# taz.de -- Die Wahrheit: Strahlender Kreuzer | |
> Erstes atombetriebenes Kreuzfahrtschiff für 30.000 Kreuzfahrende ist | |
> jetzt von Deutschland aus auf allen Weltmeeren unterwegs. | |
Bild: Hochzeitstorte ahoi – klimafreundlich und bombensicher | |
Vor uns ragt die „MS Plutonia“ in den Hamburger Nachmittagshimmel und | |
wirft über einen Großteil des Oberhafens und der dahinter liegenden | |
Speicherstadt ihren gigantischen Schatten. Wir stehen mit Kapitän Paul | |
Hansen an der Ablegestelle des Kreuzfahrtterminals in Baakenhöft. „Dass die | |
EU-Kommission Investitionen in Gas und Atomkraft vorerst als | |
klimafreundlich eingestuft hat, war das Beste, was einem zu Recht als | |
Umweltsau in Verruf geratenen Unternehmen wie uns passieren konnte“, räumt | |
der Schiffsführer selbstkritisch ein. | |
Das nagelneue, leuchtend türkise Atom-Flaggschiff der „AIDA Green Eco | |
Plus“-Flotte beeindruckt durch seine schiere Wucht: „127 Meter Höhe, 470 | |
Meter Länge und ein Gewicht von 260.000 Tonnen“, fasst der in eine weiße | |
Ausgehuniform gepresste Mittfünfziger mit akkurat graumeliertem Bart die | |
technischen Eckdaten zusammen. „Das Riesenbaby kann bei einem Maximaltempo | |
von 850 Knoten die Strecke Hamburg–New York–Sydney–Kapstadt–Rio in drei | |
Tagen schaffen.“ | |
Kann, wohlgemerkt. Da es in Australien in der Regel einen halben Tag | |
brauche, um im Hafen „die Trümmer von Fischtrawlern und Ausflugsbooten vom | |
Bug zu kratzen“, so der stolze Kapitän, „hängen wir dem Zeitplan natürli… | |
immer ein wenig hinterher“. Der Einbau einer noch aus 1.000 Kilometern | |
hörbaren „Überschall-Warnhupe“ soll da aber in den nächsten Wochen Abhil… | |
schaffen. | |
Weil die „MS Plutonia“, in Anbetracht ihrer Ausmaße und ihrer irrwitzigen | |
Geschwindigkeit, unverschämterweise auch noch völlig CO2-frei auf den | |
Weltmeeren unterwegs ist, bleibt den stinkigen und halbleeren | |
Diesel-Flotten der Konkurrenz mittlerweile nichts anderes übrig, als | |
angesichts der Übermacht dieses EU-zertifizierten 1.400 | |
Megawatt-Leichtwasser-Reaktors ebenfalls grün zu werden. Allerdings nur vor | |
Neid, wie Kapitän Hansen mit einem süffisanten Grinsen betont. | |
## Das einzige Schiff | |
„Denn wer möchte bei einer voll beleuchteten Cocktail-Sommerparty nicht das | |
einzige Schiff auf dem Ozean sein, das vom Weltraum aus zu sehen ist? Und | |
dabei trotz des immensen Energieverbrauchs ein blütenreines Gewissen | |
haben?“ Der Skipper zwinkert uns komplizenhaft zu, während auf den 28 Decks | |
über uns futuristisch anmutende Gestalten in quietschgelben | |
Vollschutzanzügen die Fassade mit Hochdruckreinigern dekontaminieren. | |
Gleich treffen rund 35.000 Passagiere ein. | |
Rissige Plastikfässer mit fett aufgedruckten EU-Umweltengeln anstelle der | |
sonst üblichen Radioaktiv-Zeichen poltern von der Reling in die Tiefe und | |
landen zu Dutzenden platschend im Hafenbecken, wo bereits einige Hundert | |
fluoreszierende Fische mit dem Bauch nach oben schwimmen. Aus den | |
bleiummantelten Kabinen weht der Wind das Geräusch von klickenden und | |
warnend aufjaulenden Geigerzählern zu uns herüber. | |
Selbstlos und mutig hat das AIDA-Management jetzt beschlossen, bisher stark | |
frequentierte Destinationen wie Venedig oder Dubrovnik komplett aus den | |
Reiserouten der Flottille zu streichen. Stattdessen werden ökologische | |
Nischen, aber auch nur von wenigen Indigenen bewohnte Kleinode in sensiblen | |
Schutzgebieten angelaufen. „So möchten wir das Bewusstsein unserer Gäste | |
für das empfindliche und vom Klimawandel massiv bedrohte Ökosystem der | |
Ozeane schärfen“, säuselt Hansen. Der stellt sein Hightech-Monster während | |
exquisiter Luxusfahrten auf allen Weltmeeren auch mal abseits vom Kampf | |
gegen die Erderwärmung in den Dienst der guten Sache. Sei es als Eisbrecher | |
in der Arktis, bei der aushilfsweisen Bestromung einer Küstenmetropole nach | |
Blackout oder, wie zuletzt, beim spektakulären Auflösen der jüngsten | |
Suezkanal-Blockade mittels einmaligen Durchfahrens der „MS Plutonia“. | |
## Vamos Galapagos | |
Trotz oder gerade wegen des gewaltigen wirtschaftlichen Erfolgs der in den | |
Medien als „Rainbow Warrior der Kreuzfahrtbranche“ bekannten Atomjolle will | |
man sich auch in Zukunft um den Klimaschutz verdient machen. Als | |
strahlendes Vorbild soll die nukleare Agenda weiter vorangetrieben werden. | |
In diesem Rahmen ist die „MS Plutonia“ an der Suche nach einem Endlager für | |
maritimen Atommüll dabei und hat der Internationalen Atomenergieagentur | |
bereits einen Vorschlag gemacht. „Die Galapagosinseln!“, frohlockt Hansen. | |
„Weit weg von jeglicher Zivilisation und mit einer Tierwelt gesegnet, bei | |
der ein paar Mutationen mehr oder weniger gar nicht auffallen.“ Der | |
strahlende Schiffslenker hat noch mehr Seemannsgarn in petto, muss sich | |
jetzt aber wegen eines plötzlichen Kernschmelzealarms hektisch von uns | |
verabschieden. Glücklicherweise, wie sich während einer vorübergehenden | |
Evakuierung herausstellt, eine Fehlmeldung. | |
Stunden später legt der komplett ausgebuchte Schwimmbrüter ab. Mit dem | |
Einschalten der gleißend hellen 250.000 Watt Abendbeleuchtung schickt er | |
noch ein starkes Power-Statement an Hamburg und die Welt: Die „MS Plutonia“ | |
fährt nicht in den Sonnenuntergang – sie ist der Sonnenuntergang. | |
14 Jan 2022 | |
## AUTOREN | |
Patric Hemgesberg | |
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