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# taz.de -- Die Wahrheit: Was reimt sich auf Putin?
> Russlands Führer wünscht sich von Russlands Filmstar Nummer eins einen
> Spielfilm zu Ehren seiner großen Persönlichkeit (Teil 1).
Bild: Superstar als Sowjetheld: Alexander Petrow im Jahr 2020
Es war ein wunderschöner, sonniger Märztag in diesem zweiten Kriegswinter,
der nicht Kriegswinter genannt werden durfte, weil es gar keinen Krieg gab,
als das Telefon von Alexander Petrow klingelte. Obwohl es so früh war und
der berühmte Schauspieler bis in die Nacht für die Premiere seines neuen
Stücks am Ermolowa-Theater geprobt hatte, war er sofort hellwach. Die
Nummer hatte nur seine Familie und sein Agent und der Theaterdirektor und
seine Freundin Stasja, es musste also irgendetwas passiert sein, wenn er so
früh angerufen wurde. Allerdings war es lediglich das Büro des Präsidenten
der Russischen Föderation.
„Lass den Quatsch, Juri! Was soll das am frühen Morgen?“, maulte Petrow,
der einen Streich eines alten Schulfreundes vermutete, der leider auch
seine Telefonnummer hatte, bis ihm klar wurde, dass der Anruf tatsächlich
aus dem Kreml kam, am Apparat war Putins Büroleiter höchstpersönlich.
Er hatte es gewusst, es konnte nicht gutgehen. Als er zusagte, im Ermolowa
aufzutreten, rieten ihm alle ab. Ausgerechnet Tschechows „Onkel Wanja“. Das
musste die dunklen Kräfte auf den Plan rufen. Seit der Krieg gegen die
Ukraine, der nicht Krieg genannt werden durfte, ausgebrochen war, gefiel es
zunächst ein paar Künstlern und Intellektuellen, dann immer mehr jungen
Leuten im Internet, dem Krieg, der nicht Krieg genannt werden durfte, die
Chiffre „Onkel Wanja“ überzustülpen. Ein ulkiges Spiel mit den Behörden,
denen das Codewort genauestens bekannt war, dagegen tun konnten sie jedoch
nichts. Wer ist schon gegen Tschechow in Russland? Obwohl kürzlich ein
junger Sprayer in St. Petersburg festgenommen wurde, als er die Losung an
die Wand sprühte. Zehn Jahre Straflager.
„Alexander Andrejewitsch Petrow“, rief ihn die ernste Amtsstimme zurück in
die Gegenwart. „Der Präsident erwartet Sie morgen um 16 Uhr im Kreml. Eine
Limousine wird Sie abholen. Heute machen Sie einen Coronatest, morgen
machen wir einen hier mit Ihnen. Sie kommen allein, pünktlich!“ Ohne
Verabschiedung legte der Anrufer auf.
Flucht! War sein erster Gedanke. Hätte er nur auf seinen Agenten gehört und
die Finger von Tschechow gelassen. Er war immer unpolitisch gewesen, wäre
er doch beim Action-Genre geblieben. „Rodin“ – dieser Riesenerfolg. Er als
„The Hero“, als Spion für Russland, der in Deutschland lebte und sich
martial-arts-technisch durch eine dieser sauberen deutschen Städte schlug,
Düsselkölnje oder wie auch immer die hieß. Seither war er ein gemachter
Mann. Aber nein, Alexander Andrejewitsch, du musst ja wieder mal auf der
Theaterbühne politisch werden, schalt er sich selbst.
Frühzeitig stand er am nächsten Nachmittag vor dem Haus. Lange hatte er
überlegt, was er anziehen sollte an diesem wahrscheinlich wichtigsten Tag
seines Lebens. Wollte er als der größte Filmstar Russlands gehen, chic und
bunt? Oder lieber zwei warme Mäntel übereinander ziehen und festes
Schuhwerk an den Füßen tragen? Wie seine Großmutter immer allen geraten
hatte für den Fall, dass man nachts abgeholt wurde vom Geheimdienst NKDW.
## Eine Nacht ohne Schlaf
Er hatte sich schließlich für seinen blauen Lieblingsanzug mit dem Hemd aus
Paris entschieden, zuvor aber die ganze Nacht kein Auge zugetan, sämtliche
Proben waren erst einmal abgesagt. Direktor Andrejew war in Tränen
ausgebrochen, als er erfuhr, was ihm bevorstand. Sein Jammern klang ihm
noch in den Ohren, als er die Hauptpforte des Kreml erreichte.
Aus den Augenwinkeln hatte er bemerkt, dass ihnen seit der Twerskaja-Straße
ein dunkler Wagen gefolgt war. Das versprach nichts Gutes, dachte Petrow,
als ein verblüffend junger Beamter in einem sagenhaft teuren Maßanzug die
Wagentür aufriss, um ihn wortlos ins Zentrum der Macht zu führen. Auf der
Burg an der Moskwa war von den düsteren Folgen des Kriegs, der nicht Krieg
genannt werden durfte, nichts zu spüren. Am liebsten hätte er jetzt wie in
„Rodin“ ein paar Handkantenschläge verteilt und sich abgesetzt. Aber das
hier war bedauerlicherweise das wirkliche Leben.
Schier endlos zogen sich die hallenden Gänge und Flure hin, über denen ein
schwerer, süßlicher Geruch lag. Wie viel Gebäude sie bereits durchquert
hatten, konnte Petrow bald nicht mehr sagen, längst hatte er die
Orientierung verloren und fühlte sich wie im Anflug auf einen fremden
Planeten. Der allerdings reichlich überhitzt war. Schweißtropfen rannen ihm
den Rücken hinab. Endlich öffnete sich eine Tür, und ein wortkarger
Weißkittel ließ ihn barsch Platz nehmen und den Ärmel hochkrempeln. Dann
zapfte er ihm Blut ab für den zweiten Coronatest.
## Panische Angst vor Covid
Putin hat also tatsächlich diese panische Angst vor Covid, wie gemunkelt
wird, überlegte Petrow, während sie zu dritt, ohne ein Wort zu wechseln,
auf das Ergebnis warteten. Negativ. Der Arzt nickte und schickte ihn
zusammen mit seinem Begleiter durch eine Desinfektionsschleuse. Aus allen
Winkeln wurden sie von einem feuchten Nebel eingesprüht. Dann ging es
weiter durch die Katakomben des Kreml. Bis er sich schließlich in einem
prachtvollen mit Gold ausgeschlagenen Saal befand. „Warten Sie hier!“,
befahl der Begleiter und verschwand.
Petrow geriet immer mehr ins Schwitzen, obwohl er völlig still dastand.
Seine Gedanken überschlugen sich. Wie sollte er Putin eigentlich anreden?
Warum hatte er sich darum nicht früher gekümmert? Hätte er doch jemanden
gefragt, der sich damit auskannte. Herr Präsident? Eure Exzellenz? Oder
schlicht Towarischtsch? Ja, wenn er lebensmüde war, dann könnte er ihn ja
mal „Genosse“ nennen, stöhnte Petrow leise auf, um gleich zu verstummen.
Denn wie von Geisterhand öffnete sich eine deckenhohe Flügeltür und mit
seinem typisch eiernden Schritt, der Petrow schon immer an eine rudernde
Ente erinnert hatte, trat Wladimir Wladimirowitsch Putin ein.
Der russische Präsident hatte sein Arbeitsgesicht aufgesetzt und grinste
geschäftsmäßig. Er grüßte den Wartenden, ohne ihn anzusehen, und bot ihm
mit einer wie einstudiert wirkenden Geste einen Platz am anderen Ende des
monströsen Tisches an. „Alexander Andrejewitsch“, hob Putin mit seiner
stets eine Spur zu hellen Stimme an, „ich freue mich, dass Sie meiner
Einladung gefolgt sind.“
11 Mar 2022
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Russland
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