# taz.de -- die wahrheit: Verwaiste Ratten | |
> Im Berliner Problembezirk Wedding sieht man die Folgen des Niedergangs | |
> schneller als anderswo. Lange bevor das Unternehmen seine Insolvenzpläne | |
> bekannt gab... | |
Bild: Die Überbleibsel einer Schlecker-Filiale | |
..., schloss hier im vergangenen Jahr die Filiale der Drogeriemarktkette | |
Schlecker in der Prinzenallee Ecke Soldiner Straße. Mit dramatischen | |
Auswirkungen für den Kiez und seine Bewohner. Eine Blaupause für das, was | |
dem Rest Deutschlands bald blüht? | |
Edelgard Schabowski kann es bis heute nicht fassen. Wie gewohnt wollte sie | |
an einem Dienstagnachmittag im August Toilettenpapier, einen Kratzschwamm | |
und einen 2009er Malepère Rosé kaufen. Was sie dann sah, ging auf keine | |
Weleda-Hautcreme. "Eher hätte ich einen Steam-Star-Dampfbesen inklusive | |
Bodentücher gefressen, als jemandem zu glauben, der mir die Schließung | |
dieses Geschäfts prophezeit hätte", sagt sie mit brüchiger Stimme. | |
Der Schock über die verschlossene Ladentür ist der Frührentnerin noch | |
anzusehen. Entnervt walkt sie zwischen ihren Zähnen einen Kaugummi, den sie | |
sich aus einem Einweghandschuh und etwas Raumduftessenz gebastelt hat. "Das | |
ist alles, was mir geblieben ist", seufzt sie, reibt sich Flüssigseife in | |
die Augen und weint hemmungslos. | |
Aus einem Fenster des zweiten Obergeschosses lehnt sich Bircan Nalga und | |
kommentiert die Szene: "Verraten und verkauft haben die uns!" Als der | |
Gewinn der vergangenen Jahre in trockenen Zewa-Papierhandtüchern gewesen | |
sei, habe sich die Konzernleitung einen feuchten Dreckentferner um die | |
Filialen gekümmert. Mit denen sei es abwärtsgegangen, vergleichbar einem | |
WC-Sitz mit Absenkautomatik. Die Menschen vor Ort seien dabei völlig egal | |
gewesen. "Benutzt haben sie uns wie einen AS-Abfallbeutel", ruft sie empört | |
und fügt wütend an: "Jetzt ist die Gegend nur noch eine Gegend ohne eine | |
Drogerie." | |
Und wahrlich, trist und kahl präsentiert sich der Soldiner Kiez heute. Wo | |
einst die beleuchtete Reklametafel einen der schönsten Hinterhöfe Berlins | |
in das festliche Firmenblau tünchte, wird heute nichts mehr getüncht. Wo | |
prächtig geschmückte Schaufenster zum Verweilen einluden, laden sie heute | |
zum Einschlagen ein. Mit den größeren Scherben verteidigt man sich gegen | |
die überdimensionalen Ratten, die vom Gestank der ungeputzten Küchen | |
angelockt werden. Die zahlreichen Jugendbanden schlagen sich gegenseitig | |
tot: nur für Fleckensalz. | |
"Es gibt kaum noch Hoffnung für die Gegend", bedauert Monika Wolff aus dem | |
Quartiersmanagement, die seit einem halben Jahr auf sämtliche | |
Hygieneartikel verzichten muss. Mit Schlecker verschwand nicht nur die | |
letzte Hoffnung aus der Gegend, sondern ebenfalls der Glaube daran, dass es | |
möglich ist, mit nur einer Leiharbeiterin und fünf Kunden täglich, Gewinn | |
zu erwirtschaften. | |
"Jetzt sind sogar die kleinsten Dinge gefährdet", gibt Frau Wolff zu | |
bedenken. Das beliebte Seifenkistenrennen, dass sie für den März geplant | |
hatte, ist ohne benachbarten Drogeriemarkt ein Ding der Unmöglichkeit | |
geworden. Sie hofft, dass wenigstens Rossmann in die verwaisten Räume | |
einzieht. Denn nur eines ist laut Frau Wolff sicher: "Zum nächsten | |
Schlecker an der Wollankstraße werden wir nicht gehen. Das sind mindestens | |
150 Meter." | |
27 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Andreas Koristka | |
## TAGS | |
Schlecker | |
DDR | |
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