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# taz.de -- Drogeriekette „Schlecker“: Ein Zombie erhebt sich
> Lange ist es her, da hat die Drogeriekette ihr Ende verkündet. Nun soll
> sie wieder auferstehen, während andere, hoffentlich endgültig, aufgeben.
Bild: Die Überbleibsel einer Schlecker-Filiale
„dm bleibt Deutschlands beliebtester überregionaler Drogeriemarkt“, jubelt
„dm“ in der wertvollsten Werbezeit kurz vor der Tagesschau. Da ist Dirk
Rossmann sicher traurig, denkt sich die kritische, doch empathische
Verbraucherin, denn schließlich wäre es bei nur einem Konkurrenten (die
Drogeriekette Müller ist kein bundesweiter Player) gar nicht mal so
schwierig, den Thron des nur zweitunbeliebtesten großdeutschen
Hustenbonbon- und Zahnbürstendealers zu besteigen.
Doch irgendwie hat Rossmann sich verzettelt, irgendwo ist er falsch
abgebogen. Eine verlogene Muse hat, gegen vermutlich üppiges
Schmerzensgeld, den eitlen Drogerieboss mit gespaltener Zunge geküsst und
damit tief hinab ins dunkle Schmerzensreich der Literatur gelockt. Wo die
Kundin sich in einem Drogeriemarkt wähnt und dann statt Duschbädern einen
Büchertisch findet, an dem „zwei spannende Oktopus-Thriller von Dirk
Rossmann im Set“ angeboten werden, ahnt sie, wie fließend die Begriffe
Genie und Wahnsinn, unternehmerisches Geschick und Missgeschick ineinander
übergehen.
Da hatten die biederen, aber fleißigen und seelisch gesunden Händler von
„dm“ natürlich leichtes Spiel. „Schuster, nun grab aber schnell mal dein…
Leisten wieder aus“, denkt sich jetzt die kritisch-empathische Leserin der
beliebtesten unter den 1978 gegründeten überregionalen Tageszeitungen
Deutschlands, noch dazu, da nun [1][erneut ein dritter überregionaler
Konkurrent] am Horizont erscheint und wie von Geisterhand mit zuckenden
Blitzen altbekannte Buchstaben in die finster dräuende Wolkenwand malt: S –
C – H – L – E – C – K – E – R.
Er ist wieder da! Die vor zehn Jahren mit Bausch und Bogen [2][implodierte
Drogeriekette] soll ein Comeback erleben. Das alte Mischkonzept aus
Ultraausbeutung (wir erinnern uns an notgedrungen Windeln tragende
Mitarbeiterinnen, die die kleinen Filialen oft alleine führen mussten und
dabei ständig überfallen wurden) und betrügerischem Bankrott wird unter
neuer Führung einem anderen, im Grunde kaum weniger wirren Geschäftsplan
weichen: Der Schwabe Patrick Landrock, Chef des österreichischen
Unternehmens „kitzVenture“ will in den Mitte 2022 zu eröffnenden ersten
fünfzig Filialen ein atemberaubendes Sammelsurium aus Kosmetika,
Lebensmitteln, Büro- und Baumarktartikeln sowie einen „Miet-Commerce“ für
Unterhaltungs- und Haushaltsgeräte anbieten. „Na dann, Regal- und
Ständerbruch“, ist man geneigt zu wünschen.
## Nostalgische Erinnerungen
[3][Während „Schlecker“] sich also noch ein hoffentlich allerletztes Mal in
seinem Grab aufbäumt, verschwinden andere vertraute Marken endgültig:
Erinnert sich noch jemand an „Blackberry“? Die antiken Tastentelefone
dienten vor allem dazu, Termine zu notieren, falls gerade kein praktischer
Papierkalender zur Hand war. Seit Dienstag werden die veralteten
Betriebssysteme nun endgültig nicht mehr unterstützt.
Und auch die Nudelmarke „Buitoni“, beliebtestes Nahrungsmittel der
Generationen Y und Z, wurde vom Nudelzar „Delverde“, haha, geschluckt, und
erscheint bloß noch als mickriges Sublogo auf den „Delverde“-Verpackungen.
Nichts ist mehr wie früher, wir Alten kennen das ja: Die Limomarken „Bluna“
und „Sinalco“ diffundierten in die Bedeutungslosigkeit, John Lennon wurde
ermordet, der NSU „Prinz“ verschwand aus dem Straßenbild und altbackene
Äußerungen über Fußball spielende Frauen fanden in der Sendung „Doppelpas…
bei Sport1 ihre Gnadenbrotwiese.
Manches vermisste man, wie die nostalgische Kindererinnerung an eine Bluna
am Schwimmbeckenrand in einem nicht enden wollenden Feriensommer, anderes,
wie zum Beispiel „Schlecker“, eher nicht.
4 Jan 2022
## LINKS
[1] /Sieben-Jahre-nach-Pleite-der-Drogeriekette/!5590733
[2] /Debatte-Schlecker/!5098006
[3] /Schlecker/!t5014611
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Schlecker
Pleite
dm
Nostalgie
Bildende Kunst
Schwerpunkt Armut
Insolvenz
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