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# taz.de -- Sexualisierte Gewalt in Nigeria: Salmas Scham
> Im Norden Nigerias werden viele sehr junge Frauen vergewaltigt. Werden
> sie schwanger, landen sie mit dem ungewollten Kind teils auf der Straße.
Bild: Junge Frauen, die in extremer Armut leben, werden häufig gegen ihren Wil…
Kano, nicht weit vom Südrand der Sahara. Die Metropole ist das
Wirtschaftszentrum des islamischen Nordens von Nigeria, aber der am
wenigsten entwickelte Ballungsraum des Landes. Hier leben heute 4,2
Millionen Menschen. Die Wachstumsrate liegt bei rund 3 Prozent,
Verhütungsmittel sind für viele Frauen nicht zugänglich. Über 100.000
Kinder kommen jedes Jahr hinzu. Nicht wenige in Folge einer Vergewaltigung.
Die 16-jährige Salma sitzt auf dem sandigen Boden am Daula-Kreisverkehr und
umklammert ihr sieben Monate altes Kind. Nur ab und zu hebt Salma den Kopf,
um die Passanten zu betrachten. Ohne zu wissen, wo Hilfe herkommen soll,
lässt sie ihren Blick schweifen, auf der ziellosen Suche nach einer
Unterbrechung des nicht endenden Hungers, stets auf der Hut vor
vermeintlichen Wohltätern, die ihre prekäre Lage ausnutzen könnten. Nichts
wäre für sie schlimmer als eine erneute ungewollte Schwangerschaft. Mädchen
in Salmas Alter sieht man in Scharen in der Innenstadt von Kano, entweder
schwanger oder ein Baby stillend. Die meisten wurden wie Salma Opfer einer
Vergewaltigung. Das einzige Ziel, das sie haben, ist, nicht vom Hunger
zerfressen zu werden. Jeder Gedanke an die Zukunft tritt dahinter zurück.
„Er hat versucht, mich mit dem falschen Versprechen zu einer Hochzeit zu
drängen“, sagt Salma. „Aber ich habe ihn immer wieder abgewiesen.“ Eines
Tages habe der Mann sie vergewaltigt und „auf einem offenen Feld
ausgesetzt“. Als sie merkte, dass sie schwanger war, wollte sie sich an die
Hisbah-Behörde wenden, einer Art islamischer Sittenpolizei. Doch der
Vergewaltiger wendete das ab, indem er die Vaterschaft anerkannte und
behauptete, die Zeugung sei einvernehmlich gewesen. Um das Kind kümmern
mochte er sich gleichwohl nicht. „Er ist in die Republik Niger geflohen“,
sagt Salma.
Ähnlich wie ihr erging es der 20-jährigen Sa'adatu. Sie ist im siebten
Monat schwanger. Wer mit ihr sprechen will, muss ihr Essen kaufen. Manche
Männer nutzen das in der schlimmsten denkbaren Weise aus. Auch der Mann,
der sie vergewaltigte, habe ihr zu essen und zu trinken gegeben, berichtet
Sa'adatu. Die meisten jungen Frauen schweigen über ihr Trauma – sogar vor
den eigenen Kindern. Zu groß ist die Scham, zu groß das Stigma in der
Gesellschaft.
## Pandemie verschäft die bereits schlimme Situation
Die Situation hat sich während der COVID-19-Pandemie sogar verschärft. In
einem Bericht von Amnesty International (AI) ist von einer starken Zunahme
sexualisierter Gewalt in Nigeria die Rede. „Aufgrund von Stigmatisierung
der Betroffenen sowie Korruption werden viele Fälle gar nicht erst
gemeldet“, so Amnesty.
Die Recherche macht deutlich, wie Versäumnisse bei der Strafverfolgung und
die verbreitete Frauenfeindlichkeit eine Kultur der Straflosigkeit
geschaffen haben. Lisa Nöth, Nigeria-Expertin bei AI in Deutschland, sagt:
„Die nigerianische Regierung hat aufgrund des sprunghaften Anstiegs der
Vergewaltigungszahlen einen Notstand ausgerufen. Das war ein wichtiger
Schritt, dem jedoch keinerlei weitere gefolgt sind.“ Betroffene seien auf
sich allein gestellt. „Erst müssen sie die Vergewaltigung über sich ergehen
lassen, um dann auf der Polizeiwache dafür gedemütigt zu werden.“
## Besonders bei jungen Frauen hohe Dunkelziffern
Laut Warakka-Zentrum für sexuelle Übergriffe in Kano wurden von 2018 bis
2020 insgesamt 2.158 Fälle von sexualisierter Gewalt verzeichnet. Wie sehr
das Problem Mädchen unter 15 Jahren trifft, bleibt auch deshalb im Dunkeln,
weil für diese Gruppe nur selten Zahlen für landesweite Statistiken erhoben
werden. Wie dürftig die statistische Erfassung ist, zeigen auch Zahlen der
Polizei des Bundesstaates Kano. Demnach wurden im Oktober nur 8 Fälle von
sexueller Belästigung gemeldet. Die Beauftragte für Frauenangelegenheiten
in Kano, Zahra'u Muhammad Umar, weist darauf hin, dass der Staat vier
Beratungsstellen für sexuelle Übergriffe aufbaut. Doch der Aktivist Sani
Muhammad hält die Situation weiter für schwierig – alle Beteiligten müssten
miteinander kooperieren, um sinnvolle Maßnahmen umsetzen.
Der Anwalt Umar Suleiman aus Kano sieht einen Grund für die Probleme auch
in einer Gesetzeslücke. „Das Strafgesetzbuch von Nordnigeria allein reicht
nicht aus“, sagt er. Es bräuchte ein neues Gesetz, damit Täter wirksam zur
Rechenschaft gezogen werden, die hungrige, notleidende Frauen etwa mit
Essen zum Sex nötigen und dabei schwängern.
*Name geändert
12 Jan 2024
## AUTOREN
Khadija Ishaq Bawas
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Afrika im Wettbewerb globaler Mächte
Nigeria
taz Panter Stiftung
Afrika
Gewalt gegen Frauen
Sexualisierte Gewalt
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