# taz.de -- Die Wahrheit: Was reimt sich auf Putin? | |
> Russlands Führer wünscht sich von Russlands Filmstar Nummer eins einen | |
> Spielfilm zu Ehren seiner großen Persönlichkeit (Teil 2 und Ende). | |
(Was bisher geschah: Der berühmte russische Schauspieler Alexander Petrow | |
wird von Wladimir Putin in den Kreml einbestellt. Petrow macht sich große | |
Sorgen, dass der russische Präsident ihn wegen seiner indifferenten Haltung | |
zum Krieg, der nicht Krieg genannt werden darf, beseitigen lassen will.) | |
„Alexander Andrejewitsch“, hob Wladimir Putin mit seiner stets eine Spur zu | |
hellen Stimme an, „ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.“ | |
Alexander Petrow brach nun erst recht der Schweiß aus. Mit äußerster | |
Willenskraft zwang er sich zu einem unverbindlichen Lächeln und brachte ein | |
krächzendes „Danke“ hervor. | |
„Ich liebe diesen Geruch von Angst in der Luft“, gestand Putin mit | |
entwaffnender Ehrlichkeit. „Wissen Sie, warum es im Kreml überall nach | |
Weihrauch riecht? Das sind nicht die Pfaffen aus den Kathedralen, sondern | |
meine Untergebenen, die Weihrauchfässchen herumschwenken und mir die letzte | |
Freude nehmen, damit sie sich nicht selbst riechen müssen.“ | |
Er ist wahnsinnig, vollkommen wahnsinnig, stellte Petrow fest, bewahrte | |
jedoch mit fast übermenschlicher Kraft die Beherrschung. | |
„Alexander“, begann Putin erneut, „oder darf ich ‚Sascha‘ sagen?“ E… | |
Petrow direkt ins Gesicht. | |
„Wie alle meine Freunde“, erwiderte der Schauspieler geistesgegenwärtig, | |
sodass Putin grimmig lächelte. | |
„Wir sind Freunde, ja, ja … Sascha, kennen Sie Netflix?“ Netflix? Das gibt | |
es doch schon seit über einem Jahr nicht mehr in Russland. Seit der Krieg | |
anfing, der nicht Krieg genannt werden darf. Und den Sanktionen. Wenn ich | |
jetzt nein sage, erweise ich mich als Ignorant, wenn ich ja sage, fragt er | |
nach und erwischt mich endgültig auf dem falschen Fuß, zögerte Petrow. | |
„Nicht alles bei Netflix“, antwortete er vorsichtig. | |
„Diese amerikanische Serie ‚House of Cards‘?“, drängte Putin. Nein, ka… | |
er nicht, aber Putin redete schon weiter. „Ich komme darin vor, ein Däne | |
…“, wiederholte er angewidert, „… ein Däne spielt mich darin. Mich. Ein | |
Däne. Lars Mikkelsen.“ | |
Den Kollegen kenn ich, jubelte Petrow innerlich. Das ist der Bruder von | |
diesem Bond-Bösewicht. Er sog tief Luft ein und ein wenig Hoffnung und | |
nickte, ohne zu wissen, worauf sein Gegenüber hinauswollte. | |
„Ein Däne! Sie haben sich nicht getraut, meinen Namen zu verwenden, sondern | |
ihn ‚Petrow‘ genannt, Wiktor Petrow. Meine Initialen.“ Petrow erstarrte. | |
Was wollte Putin bloß? | |
## Die Hände hatte der Schauspieler fest in die Tischkante gekrallt | |
Putin war sichtlich empört. „Alexander Andrejewitsch Petrow, Sie haben | |
nichts mit dieser Namenswahl zu tun, oder?“ Petrows Herz raste. „Ein | |
kleiner Scherz“, lachte Putin und beugte sich mit seinem Oberkörper vor, um | |
den nächsten Gedanken zu unterstreichen. Er wolle nie wieder einen solch | |
schlechten Schauspieler ihn darstellen sehen, vernahm Petrow wie durch | |
einen Schleier und seine Hände hätten gezittert, hätte er sie nicht in die | |
Tischkante gekrallt. | |
„Was, Sascha, wollen die Menschen für Filme sehen?“, fragte Putin. | |
Liebesfilme? Kriegsfilme, die nicht Kriegsfilme genannt werden durften?, | |
brütete Petrow, der nicht darauf kam, was Putin meinte. | |
„Märchenfilme“, löste Putin sein Rätsel auf. „Das russische Volk wollte | |
sich schon immer Märchen erzählen lassen.“ | |
„Märchenfilme?“ | |
„Genau! Ein Märchen, das vom Kind bis zur Babuschka alle sehen wollen. Und | |
wir werden einen solchen Film drehen. Einen Blokbuster. Auf höchstem | |
Niveau. Eisenstein. Tarkowski. Über mich. Ich bin das Gute. Der weiße | |
Ritter. Ich rette die Welt vor dem Bösen, vor dem Weihnachtsmann …“ | |
„Weihnachtsmann“, hauchte Petrow und war sich sicher: Putin war tatsächlich | |
verrückt. Oder war er selbst verrückt? Vielleicht war er gar nicht hier? | |
Womöglich träumte er nur und lag, noch immer betrunken vom nächtlichen | |
Wodka nach den Proben, in seinem Bett und schlief … | |
„Der Weihnachtsmann, der Osterhase, die Zahnfee, das Sandmännchen, die | |
Einhörner – all diese Schattenwesen sind Erfindungen des westlichen | |
Lügenimperiums. Sie sind der russischen Seele fremd. Sie sind die wahren | |
Feinde des Volkes. Sie lügen und lügen und lügen. Ich aber sage die | |
Wahrheit, nichts als die Wahrheit!“, rief Putin pathetisch. „Ich werde sie | |
alle besiegen. Und Sie, Alexander Andrejewitsch, Sie werden mich spielen. | |
Mit all Ihrer Kunst. Russlands Ritter.“ | |
„Ich?! Nun, Woschd …“, versuchte Petrow, Putin zu schmeicheln, indem er i… | |
mit Stalins Titel eines Führers ansprach, was der neue Zar, wie jeder in | |
Russland wusste, liebte. | |
„Wollen Sie mir schmeicheln?“, zischte Putin, während sich seine Augen zu | |
schmalen Schlitzen verengten. | |
„Nein, nein, Towarischtsch“, stammelte Petrow und bereute sofort jedes | |
einzelne seiner gestotterten Worte: „Ich bin 34 … und Sie … die Hälfte �… | |
weniger … ich …“ | |
„Ich? Ich bin 78 und stehe in der Blüte meines Lebens. Also genau wie Sie“, | |
beschied Putin. „Ein paar Spritzen hier, ein paar Spritzen da ins Gesicht – | |
und die Ähnlichkeit zwischen uns wird das Publikum überwältigen.“ | |
## Der Präsident konnte Judo und hatte einen schwarzen Gürtel | |
Paschol na chuj blin, hätte Petrow beinahe geflucht. Verpiss dich, du | |
Schwanzpfannkuchen! „Eine gute Idee“, behauptete er stattdessen. Warum | |
konnte er nicht jetzt ein Held wie Rodin sein? Den Irren mit einem Schlag | |
ausschalten? Die Welt vor dem Untergang retten? Den Lauf der Geschichte | |
verändern? Andererseits konnte Putin Judo. Er hatte sogar einen schwarzen | |
Gürtel. Und an den Wachen käme er niemals vorbei. | |
„Wir sind uns also einig“, befahl Putin. | |
„Einig“, echote Petrow. | |
„Es wird Ihr Schaden nicht sein, Sascha, mein Freund“, freute sich der | |
Präsident, nicht ohne sich mit einer versteckten Drohung zu verabschieden: | |
„Und von einem Freund erwarte ich, dass er mir jeden Wunsch erfüllt.“ | |
Was reimt sich eigentlich auf Putin? Chuj Blin? Schlaff wie ein in altem | |
Fett gebackener Pfannkuchen fühlte sich Petrow, als er, betäubt von den | |
Worten des Führers, hinausgeführt wurde von dem Jüngelchen im Maßanzug, das | |
ihn diesmal auf erstaunlich kurzem Weg in den kalten Hof zu seiner | |
Limousine geleitete. Ihn fröstelte. | |
„Ein Tipp, Alexander Andrejewitsch“, säuselte sein Begleiter, als er ihm | |
die Wagentür aufhielt, „das nächste Mal ziehen Sie sich besser zwei Mäntel | |
an.“ | |
Noch in der Nacht sprang Alexander Petrow, nur mit dem Nötigsten | |
ausgestattet, in seinen Porsche, hängte in der Twerskaja-Straße den dunklen | |
Wagen ab, der auf der anderen Straßenseite vor seinem Haus gewartet hatte, | |
und jagte nach St. Petersburg, um am nächsten Morgen auf der Jacht eines | |
Freundes nach Finnland zu fliehen vor seinem ganz persönlichen Krieg, den | |
er künftig einen Krieg nennen würde. | |
12 Mar 2022 | |
## AUTOREN | |
Michael Ringel | |
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