrechtsverletzungen | |
in Russland aufdeckt. Im vergangenen Dezember wurde sie in Russland durch | |
den Obersten Gerichtshof verboten, unter anderem, weil sie zur | |
Destabilisierung des Justizsystems beitrage, hieß es in der Begründung. | |
Obwohl er mittlerweile in Berlin lebt, steht Ivanov mit Aktivist*innen | |
in Russland in stetigem Kontakt. „Meine Freunde dort stehen unter großem | |
Druck“, erzählt er. Wer kann, verlasse das Land. Viele hätten jedoch kein | |
Geld für den Umzug oder blieben wegen pflegebedürftiger Angehöriger. | |
Dass Putins Regime repressiver werden würde, habe sich schon 2014 | |
angekündigt. „Es war nicht nur der Krieg auf der Krim. Man hat das in | |
Europa nicht so verfolgt, aber in Russland haben wir jeden Tag Zeichen der | |
Unterdrückung von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten gesehen. Viele | |
von ihnen verloren ihre Jobs oder bekamen hohe Geldstrafen, manche wurden | |
verprügelt oder verhaftet, weil sie zu Demonstrationen gegen den Krieg | |
gingen.“ Dass so viele Menschen in der EU Solidarität mit Ukrainer*innen, | |
aber auch mit russischen Oppositionellen zeigten, berühre ihn. „Wenn ich | |
meinen Bekannten diese Bilder zeige, merke ich: sie brauchen das dringend, | |
sie sind dankbar für jede Unterstützung“, sagt er und deutet auf die | |
Menschenmenge vor ihm. | |
## Der Protest – ein Zeichen für Demokratie | |
Dort versammeln sich gerade Familien mit Kindern, ältere Menschen mit | |
Fahrrädern und Rollatoren, junge Leute mit Regenbogenfahnen und | |
Antifa-Pullovern. Ein Kind trägt ein Schild, auf dem in Star-Wars-Schrift | |
„Stop Wars“ geschrieben steht. Ein anderes hält eine aus Pappmaché | |
gebastelte Friedenstaube in die Luft. | |
„Putin interessiert das herzlich wenig“, sagt ein junger Mann namens Jakob. | |
Aber es sei immerhin ein Zeichen, auch für uns, für die Demokratie und den | |
europäischen Zusammenhalt. Vor zwei Wochen hatte das Bündnis „Stoppt den | |
Krieg“ schon einmal zu Protesten aufgerufen. In Berlin gingen nach | |
Polizeiangaben mehr als hunderttausend Menschen auf die Straße. Da habe man | |
zumindest noch konkrete Sanktionen gegen Russland fordern können, die jetzt | |
erlassen wurden, sagt der Demonstrant. Nun sei der Protest eher symbolisch, | |
mehr könne man nicht machen. Dass die NATO militärisch in den Krieg | |
eingreift, zum Beispiel durch eine Flugverbotszone, lehne er ab. | |
Genau das würde ihren Landsleuten helfen, meint dagegen Sofia Balamar. | |
„NATO close the sky over ukraine“, hat sie in großen blau-gelben Buchstaben | |
auf ein Plakat geschrieben. Die 18-Jährige ist vergangene Woche aus Kiew, | |
ihrer Heimatstadt, geflohen und bei Verwandten in Berlin untergekommen. | |
„Die Menschen aus meinem Land leiden. Sie sitzen in den Kellern, haben | |
nichts zu essen und nichts zu trinken.“ Deshalb gehe sie hier auf die | |
Straße, sagt sie, „die NATO muss uns helfen.“ Auch die wirtschaftlichen | |
Beziehungen, die insbesondere Deutschland nach Russland halte, müssten | |
gekappt werden. | |
Dass die Sanktionen wirklich etwas bewirken, bezweifelt Nikolai Ivanov, der | |
Memorial-Aktivist. In Russland stünden viele Menschen hinter Putin, die | |
Propaganda wirke. Dass sich die Russ*innen gegen Putin auflehnen werden, | |
hält er für unwahrscheinlich. Im Gegenteil: „Die Menschen werden nicht auf | |
die Straßen gehen. Sie sind bereit zu leiden für Putin, dem sie vertrauen. | |
Sie werden ihn nur noch mehr unterstützen. Es wird für sie sogar eine Art | |
heilendes Gefühl auslösen, das sie verbindet, weil sie denken, dass sie | |
etwas tun, was richtig ist: Putin zu helfen.“ | |
## Peace-Zeichen, Friedenstauben und eine Litauen-Flagge | |
Dabei zeige sich gerade am Krieg und an den offenbar schlecht ausgerüsteten | |
russischen Truppen, wie wenig das Bild, das Putin von Russland gezeichnet | |
habe, zutreffe. „Putins Russland ist eine Geschichte, hinter der sich | |
nichts verbirgt. In Wirklichkeit funktioniert in Russland nichts, die | |
Menschen sind arm, es gibt keine eigene Industrie.“ Auch die Ölvorkommen | |
würden daran nichts ändern, nicht für die Bevölkerung. Ivanov ist sich | |
sicher, er möchte es sein: „Die Ukraine wird gewinnen.“ | |
Und dann? In jedem Fall blieben Traumata, sagen Elena und Žilvinas. | |
Inmitten der vielen Plakate, Peace-Zeichen und Friedenstauben schwenken sie | |
eine große gelb-grün-rote Flagge für Litauen, ihr Heimatland. Sie fühlen | |
mit den Ukrainer*innen, sagen sie. „Was sie erleben, kennen wir von unseren | |
Eltern und Großeltern, die durch den Krieg traumatisiert sind“, sagt Elena. | |
„Die Angst wohnt immer noch in uns.“ | |
Dass Putin auch das Baltikum und damit EU-Staaten angreifen werde, glaubt | |
sie nicht. Žilvinas widerspricht ihr: „Das ist schon eine Möglichkeit, | |
Putin hat schließlich keine Logik mehr.“ „Putins Wahrnehmung der | |
Wirklichkeit ist verzerrt“, sagt auch Ivanov. „Er dachte, nach der | |
schwachen Reaktion Europas auf die Annexion der Krim wäre der Krieg in der | |
Ukraine eine klare Sache.“ Eine realistische Einschätzung der Streitkräfte | |
gebe es im Kreml nicht, auch, weil sich Putin wegen der Pandemie für zwei | |
Jahre komplett isoliert habe. „Sie haben den langen Tisch gesehen“, sagt | |
Ivanov. Den langen Tisch – und die lange Nase. | |
13 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Jette Wiese | |
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