# taz.de -- Argentinisches Kino auf der Berlinale: Eine eigene Zeit | |
> Der argentinische Film “Sublime“ folgt der Achterbahnfahrt einer | |
> Freundschaft. “La edad media“ porträtiert eine Künstlerfamilie im | |
> Lockdown. | |
Bild: Lockdown: Luciana Acuña, Cleo Moguillansky und Alejo Moguillansky in „… | |
Außerhalb der Saison sind die Strände von Villa Gesell menschenleer. In dem | |
argentinischen Badeort, 400 Kilometer südlich von Buenos Aires entfernt, | |
kennen sich die Teenager Manu und Felipe seit Kindertagen. Mit Freunden | |
spielen sie in einer Band, reißen zotige Witze und kicken mit Blick aufs | |
Meer. Gemeinsam streifen sie durch den Wald oder schlendern mit ihren | |
Gitarren durch die einsamen Straßen. | |
Nicht einmal Autos und selten Erwachsene sind an den entrückt wirkenden | |
Drehorten zu entdecken, die [1][Mariano Biasin für „Sublime“], sein | |
Spielfilmdebüt gewählt hat. Konzentriert richtet der Filmemacher so den | |
Fokus auf die Gefühls- und Erlebniswelt seiner jugendlichen Protagonisten | |
und versteht geschickt beide Ebenen in der Handlung miteinander zu | |
verknüpfen. Die aktuelle Realität des südamerikanischen Landes scheint er | |
bewusst außen vor zu lassen. | |
[2][2016 erhielt der argentinische Regisseur den Gläsernen Bären], den | |
Kinder- und Jugendfilmpreis der Berlinale für seinen Kurzfilm „El Inicio“ | |
(The Initiation, 2015), in dem ein ausgemusterter Kombi zum intimen | |
Rückzugsort für „das erste Mal“ ausgestaltet werden soll. | |
Dieses Motiv greift Biasin in „Sublime“ erneut auf. In dem | |
Coming-of-Age-Film treibt Felipe seinen Freund Manu dazu an, endlich die | |
Nacht mit Azul in dem von ihnen gemütlich hergerichteten Kleinbus zu | |
verbringen. Doch dann verläuft das romantische Treffen mit der Freundin | |
anders als geplant, denn Manu hat sich in Felipe, seinen besten Freund | |
verliebt. | |
## Ein ganz neues Gefühl | |
Dieses neue Gefühl beängstigt den Jungen – weniger aus Furcht vor | |
Stigmatisierung, sondern aus Sorge vor dem Verlust der kostbaren | |
Freundschaft. In der Darstellung dieses inneren Konflikts überrascht der | |
Film mit aufgeklärter Offenheit. Manu gelingt es, sich anderen mitzuteilen. | |
Alle reagieren entspannt: sein Vater, auch Musiker, seine souveräne | |
Ex-Freundin Azul genauso wie die selbstbewusste Lara. | |
Währenddessen laufen die Vorbereitungen für das erste Konzert ihrer Band. | |
Noch fehlen ihnen die letzten Songs, doch der Auftritt auf Felipes | |
Geburtstagsparty steht unmittelbar bevor. Manu, der Bassist und Texter der | |
Gruppe, ist mit seinen Gefühlen hin- und hergerissen zwischen Sehnsucht und | |
Panik. Spielerisch überträgt Biasin diese starken Emotionen mit dem | |
jugendlichen Verve des argentinischen Rock Nacional in den Soundtrack | |
seines packenden Jugendfilms. „Du bist wie die Sonne, ich umkreise dich. | |
Nichts wird sich ändern. Nada cambiará.“ | |
In [3][„La edad media“ (The Middle Ages)] hingegen ist die argentinische | |
Wirklichkeit allgegenwärtig. Die Filmemacher Alejo Moguillansky und Luciana | |
Acuña leben mit Cleo, ihrer zehnjährigen Tochter, und der Hündin Juana in | |
einem Häuschen mit Patio und Terrasse in Buenos Aires. | |
Doch im Lockdown der Pandemie können sie diesen Ort nicht verlassen und | |
werden zu den Darstellern ihres turbulent inszenierten Films. Auf | |
humorvolle Weise und mit den verfügbaren Ressourcen reflektieren sie in | |
dieser Ausnahmesituation die eigene Existenz und das künstlerische | |
Schaffen. | |
## Alle im digitalen Durcheinander | |
Cleo folgt gelangweilt dem digitalen Schulunterricht. Ihrer Mutter Luciana | |
springen die Teilnehmer im Online-Tanzworkshop ab, und Alejo versucht | |
Samuel Becketts „Warten auf Godot“ per Videochat zu inszenieren. Flüchtig | |
erscheint Margarita Fernández auf dem Bildschirm seines Computers. (Die | |
betagte argentinische Ausnahmepianistin hatte Edgardo Cozarinsky zuvor in | |
seinen Essayfilm „Medium“ porträtiert, der 2020 auch im Forum der Berlinale | |
zu sehen war.) | |
Doch die eigentliche Hauptdarstellerin und Erzählerin in „La edad media“ | |
ist Cleo. Unbemerkt vom elterlichen Aktionismus, entwickelt sie in der | |
Krise ihr eigenes Geschäftsmodell. Ziel des Mädchens ist die Anschaffung | |
eines professionellen Teleskops, mit dem sich beim nächsten Vollmond auf | |
der Dachterrasse der Nachthimmel beobachten ließe. | |
Bei der Umsetzung ihres Plans ist ihr Moto behilflich, ein behelmter | |
Motorrad-Kurier und in diesen Zeiten der einzige reale Kontakt zur | |
Außenwelt. Erst verschwinden Skateboard, Turnschuhe, Bilder und Bücher. | |
Dann versetzt Cleo bald den kompletten Hausstand. Denn inmitten des | |
absurden Theaters galoppiert die Inflation in Argentinien ganz real davon. | |
13 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=ZruCu9_5dvI | |
[2] /Zum-Abschluss-der-Berlinale/!5020120 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=fNrSMLnd0pk | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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