| # taz.de -- Gespaltener Fußballklub in Spanien: Aus Trotz oder Strategie? | |
| > Rayo Vallecano ist mit seinen linken Fans das „St. Pauli des spanischen | |
| > Fußballs“. Doch der Besitzer ist offen gegenüber Frauenhass und | |
| > Rechtsextremen. | |
| Bild: Der umstrittene Boss von Rayo Vallecano, Raúl Martín Presa, auf der Ehr… | |
| Am Weltfrauentag gab es wieder so eine Merkwürdigkeit bei Rayo Vallecano. | |
| Per Twitter gedachte der Madrider Fußball-Erstligist allen Corona-Opfern, | |
| „da sich der Beginn der schrecklichen Pandemie in unserem Land zum zweiten | |
| Mal jährt“. An sich eine feine Geste – die für viele Fans durch die | |
| Verbindung der Daten allerdings einen faden Beigeschmack erhielt. Denn die | |
| These, [1][dass erst feministische Großdemonstrationen am 8. März 2020 den | |
| Virus entscheidend verbreiteten], ist in Spanien so etwas wie rechtes | |
| Standardlatein. | |
| Freilich ist so ein Tweet natürlich nur eine Petitesse im Vergleich zu der | |
| Angelegenheit, die Spanien vor einem Monat erschütterte. Da war eine alte | |
| Sprachnachricht des Trainers der Rayo-Frauenmannschaft aufgetaucht, in der | |
| dieser der Gruppenvergewaltigung das Wort geredet hatte. „Dieser | |
| Betreuerstab ist unglaublich, aber noch fehlt uns etwas. Uns fehlt, ich | |
| sage es immer wieder, etwas zu tun wie die von Arandina (drei Spieler des | |
| nordspanischen Vereins hatten 2017 eine 15-Jährige sexuell missbraucht, d. | |
| Red.). Uns fehlt, dass wir uns eine nehmen, aber eine Volljährige, damit es | |
| keinen Ärger gibt, und sie alle zusammen fertig machen. So was eint einen | |
| Stab und eine Mannschaft.“ Arandina hätte so den Abstieg vermieden. | |
| In jedem Unternehmen mit minimalen Ethikrichtlinien wären solche Äußerungen | |
| ein Grund für die sofortige Entlassung. In jedem Sportklub wohl doppelt und | |
| bei einer Frauenmannschaft dreifach. Nur bei Rayo Vallecano ist der | |
| betreffende Trainer, Carlos Santiso, weiter im Amt. Bei Rayo? Die Sache | |
| wird dadurch geradezu surreal, dass dessen Fanszene wie keine andere | |
| Spaniens als sozial, feministisch und links gilt. | |
| Ein Gang um das ziemlich baufällige Stadion im Arbeiterstadtteil Vallecas | |
| fühlt sich an wie einer auf das Klo einer Punkkneipe: Alles ist voller | |
| antirassistischen und antikapitalistischen Aufklebern, Flyern und | |
| Graffitis. Neben Tor 16 stehen am Mittag nach dem Weltfrauentag in | |
| lilafarbener Wandmalerei die Forderungen „Santiso Rücktritt“, „Würde f�… | |
| die Frauen“ und „Vallekas gegen Vergewaltigungskultur“ geschrieben. | |
| Außerdem: „Presa, beschissener Frauenhasser.“ | |
| ## Geleckter Stil aus dem reichen Norden | |
| Raúl Martín Presa ist seit einem guten Jahrzehnt der Besitzer und Präsident | |
| von Rayo – und damit verantwortlich für die Botschaften aus dem Verein, die | |
| so schwer zum Verein passen. Für die Fans passte er von Beginn an nicht | |
| nach Vallecas. Das begann schon bei seinem eher geleckten Stil, der eher | |
| nach dem reichen Madrider Norden aussieht als nach dem armen Süden. | |
| Alteingesessene behaupten entgegen seiner Beteuerungen, ihn früher nie im | |
| Stadion gesehen zu haben. Analytische Kritiker wundern sich, warum er nicht | |
| investiert, etwa zur Renovierung des maroden Stadions, oder die | |
| Vermarktbarkeit der Identität eines „St. Pauli Spaniens“ ausschöpft. Und | |
| die tonangebende, ultralinke Fangruppierung Bukaneros hielt ihn bald für | |
| einen Komplizen der konservativen Stadtregierung, um sie aus Stadion und | |
| Öffentlichkeit zu treiben. | |
| Längst ist das Tischtuch zerschnitten, das Klima hoffnungslos vergiftet. | |
| „Presa hau’ ab“ gehört zu den Standardgesängen bei Heimspielen, derweil… | |
| Präsident, ob aus Trotz oder Strategie, auffällig wenige Gelegenheiten | |
| auslässt, das Fanvolk gegen sich aufzubringen. [2][2017 verpflichtete er | |
| den Ukrainer Roman Zozulya], obwohl ihn die Anhänger auf Basis von | |
| Internetrecherchen als Neonazi ausgemacht hatten (er bestritt entsprechende | |
| Sympathien). | |
| Nach Tagen der Anspannung löste der Profi seinen Vertrag freiwillig auf; er | |
| vermutete, mit ihm als „Köder“ hätten gewisse Leute angestachelt werden | |
| sollen, um sie „ins Gefängnis zu bekommen“. Als er dann im Dezember 2019 | |
| mit seinem Klub Albacete bei Rayo gastierte, wurde er von den Rängen so | |
| heftig als „Nazi“ beschimpft, dass es zu einem historischen Spielabbruch | |
| kam; abgesegnet von Ligachef Javier Tebas, einem Anhänger der | |
| rechtspopulistischen Partei Vox. | |
| Diese ist mittlerweile zu einem erheblichen Machtfaktor aufgestiegen. In | |
| Madrid stützt sie mit ihren Stimmen die Regierung der trumpistisch | |
| angehauchten Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso von der Volkspartei PP, | |
| im angrenzenden Flächenland Kastilien-León steht mit einer formellen | |
| Koalition aus PP und Vox der nächste Tabubruch bevor. Rayo-Präsident Presa | |
| hat ein gutes Verhältnis zur Liga und sowieso keine Berührungsängste mit | |
| Vox. Im April 2021 – just beim nächsten Auftritt Zozulyas – lud er den | |
| Spanienchef und die Madrider Spitzenkandidatin der Partei auf die | |
| Ehrentribüne ein, mit den bescheidenen Annehmlichkeiten des baufälligen | |
| Stadions, aber bestens ausgeleuchtet für den Lokalwahlkampf. | |
| Die Fans reagierten damals kreativ: Am nächsten Tag rückten sie in | |
| Corona-Schutzanzügen an, um das Stadion zu „desinfizieren“. Zuletzt | |
| erreichten sie mit einer breit angelegten Kampagne zwar den Abgang von | |
| Rayos Generaldirektor Luis Yáñez, der den Stadioneinlass mit | |
| Bukanero-Symbolen verbieten wollte. Im Streit um Frauentrainer Santiso | |
| bleibt Presa jedoch bei seiner Linie. Der Coach habe bei ihm „auf Knien um | |
| Entschuldigung gebeten“ für seine „schlüpfrigen“ Äußerungen, so Presa… | |
| da würden es ihm schon seine Prinzipien gebieten, Abbitte zu gewährleisten, | |
| denn: „Ich bin ein Mensch mit katholischen Überzeugungen. Ich lese die | |
| Bibel.“ | |
| 11 Mar 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Florian Haupt | |
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