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# taz.de -- Hausbesetzung von Senior*innen: Von wegen Stille Straße!
> Vor zehn Jahren besetzten Senior*innen ihren von der Schließung
> bedrohten Freizeittreff in Berlin. Doch bis heute ist das Haus nicht
> gesichert.
Bild: Jugendstil, auch bei der Sprache: Die Aktivist*innen der Stillen Straße
Berlin dpa | Die Bilder gingen um die Welt: Senioren, die 112 Tage lang
[1][eine Villa in Berlin-Pankow besetzten]. Mit ihrem außergewöhnlichen
Protest wollten sie verhindern, dass ihr Freizeittreff geschlossen wird.
Bald zehn Jahre ist das nun her. „Widerstand lohnt sich, wir sind immer
noch da“, sagt Eveline Lämmer vom Vorstand des Fördervereins „Stille Stra…
10“.
Doch das Problem sei nicht gelöst. „Politik und Verwaltung können sich
nicht damit anfreunden, die wollen uns hier raushaben“, ist Lämmer
überzeugt. Der Bezirk biete dem Verein immer nur Nutzungsverträge für
jeweils ein Jahr an. „Jedes Jahr, wenn es Dezember wird, hoffen die
Vereinsmitglieder auf eine Fortführung im nächsten Jahr“, sagt Eveline
Lämmer. Der Zustand sei unhaltbar. „So können wir leider nicht langfristig
planen. Wir hätten gern einmal fünf Jahre“, ergänzt der ehemalige Besetzer
Peter Klotsche.
Sozialstadträtin Cordelia Koch (Grüne) betont, sie wünsche sich für die
betroffenen Menschen endlich eine langfristige Perspektive. Anfang 2022
wolle sie ein Gespräch mit der zuständigen Abteilung im Rathaus führen.
„Mein Ziel besteht darin, einen dreijährigen Vertrag auszuhandeln“,
verspricht Koch. Langfristig sei das bezirkseigene Grundstück gemeinsam mit
dem Nachbargrundstück aber für eine Kitanutzung vorgesehen.
Peter Klotsche, seine Frau Brigitte und vier weitere Seniorinnen campierten
im Sommer 2012 auf Matratzen und Euro-Paletten in der Villa. „Wir sind nur
zum Wäsche waschen und Blumen gießen nach Hause gegangen“, erinnert sich
Peter Klotsche, der damals – wie seine Frau – über 70 war.
Nach 14 Jahren hatten Bezirksamt und -parlament damals das Aus für die
Seniorenfreizeitstätte beschlossen. Die zuständige Stadträtin Lioba
Zürn-Kasztantowicz (SPD) erklärte dies damals mit Sparzwängen. Die
Sanierungskosten schätzte sie auf 2,5 Millionen Euro, die der verschuldete
Bezirk nicht habe.
## Einst wohnte hier Erich Mielke
Doch die Senioren nahmen das nicht hin und [2][besetzten die Villa], in der
einst Stasi-Chef Erich Mielke wohnte, kurzerhand. „Die Solidarität war
immens. Die Berliner haben uns versorgt“, erinnern sich die Klotsches:
„Kleingärtner haben uns kistenweise Obst gebracht, ein Fischhändler
versorgte uns ebenfalls, man hat Brot für uns gebacken und Kaffee mussten
wir auch lange nicht kaufen“.
Medien aus aller Welt begleiteten den Protest. „180 Fernsehsender waren bei
uns. In der britischen Zeitung „The Guardian“ standen wir sogar auf der
Titelseite“, erzählt Eveline Lämmer.
Das Haus, in dem heute verschiedene Generationen im Chor singen, Schach
spielen, Englisch lernen, Feste feiern oder auch einfach nur zum Reden
zusammenkommen, [3][wird von der Volkssolidarität unterstützt]. Sie zahle
die Fixkosten. „Alle Veranstaltungen finanzieren wir mit dem Förderverein
selbst“, berichtet Lämmer. Der Treff sei täglich geöffnet – dank
ausschließlich ehrenamtlicher Arbeit.
## Wie es weiter geht? Das bleibt unklar
Zwischen den anderen prächtigen Häusern in der Straße wirkt die unsanierte
Senioren-Villa nach wie vor grau und unscheinbar. Immerhin: der hölzerne,
grüne Zaun wurde erneuert, der Vorgarten mit Hilfe von Nachbarn
verschönert. Die Volkssolidarität habe sich für die Reparaturen und die
Instandhaltung des Gebäudes eingesetzt. Aber: „Wer investiert schon in
größerem Umfang in Sanierungs- und Umbaumaßnahmen, wenn alles unklar ist?“,
fragt Eveline Lämmer.
Die Villa liegt in exquisiter Lage in Nachbarschaft zum Majakowskiring, in
dem früher die DDR-Elite wohnte. Um den Senioren eine langfristige
Perspektive zu bieten, war ursprünglich geplant, in einen Neubau der
landeseigenen Gesobau in die Tschaikowskistraße zu ziehen. Geplant war ein
Mix aus betreutem Wohnen und Begegnungsstätte. Doch laut Stadträtin Koch
ist die Planung für das Gebäude aus finanziellen Gründen nicht umsetzbar.
Wie wichtig die Arbeit sei, habe auch die Corona-Pandemie deutlich gemacht.
Für viele Senioren sei die Freizeitstätte der einzige Punkt, an dem soziale
Kontakte möglich seien, so Lämmer.
## Feier im Sommer geplant
Im kommenden Sommer wollen die Senioren das zehnjährige Jubiläum der
Hausbesetzung feiern. Dazu soll auch ein Buch erscheinen und aus der
Nachbarschaft komme prominente Unterstützung. „Die Schauspielerin Jasmin
Tabatabai ist unsere Schirmherrin“, freut sich Eveline Lämmer.
Die damals 72 Jahre alte Clubvorsitzende und Initiatorin des Protests,
Doris Syrbe, ist inzwischen gestorben und wird die Feier nicht mehr
miterleben können. „Auch Peter Venus, der damals die Pressearbeit für uns
gemacht hat, ist leider schon gestorben“, sagt Eveline Lämmer.
Trotz mancher Widrigkeiten: Aufgeben wollen sie und ihre Mitstreiter auch
weiterhin nicht. „Wir bleiben hier. Da müsste man uns schon raustragen.“
30 Dec 2021
## LINKS
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Hausbesetzung
Senioren
Berlin-Pankow
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
Integration
Wohlfahrt
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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