Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Soziale Gerechtigkeit in den USA: Demokratie in Gefahr
> Ein Jahr ist Biden im Amt. Die Midterms geben Grund zur Sorge. Und die
> Sozialpolitik lässt auf sich warten.
Bild: Muss sich noch anstrengen für die Halbzeitwahlen: US-Präsident Joe Biden
Joe Biden, der 46. Präsident der USA, begann seine Amtszeit mit einer
Überraschung. „[1][Trickle-down Economics hat noch nie funktioniert]. Es
ist an der Zeit, die Wirtschaft wachsen zu lassen, und zwar für die unteren
und mittleren Einkommensschichten.“ In seinen Jahrzehnten in der US-Politik
fiel der Demokrat aus Delaware wirklich nicht als Progressiver auf. Im
Gegenteil.
Nun fordert er, „dass die amerikanischen Unternehmen und das reichste 1
Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner anfangen, ihren gerechten Anteil
zu zahlen“. Unter dem Beifall seiner Parteifreundinnen und -freunde begrub
er in einer Rede vor dem US-Kongress die Idee des „Trickle-down“, also des
Durchsickerns des Wohlstands der Reichsten zur normalen Bevölkerung.
Die Theorie besagt, dass das ganz von allein passierte, wenn der Staat sich
raushält und die Steuern für große Einkommen und Vermögen senkt. Ronald
Reagan spitzte das vor vierzig Jahren auf die Formel zu, die Regierung sei
„nicht die Lösung unserer Probleme, die Regierung ist das Problem“. Heute
ist kaum mehr vorstellbar, dass seit den 1940er Jahren ein ganz anderer
Konsens herrschte.
Auf Präsident Franklin D. Roosevelts New Deal aufbauend, erweiterten sowohl
Demokraten als auch Republikaner schrittweise die Sozialversicherungs- und
Krankenversicherungssysteme und erhöhten den Mindestlohn. Mit Reagan war
damit Schluss. Seine Politik der Deregulierung und Privatisierung fand auch
in Europa Nachahmer.
Bidens Kehrtwende erklärt sich auch aus dem Zustand des Landes. Wenige Tage
bevor er das Präsidentschaftsamt antrat, forderte sein Vorgänger eine
Menschenmenge in Washington auf, zum Kapitol zu ziehen: „Wenn ihr nicht wie
wild kämpft, werdet ihr kein Land mehr haben.“ [2][Ein präzedenzloser
Angriff auf die Demokratie].
## Bidens Popularität schwindet
Kurz nach dem Schock schien es, als würde sich die Republikanische Partei
besinnen. Die Fraktionsvorsitzenden in Senat und Repräsentantenhaus wandten
sich von ihrem Noch-Präsidenten ab, stimmten dann aber doch gegen dessen
Amtsenthebung und gegen die Untersuchung der Ereignisse. Die New York Times
bezeichnete die Republikaner vor wenigen Tagen als „autoritäre Bewegung“.
Der [3][Abgeordnete Jamie Raskin] ging weiter und nannte sie eine
„religiöse und politische Sekte, die von einem einzigen Mann kontrolliert
wird“. In diesem Jahr wird in den USA wieder gewählt. Möglicherweise siegt
die autoritäre, republikanische Sekte. Bei Politik, Medien und der
transatlantischen Thinktank-Welt hier in Deutschland herrscht merkwürdige
Zurückhaltung. Bereits nach der Wahl 2016 überwog die Hoffnung, es werde
schon nicht so schlimm kommen. Kam es doch.
Als Trump 2020 kundtat, dass er eine Abwahl nicht anerkennen würde, weil
sie ja nur durch Betrug zustande kommen könne, forderte ich dazu auf, dass
Deutschland seine Neutralität zwischen den beiden Kandidaten aufgeben
müsse. Aber nicht mal die Grünen unterstützten das. Von der Bundesregierung
ganz zu schweigen. Natürlich fällt es schwer, undemokratische Entwicklungen
ausgerechnet bei denen zu kritisieren, die als Teil der Alliierten
Deutschland von der Nazi-Diktatur befreit haben.
## Neutralität verbietet sich
Aber angesichts dessen, was dort geschieht, dürfen wir nicht länger neutral
bleiben! Wer die Ergebnisse demokratischer Wahlen nicht respektiert, darf
nicht behandelt werden wie eine normale Oppositionspartei. Der Kampf um die
Demokratie in den USA geht auch uns etwas an. Wir müssen aus der
Zuschauerrolle herauskommen.
Die Demokratie ist bedroht. Sie muss verteidigt werden. Aber viele Menschen
in den USA und anderswo fühlen sich dabei nicht angesprochen. Sie haben
andere Sorgen. Es ist nämlich nichts durchgesickert. Das
Aufstiegsversprechen wurde gebrochen. Die Mittelschicht schrumpft seit
Jahrzehnten. Zugleich wachsen die Vermögen der Reichsten immer schneller.
Menschen, die sich vergessen fühlen, sind anfällig für jene, die Wut und
Hass anfeuern.
Wer das „Soziale“ vergisst, der wird auch die „Marktwirtschaft“ nicht
retten. Wenn hingegen das Versprechen, es werde unseren Kindern besser
gehen als uns selbst, wieder erfüllt wird, dann wird sie auch verteidigt.
Sicher: Biden ist kein Sozialist. Wie schon Franklin D. Roosevelt will er
den Kapitalismus vor sich selbst schützen. Deshalb kämpft er für die
Ausweitung der Gesundheitsversorgung und Bildung.
Und für eine Finanzierung durch höhere Steuern für Milliardäre und
Konzerne. Spüren die Menschen bis zum Herbst Verbesserungen, können die
Demokraten noch gewinnen. Zugleich befinden sich die USA und die anderen
parlamentarischen Demokratien auf globaler Ebene im Wettbewerb mit
autoritären Staaten. Dabei geht es nicht nur um die Regierungsform und
Freiheitsrechte. Wer „liefert“, der hat die besseren Karten.
In der Glitzerwelt von Dubai gibt es kaum Rufe, die absolutistische
Monarchie dort durch eine parlamentarische Demokratie abzulösen. Welches
System gewinnt, ist offen. Deshalb ist es an der Zeit, den
transatlantischen Dialog thematisch zu erweitern. Statt vor allem über
Militärausgaben, Russland und China zu reden, gehört auch hier die soziale
Frage ganz oben auf die Tagesordnung. Die globale Mindestbesteuerung ist
ein guter Anfang.
Warum nicht auch über gemeinsame bessere Standards für Arbeitsbedingungen,
Gesundheitsversorgung, Bildungsfinanzierung diskutieren? Weltweit sollten
demokratische Staaten Freiheit, aber eben auch ein gutes Leben für alle
garantieren. Aufstiegschancen, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern und
freie Wahlen – dafür lohnt es sich einzutreten. Der Neoliberalismus hat die
Demokratie gegen ihre Feinde von innen und außen geschwächt.
Resilienz gegen Autoritarismus bedeutet, hier einen Schlussstrich zu ziehen
und zu zeigen, dass Demokratie und soziale Gerechtigkeit zusammengehören.
20 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=xKmrrdJrmNE
[2] /Chaos-in-Washington/!5742460
[3] https://www.newsweek.com/jamie-raskin-warns-against-trumps-control-over-gop…
## AUTOREN
Stefan Liebich
## TAGS
Joe Biden
USA
Donald Trump
Weißes Haus
Autoritarismus
GNS
USA
Joe Biden
Donald Trump
US-Wahl 2024
QAnon
## ARTIKEL ZUM THEMA
Krise der US-Demokraten: Clintons bizarres Comeback
Der Umfrage-Absturz von Biden und Harris treibt seltsame Blüten: Hillary
Clinton ist wieder im Gespräch. Das allein zeigt schon die Tiefe der Krise.
Filibuster und Wahlrecht in den USA: Biden ringt um Demokratie
Der US-Präsident will die Regeln im Senat demokratischer machen.
Unterdessen machen republikanische Bundesstaaten das Wahlrecht
undemokratischer.
Ein Jahr nach dem Sturm aufs US-Kapitol: Es wird wieder geschehen
Der 6. Januar 2021 ist nicht Geschichte. Die geistige Grundhaltung der
Kapitolstürmer*innen hat sich weltweit ausgebreitet – auch zu uns.
Sturm auf das Kapitol vor einem Jahr: Biden macht Trump verantwortlich
Am Jahrestag kritisiert US-Präsident Biden seinen Vorgänger und dessen
„Netz aus Lügen“ ungewöhnlich hart – allerdings ohne Trumps Namen zu
nennen.
Sturm auf US-Kapitol: Ein folgenschwerer Angriff
Vor genau einem Jahr stürmten Hunderte Anhänger Donald Trumps das Kapitol.
Noch heute verharmlosen Teile der Republikaner die Geschehnisse.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.