# taz.de -- Gewalt in der Primera Division: „Vermisse spanische Le Pen“ | |
> Überfälle, Schlägereien und sogar ein Mord. Spaniens Fanszene wird von | |
> Brutalität erschüttert. Das hat auch mit einer Politisierung der Ultras | |
> zu tun. | |
Bild: Einsamer Pauker gegen Gewalt: Manolo, berühmter Fan der spanischen Natio… | |
Madrid taz | Das Zuhause der Bukaneros ist ein dunkler Raum, ohne Schild | |
und Klingel. Graffiti, Fanschals und Fotos an den Wänden, eine Bar, ein | |
Kickertisch, ein Podest für Konzerte. Von hier sind es nur ein paar Minuten | |
zum kleinen Stadion des Zweitligisten Rayo Vallecano – der wahren Bühne | |
einer Ultragruppe, die Spaniens Fußball spaltet. Für die einen sind sie | |
Helden. Für die anderen Verbrecher. | |
Auf jeden Fall sind die Bukaneros links, wie ihr Viertel Vallecas, | |
traditionellster Arbeiterbezirk Madrids und der einzige, der noch nie | |
konservativ regiert wurde. In der Stadionkurve dominieren | |
Che-Guevara-Devotionalien, die rot-gelb-violetten Flaggen der im | |
Bürgerkrieg untergegangenen Republik und die so kreativen wie bisweilen | |
martialischen Designs der Bukaneros. Ihr Logo: Totenkopf im Rayo-Trikot, | |
Piratentuch, grimmiger Blick, in der linken Hand eine Bombe, in der rechten | |
ein blutiger Dolch. Ihr aktueller Bestseller: ein Verbotsschild mit dem | |
Konterfei des ukrainischen Fußballprofis Roman Zozulya und der Botschaft: | |
„Not welcome“. | |
Der Fall Zozulya hat die vergangenen Wochen geprägt, er brachte es bis nach | |
München, wo sich Bayern-Ultras mit denen von Rayo solidarisierten, in den | |
spanischen Kongress, wo eine Linkspartei jüngst eine Parlamentserklärung | |
gegen eine Rechtsradikalisierung des Fußballs beantragte, und vor die | |
Justiz: Dort hat die spanische Fußballliga LFP eine Anzeige gegen zehn | |
Bukaneros und zwei Fansprecher eingereicht. | |
Zozulya, nach eigener Einschätzung „ukrainischer Patriot“, nach der von | |
Rayo-Fans ein „Nazi“, sollte von Betis Sevilla ausgeliehen werden. Vallecas | |
erklärte seinen Widerstand, der Präsident zog den Transfer trotzdem durch, | |
Zozulya kam, trainierte – und nahm wegen der Anfeindungen wieder Reißaus. | |
Es folgte ein Hin und Her der Kommuniqués, das Zozulya vorläufig mit seinem | |
Transferverzicht und der Einsicht beendete, der Verein habe ihn nur als | |
„Köder“ benutzt: „Um Strafverfahren gegen diejenigen zu eröffnen, die M… | |
gebaut haben, und sie ins Gefängnis zu bekommen.“ | |
## Fans des FC Barcelona überfallen | |
Ironischerweise argumentierte er dadurch am Ende ähnlich, wie es die | |
Bukaneros oft tun, die sich als Opfer einer Kriminalisierungsstrategie | |
bezeichnen. Spanien wird rechts-konservativ regiert, die Region Madrid | |
ebenso und der Fußball gewissermaßen auch, seit der LFP mit Javier Tebas | |
ein Mann vorsteht, der in jungen Jahren für die mittlerweile aufgelöste | |
rechtsextreme Fuerza Nueva auftrat und noch im aktuellen Amt zu Protokoll | |
gab, „manchmal“ vermisse er „eine spanische Le Pen“. | |
„Die Bukaneros sind keine Engel – aber bestimmt auch keine Teufel“: So | |
sieht es Carles Viñas, Historiker und Buchautor zur spanischen Ultrakultur. | |
Wenn nicht gespielt wird, verteilen sie Essen an Bedürftige oder machen, | |
wie vor ein paar Jahren, auf den Fall einer 85-jährigen Seniorin | |
aufmerksam, die der Verein schließlich vor der Wohnungsräumung bewahrte. | |
Auf der anderen Seite zettelten Gruppenmitglieder kürzlich vor dem | |
Auswärtsspiel auf Mallorca eine wüste Kneipenschlägerei an. Diese Woche | |
wurden Stadionsperre und Geldstrafe verhängt. | |
Eine eher kleine Episode – im Vergleich zu dem, was sonst so los ist. Vor | |
zwei Wochen wurden rund 20 Fans des FC Barcelona vor dem Auswärtsspiel bei | |
Deportivo Alavés in einem Café der baskischen Hauptstadt Vitoria von | |
doppelt so vielen Vermummten mit Stöcken und Latten überfallen. Ein Fan | |
schwebte vorübergehend in Lebensgefahr, Handyvideos gingen um die Welt. | |
Bereits im November waren Anhänger von Espanyol Barcelona in Vitoria nach | |
ähnlichem Muster attackiert worden. Nicht wirklich beruhigend, dass Barça | |
und Alavés im Mai auch das Pokalfinale bestreiten. | |
## Brutalität gegen scheinbar Unbeteiligte | |
An den Szenen irritiert Experten nicht zuletzt, dass der ungeschriebene | |
Schlägerkodex verletzt wurde, nur gegen andere Ultras zu kämpfen. Viñas | |
geht von einer Verwechslung aus, „die Schläger hielten ihre Opfer für | |
Barça-Hooligans, die waren an diesem Tag aber gar nicht mitgereist“. | |
Andererseits gab es in den vergangenen Monaten weitere Gewaltfälle, die | |
durch ihre Brutalität gegen scheinbar Unbeteiligte auffielen. | |
Im Januar wurde ein harmloser Fanklub des Sevilla FC in Barcelona während | |
seiner Zehnjahresfeier von Vermummten mit Knüppeln gestürmt – im Raum | |
befanden sich Babys und Senioren. Hooligans von Sevilla wiederum | |
überfielen im November vor der Champions-League-Partie gegen Juventus Turin | |
in einem Restaurant eine wehrlose Gruppe von Italienern. Ein Juventus-Fan | |
musste auf die Intensivstation, er überlebte knapp. | |
Anders als „Jimmy“, der Ultra von Deportivo La Coruña, der im Dezember 2014 | |
bei einer Massenprügelei von Anhängern von Atlético Madrid erschlagen und | |
in den Fluss geworfen wurde. Politik und Fußball verkündeten | |
Maßnahmepakete, doch gut zwei Jahre später ist kaum etwas passiert. Das | |
Verfahren gegen die vermutlichen Mörder von Jimmy endete mit Freisprüchen. | |
Angesichts der Fronten der tödlichen Auseinandersetzung – Deportivos Ultras | |
sind links, Atléticos rechts – beförderte auch dieser Prozessausgang den | |
latenten Verdacht, dass Behörden und Justiz auf dem rechten Auge etwas | |
schlechter sehen. | |
Rund 10.000 Ultras gibt es in Spanien laut Innenministerium, deutlich | |
weniger als anderswo und nicht alle gewaltbereit. „Der Höhepunkt der | |
Bewegung ist eigentlich lange vorbei“, sagt Viñas. Heute gerieren sich | |
Spaniens Fußballradikale weder als Jugendbewegung, noch reisen sie in | |
großem Stil zu Auswärtsspielen. Was sie unterscheidet – und bisweilen so | |
enthemmt – ist ihre Politisierung. | |
## Lokale und regionale Identitäten | |
In Sevilla haben sie es damit sogar geschafft, traditionelle Identitäten | |
umzukehren. Historisch galt dort der Sevilla FC als Klub der konservativen | |
Elite, Betis als linker Arbeiterverein. 1974 jedoch gründeten sich auf den | |
Tribünen von Sevillas Stadion Ramón Sánchez Pizjuán die „Biris Norte“, | |
Spaniens erste Ultragruppierung, zu Ehren des gambischen Kultspielers | |
Alhaji Momodo Nije, Spitzname: „Biri Biri“. Ideologisch gaben sie sich von | |
Beginn an als dezidiert links und prägten den Verein. | |
Wie Betis sich bald als rechts definierte. Auf dem Höhepunkt der | |
Zozulya-Krise liefen die Betis-Profis mit Solidaritätstrikots („Wir sind | |
alle Zozulya“) ins Stadion, woraufhin ein Stadtrat der linken | |
Podemos-Partei twitterte: „Widerlich, die Betis-Spieler.“ Vom konservativen | |
spanischen Innenminister hingegen gab es Applaus: „Eine schöne Geste.“ | |
So reich sind die lokalen und regionalen Identitäten, so markant die | |
politischen Gegensätze, dass an ein gemeinsames Vorgehen der Ultras selbst | |
in Einzelfragen nicht zu denken ist. Fußballfolklore und der in anderen | |
Ländern so präsente Kampf gegen den Kommerz spielen in Spanien nur eine | |
untergeordnete Rolle. | |
Undenkbar etwa eine konzertierte Aktion gegen die Anstoßzeiten, trotz der | |
europaweit einmaligen Zerstückelung mit zehn Terminen von Freitag bis | |
Montag. | |
Bei dem abstiegsbedrohten Zweitligisten Rayo Vallecano wird ein Retter | |
gesucht. Ein neuer Trainer soll es richten: Míchel, Vereinsikone. Es | |
braucht nicht viel Fantasie, um seine Berufung auch als Konzession an das | |
angespannte Ambiente zu verstehen. Als auf dem Höhepunkt der spanischen | |
Wirtschaftskrise die Rayo-Fans und die damals unbezahlten Spieler gemeinsam | |
gegen Missstände demonstrierten, war er noch als Aktiver mit dabei, in | |
seiner 16. Saison. Míchel hätte eine Verpflichtung von Roman Zozulya nie | |
verlangt. Einer wie er weiß genau, was geht in Vallecas – und was nicht. | |
26 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Florian Haupt | |
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