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# taz.de -- Kolumne Einen Versuch legen: Der weiße Rausch
> Heldentum wird in Österreich auf der Abfahrtspiste begründet und
> nirgendwo sonst.
Bild: Franz Klammer bei einem Charity-Rennen 2020 auf der Streif in Kitzbühel
1:45,73. Diese Zeit werde ich wohl nie vergessen. So lange dauerte es, bis
Franz Klammer am 5. Februar 1976 auf der Olympiapiste in Innsbruck in die
österreichische Geschichte einging. Wahrscheinlich wird es in meinem
Heimatland für immer die legendärste Fahrt auf zwei Skiern bleiben. Da
kommt auch ein Hermann Maier nicht dran vorbei. Als Elfjähriger saß ich
damals, wie der Rest der Nation, vor dem Schwarzweißfernseher und drückte
dem Mann mit der Startnummer 15 im knallgelben Anzug - das sah ich erst am
nächsten Tag in der Zeitung - die Daumen. Klammer wurde, wie sein
nördlicher Namensvetter, zum Kaiser Franz. In keiner anderen Sportart ist
in Österreich ein solcher Titel denkbar. Fußballer werden hierzulande
höchstens zu Mozarts, Regenten werden sie nicht.
Nichts kommt in Österreich annähernd an die Popularität des Skisports
heran. Der einfachste Grund dafür ist, dass man am liebsten über eigene
Siege jubelt - das ist ja überall so. Und davon gab es die letzten Jahre
mehr als genug. So wurde etwa der Nationencup seit 1990 ununterbrochen von
Österreich gewonnen, meistens mit doppelt so viel Punkten wie der
Zweitplatzierte. Das System der Kader- und Leistungsauswahl des ÖSV
funktioniert so flächendeckend wie früher die Talentsichtung in der DDR.
Praktisch kein Kind fällt durch den Rost der ÖSV-Scouts. Ironischerweise
wurde aber der beste Skifahrer, den Österreich jemals hervorgebracht hat,
der viermalige Gesamtweltcupsieger Hermann Maier, lange übersehen. Er kam
erst sehr spät zu seinen vielen Siegen.
Die Sportler des Jahres sind in Österreich fast immer Skirennläufer.
Hermann Maier, Benjamin Raich oder Renate Götschl sind in heimischen
Werbespots Dauerbrenner. Aber auch nach ihrer Karriere sind einzelne
Skirennläufer sehr erfolgreich: Der ehemalige Abfahrer Armin Assinger ist
mit der Sendung Millionenshow zum Günther Jauch Österreichs geworden. Harti
Weirather und Klaus Heidegger, Stars der 70er- und 80er-Jahre, sind heute
millionenschwere Geschäftsleute. Und der Ex-Slalomspezialist Hansi
Hinterseer, immer braun gebrannt und im weißen Strickpullover, tritt
Samstagabend zu bester Sendezeit im deutschen Fernsehen als Schlagersänger
auf und verkauft Millionen von Alben mit seichter Volksmusik. Dass es Ski-
und nicht etwa Fußballsportler sind, die unsere nationale Identität
verkörpern, ist ein deutlicher Hinweis auf die längst stattgefundene
Mutation des Landes von der viel beschworenen Donau- zu einer reinen
Alpenrepublik. Kein anderes Land der Welt definiert sich so sehr über seine
Erfolge im Skisport. Für den Wintertourismus und die Wirtschaft des Landes,
insbesondere der westlichen (und reichen) Bundesländer, gibt es keine
bessere Imagewerbung, als die Skination Nummer 1 zu sein.
Die letzten Helden in einem durch und durch unheroischen Land gebiert der
Skisport. Ein Flachländer wird kaum verstehen, was es heißt, mit 140
Stundenkilometern und dünnen Stahlkanten über vereiste und betonharte
Kunstschneepisten zu fahren, Pisten, auf denen selbst ein sehr guter
Freizeitskifahrer keinen Schwung zustande bringt.
Skifahren ist eine der gefährlichsten Sportarten, das zeigt jede
Verletzungsstatistik. Gefährlichkeit auf etwa zwei Minuten komprimiert, das
heißt: Abfahrt Herren. Letztlich ist es, trotz aller Erfolge der
österreichischen Skifahrerinnen, nur der Titel eines (männlichen)
Abfahrtsolympiasiegers oder -weltmeisters, der in Österreich wirklich
zählt. Von Gender-Debatten sind wir weit entfernt. Franz Klammer wäre auch
niemals zum Kaiser geworden, hätte er nur den Olympiaslalom gewonnen. In
dieser Disziplin wird man maximal zum Slalomkönig.
Was in Deutschland ein Endspiel der Fußballweltmeisterschaft, das ist in
Österreich Ende Januar der Start zur Hahnenkammabfahrt, der berüchtigten
Streif. An diesem Tag findet die Nation zu sich selbst und nirgends ist der
Jubel größer als bei heimischen Siegen. Insofern lässt sich sagen, dass die
heimliche Hauptstadt des Landes schon lange Kitzbühel ist und nicht Wien.
Aus Wien kommen Politiker, Tarockspieler oder Fußballer, aber keine Helden.
Jetzt zieht der Ski-Zirkus wieder ins Herz Europas. Das österreichische
Kalenderjahr wird sozusagen eingeläutet. Dann werde auch ich wieder
Samstagmittag den Fernseher einschalten, zum Patrioten werden und mir die
Rennen ansehen. Dann verlasse ich für eine Stunde das triste norddeutsche
Flachland und befinde mich gefühlsmäßig in den heimatlichen Bergen. Und im
Hintergrund trällert Hansi Hinterseer.
10 Dec 2008
## AUTOREN
Alexander Meschnig
## TAGS
Wintersport
Wintersport
Ski Alpin
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