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# taz.de -- Deutsch-italienische Zusammenarbeit: Dreieck statt Achse
> Deutschland und Italien wollen stärker zusammenarbeiten. Pläne für ein
> politisches Dreieck Berlin–Paris–Rom stoßen aber nicht überall auf
> Euphorie.
Bild: Der Quirinal-Vertrag, der hier gefeiert wird, soll die „deutsch-franzö…
Die deutsch-französische Freundschaft ruht auf weltbekannten Symbolbildern.
Viele erinnern sich an das Foto von Kohl und Mitterrand, Hand in Hand auf
dem Kriegsfriedhof von Verdun. Das Signal war eindeutig: Nach Jahrzehnten
Krieg setzen Deutschland und Frankreich auf Partnerschaft und enge
politische Zusammenarbeit. Beamtenaustausch, Sicherheitsberatungen,
bilaterale Absprachen in internationalen Gremien gehören heute zum
europapolitischen Alltag der beiden Länder.
Italiens Beziehung mit Deutschland und Frankreich kann kaum auf ähnliche
Symbole zurückgreifen. Von Italien aus gesehen, stammt das prägnanteste
Bild des deutsch-französischen Paars aus der Schuldenkrise 2011, als
Italien kurz vor einer Staatspleite stand. Damals beriefen Angela Merkel
und der französische Präsident Nicolas Sarkozy eine gemeinsame
Pressekonferenz ein; auf die Frage eines Journalisten, ob die beiden noch
Vertrauen in das Krisenmanagement des damaligen italienischen
Premierministers Silvio Berlusconi hätten, reagierten die Regierungschefs
(verständlicherweise) mit einem lächelnden Blick. Der Clip schlug
europaweit Wellen und wurde auch von den italienischen Gegnern Berlusconis
missbilligt: Für viele galt es als die plastische Darstellung eines
Direktoriums, das die immerhin legitime Regierung eines anderen
Mitgliedstaates süffisant kleinredete.
Das Lächeln von Merkel und Sarkozy traf den Nerv eines Landes mit starken
politischen Minderwertigkeitsgefühlen. Die häufigen Regierungswechsel und
ein dysfunktionaler Staatsapparat sind die größten Mankos eines Landes, das
aus volkswirtschaftlicher Sicht eigentlich zu den stärksten Europas gehört.
Dementsprechend hat in Rom die deutsch-französische „Achse“ immer den
Verdacht erregt, man habe Italien aus dessen legitimem Platz im
vermeintlichen Führungsstab Europas ausgeschlossen. Das jüngste Treffen zur
Ukrainekrise zwischen USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich hat
sicherlich nicht geholfen.
Vor dieser gefühlspolitischen Kulisse kündigte Kanzler Scholz im Dezember
einen gemeinsamen „Aktionsplan“ an, um die Partnerschaft zwischen
Deutschland und Italien zu stärken. Die politischen Umstände sind dafür
äußerst günstig. Das Input der beiden Botschaften traf in Berlin auf eine
Ampelregierung, die Deutschlands Europapolitik mehrheitlich umgestalten
will, während in Rom gerade ein regelrechter Vertragseifer herrscht. Die
sehr breite Koalition unter dem ehemaligen EZB-Präsidenten [1][Mario
Draghi] hat im November den sogenannten Quirinal-Vertrag mit Frankreich
geschlossen, ein langjähriges Projekt der italienischen Diplomatie, das die
Beziehung zwischen den Nachbarländern stabilisieren will.
Der Quirinal-Vertrag wird auch als Versuch verstanden, die Vormacht der
„deutsch-französischen Achse“ zu relativieren; der gemeinsame Standpunkt
von Draghi und [2][Macron] bezüglich flexibleren europäischen
Schuldenregeln hat sicher auch geholfen. Konsens in Rom ist allerdings
auch, es sei jetzt wichtig, das „Dreieck“ zwischen den drei Ländern zu
schließen und eine äquivalente Vereinbarung mit Deutschland zu schaffen.
Der Besuch von Außenministerin Baerbock im Januar zeigt, dass man sich
bereits in vielem einig ist, etwa hinsichtlich der engen
Wirtschaftsverflechtung (viel stärker als die mit Frankreich), ähnlichen
Perspektiven auf Migration oder einem gemeinsamen Standpunkt zu Nato und
europäischer Sicherheit.
Auf deutscher Seite jedoch herrscht Irritation hinsichtlich dieses
„geometrischen Denkens“, und breite Freundschaftsverträge entsprechen
eigentlich auch nicht dem diplomatischen Stil der Bundesrepublik. Dazu
kommt, dass Migration der einzige EU-Bereich ist, in dem eine engere
Zusammenarbeit mit ausgewählten Partnern bevorzugt wird. Der Idee eines in
Rom und Paris bevorzugten „Kerneuropas“ enger politisch verflochtener
Mitgliedstaaten hat Berlin immer eine klare Absage erteilt. Vorabsprachen
mit dem Élysée, etwa zu Russland-Sanktionen, werden von deutschen
Funktionären eher als eine Form von Arbeitsteilung verstanden, nicht als
Vorpreschen gegenüber anderen Mitgliedstaaten.
Fakt ist auch, dass Italiens innenpolitische Instabilität jede Form
politischer Koordinierung erschwert. Aktuell herrscht Unklarheit über die
Folgen der [3][Präsidentschaftswahlen], eine Regierungsumbildung gilt als
möglich, und in spätestens einem Jahr werden Neuwahlen stattfinden, bei
denen Rechtspopulisten siegen könnten. Schon 2018 hatte die Regierung mit
Matteo Salvini als Innenminister die Verhandlungen über den
Quirinal-Vertrag gestoppt und die bilateralen Beziehungen in die Krise
gestürzt.
Auch deshalb will die Bundesregierung von Draghis Zeit als Premierminister
profitieren, um einen minimalen Aktionsplan umzusetzen. Berlin wäre gut
beraten, Ehrgeiz in diesen Plan zu stecken: Trotz häufiger
Regierungswechsel ist die italienische Bürokratie stabil, Veränderungen in
den Führungskadern des Staatsapparats sind selten. Ein regulärer Austausch
zwischen Institutionen wäre daher wirkungsvoll.
Das Kalkül ist politisch nicht unproblematisch, vor allem in Italien, wo
die öffentliche Verwaltung selbst als Machtakteur gilt. Der Mangel an
mittelfristiger Planungssicherheit für Amtsinhaber:innen erschwert
zudem, dass neue Austauschformate die notwendige Nähe zwischen gewählten
Entscheidungsträger:innen schaffen können.
Und doch: Eine engere Partnerschaft könnte dazu dienen, Italien die lang
ersehnte politische Anerkennung durch Berlin (und Brüssel) zu schenken. Das
könnte eventuell sogar eine zukünftige rechte Regierung einbinden.
Internationale Politik ist keine Therapie, aber Berlin wäre klug beraten,
die Fragilität seiner Partner zu berücksichtigen – vor allem, wenn diese
langfristig die Kohäsion des europäischen Projekts gefährdet.
23 Feb 2022
## LINKS
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[3] /Wahl-zum-Staatspraesidenten-in-Italien/!5827969
## AUTOREN
Michelangelo Freyrie
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