# taz.de -- Hahnenkamm-Rennen 2022: „Der Skisport ist Freiheit“ | |
> Franz Klammer, Abfahrtsolympiasieger von 1976, erklärt, warum auf der | |
> Streif so viele Fahrer stürzen. Und wie die Goldmedaille sein Leben | |
> veränderte. | |
Bild: Franz Klammer bei einem Charity-Rennen 2020 auf der Streif in Kitzbühel | |
taz: Herr Klammer, in einem neuen Film geht es um eine besonders extreme | |
Woche im Februar 1976, als Sie in Innsbruck Olympiagold in der Abfahrt | |
gewannen. Versteckt sich da eine Botschaft? | |
Franz Klammer: Kurz gesagt: die besonderen Herausforderungen des Lebens | |
anzunehmen und das Beste daraus machen. Das war damals mein Lebensmotto und | |
ist es auch noch heute. | |
Ganz [1][Österreich] hat Gold erwartet, der Druck auf Sie war enorm, oder? | |
Dies hatte ich einst weitestgehend ausgeblendet. Zuerst habe ich mir selbst | |
den Druck gemacht, ich wollte ja unbedingt gewinnen. Ich hatte vorher viele | |
wichtige Rennen gewonnen und wollte den Olympiasieg unbedingt holen, alles | |
andere wäre für mich ein Drama gewesen. Es war das wichtigste Rennen meines | |
Lebens. Vom Sport habe ich viel für das Leben gelernt. Auch aus den | |
Niederlagen. Mit 16 bin ich aus dem Ski-Kader geflogen und mein Vater | |
meinte, ich sollte nun einen Beruf lernen. Da habe ich zu ihm gesagt, dass | |
ich noch ein Jahr probieren möchte, Skirennen zu fahren. Dies hat er | |
zugelassen, ich konnte mich mit sportlichen Leistungen durchsetzen und von | |
da an ging es richtig aufwärts. Dafür bin ich meinen Eltern dankbar. | |
Der Film über die Olympiaabfahrt heißt [2][„Chasing the Line“], die beste | |
Linie finden. Das hat etwas mit dem Rennen am Patscherkofel zu tun. | |
Ich musste im unteren Streckenteil alles geben, denn ich hatte im oberen | |
Streckenteil einige Fehler gemacht und an den Reaktionen der Zuschauer bei | |
der Mitte der Strecke bemerkt, dass ich wohl nicht der Zeitschnellste war. | |
Um meinen großen Konkurrenten, den Abfahrts-Olympiasieger von 1972 in | |
Sapporo, [3][Bernhard Russi] aus der Schweiz, noch schlagen zu können, | |
musste ich also auf dem letzten Streckenteil alles riskieren und eine | |
gewagte Linie fahren, was anderes blieb mir nicht übrig. Zum Glück hat es | |
letztlich funktioniert. | |
Im Film ist zu sehen, wie der Chef Ihrer damaligen Skifirma Sie vor dem | |
Start heftig bedrängte, einen neuen Rennski zu nehmen, mit einem Loch in | |
der Skispitze. Was war da los? | |
Ich habe dies klar abgelehnt und bin mit dem Ski gefahren, mit dem ich | |
zuvor fast alle Rennen gewonnen hatte. Da wollte ich beim wichtigsten | |
Rennen meines Lebens kein unnötiges Risiko eingehen. Ich bin froh, mich | |
einst so entschieden zu haben. | |
Es hat geklappt, und Ihr Leben wurde seither von diesem Olympiagold | |
geprägt. | |
Ja, dafür bin ich dankbar, denn dadurch konnte ich mein Leben so gestalten, | |
wie ich es wollte. | |
Stimmt es, dass Sie damals als Jugendlicher in beruflicher Hinsicht keinen | |
Plan B hatten und alles auf den Skisport gesetzt haben? | |
Ja, ich habe nach der Schule als Holzknecht gearbeitet, keinen Beruf | |
erlernt, um mich voll auf das Skirennenfahren konzentrieren zu können. Die | |
schwere Arbeit im Wald hat mir bei der kraftlichen Konditionierung als | |
Skirennfahrer geholfen. | |
Das Gold ist 46 Jahre her, ist Ihnen der andauernde Trubel um Ihre Person | |
manchmal lästig? | |
Jein. Wenn ich mich in die Öffentlichkeit bewege, dann weiß ich, dass dies | |
vorkommen kann und ich öfters angesprochen werde. Das ist okay. Wenn ich | |
meine Ruhe haben will, dann bleibe ich daheim. Aber klar, es freut mich | |
schon, dass das Interesse an meiner Person bis heute anhält. | |
Sie sind mit Ihren 25 Weltcup-Abfahrtssiegen bis heute der erfolgreichste | |
Abfahrer der Welt. | |
Ich denke, in einigen Jahren wird auch diese Marke geknackt. Aber natürlich | |
freue ich mich, 37 Jahre nach meinem Karriereende 1985, diese Marke noch | |
immer innezuhaben. | |
Können Sie die Faszination des Skisports mit wenigen Worten beschreiben? | |
Der Skisport ist gefährlich, er ist Freiheit und ein Erlebnis, das es sonst | |
nicht gibt. | |
Auf der gefährlichen Streif in Kitzbühel haben Sie viermal in Ihrer | |
Karriere die Abfahrt gewonnen. Der Großteil aller Spitzenfahrer ist dort | |
schon gestürzt. Wie ist es Ihnen einst auf der Streif ergangen? | |
Ja, auch ich bin dort früher mehrfach gestürzt, zum Glück ohne schwere | |
Verletzungen. Einmal schon im steilen Starthang, wo ich noch vor dem | |
Mausefallen-Sprung in den Zaun gekracht bin. Aber ich habe die Streif | |
gemocht, weil ich die besonders schwierigen Herausforderungen ohnehin immer | |
geliebt habe. | |
Ihr Bruder Klaus war auch ein guter Skirennfahrer, österreichischer | |
Jugendmeister. Mit 16 Jahren stürzte er 1977 bei einem Rennen schwer. Eine | |
Querschnittslähmung zwang ihn fortan in den Rollstuhl. Wie war das damals | |
für Sie und wie geht es Ihrem Bruder heute? | |
Die Situation damals war für unsere Familie schon schwer. Die Sportler | |
waren früher nicht gut versichert. Auch die Umfeldbedingungen bis hin zur | |
Behandlung in Rehabilitationszentren waren damals noch längst nicht so | |
fortgeschritten wie heute. Ich habe auch aus dieser Erfahrung heraus | |
deshalb 1998 eine Stiftung gegründet, die jungen Athleten nach schwersten | |
Verletzungen Unterstützung bietet. Meinem Bruder Klaus geht es heute soweit | |
ganz gut. Er ist Steuerberater und fährt bis heute leidenschaftlich | |
Rollstuhlski, manche Winter hat er sogar mehr Skitage als ich. | |
Wenn Sie den Skizirkus heute betrachten, was war damals anders? | |
Wir Athleten hatten wohl mehr Freiheiten, wir sind mit dem Weltcuptross | |
gemeinsam gereist und haben nach den Rennen zusammen gefeiert. Es gab keine | |
Pressesprecher, die uns sagten, was wir tun müssen. Auch Social Media gab | |
es noch nicht. Die Kameradschaft unter uns Athleten war super, die Rennen | |
ist natürlich jeder für sich gefahren, danach haben wir aber viel zusammen | |
unternommen. Ich habe bis heute viele Freundschaften zu damaligen Fahrern, | |
zum Beispiel zu Bernhard Russi und Michael Veith aus Deutschland. | |
Skifahren ist eine meist teure Angelegenheit. Kinder haben heute viel mehr | |
Auswahlmöglichkeiten an Sportarten und anderen Freizeitbeschäftigungen als | |
früher. | |
Da muss man ehrlicherweise sagen, dass alpines Skifahren schon immer teuer | |
war. Und es ist sicher richtig, dass Kinder heute viel mehr Alternativen in | |
Sachen Freizeitgestaltung und Sport haben. Dennoch ist Skifahren eine | |
herrliche Angelegenheit und ein schöner Breitensport. Diese Faszination | |
müssen wir an die Kinder weitergeben. Da sind die Eltern und Schulen | |
besonders gefragt. Auch viele Großeltern haben große Freude, mit den Enkeln | |
zusammen Ski zu fahren. | |
21 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Hausbergkante-ist-unser-Koeniggraetz/!1909889/ | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=ecp1xSqaA5c | |
[3] /Die-verschaerfte-Streif/!1733582/ | |
## AUTOREN | |
Thomas Purschke | |
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