# taz.de -- Debatte Schlecker: Neustart in Mitarbeiterhand | |
> Die insolvente Drogeriekette Schlecker müsste nicht zerschlagen werden, | |
> denn es gibt eine bessere Lösung. Ein Plädoyer für Belegschaftseigentum. | |
Bild: Demokratie wäre, wenn Schlecker Belegschaftseigentum würde. | |
Der Fall Schlecker zeigt einmal mehr das „Wolfsgesetz“ der kapitalistischen | |
Konkurrenz: Hier hat es sogar dem nach Umsatz zweitgrößten Unternehmen | |
einer Branche den Garaus gemacht. Auf dem hart umkämpften Drogeriemarkt | |
reichte am Ende auch das pervertierte „Geschäftsmodell“ der doppelten | |
Ausbeutung von Beschäftigten und Lieferanten nicht mehr. Der | |
Familienkonzern musste Insolvenz anmelden. | |
Das Eigenkapital des Unternehmens war durch aufgelaufene Verluste | |
aufgebraucht. Zuvor hatte die Familie Schlecker allerdings per jahrelange | |
Gewinnausschüttung ein beachtliches Vermögen privat akkumuliert. Das Geld | |
will man jetzt zur Krisenbehebung nicht wieder ins Unternehmen | |
reinvestieren. Vielmehr sollen über 10.000 Beschäftigte, überwiegend | |
Frauen, ihre Arbeit verlieren, und das Unternehmen soll zerschlagen werden. | |
Nur durch eine Massenentlassung sei ein Weiterleben des Restkonzerns | |
möglich. | |
Sicher werden auch noch Fremdkapitalgeber wie zum Beispiel Banken und | |
Lieferanten zur Kasse gebeten werden – wie bei jeder Insolvenz. Und auch | |
der Ruf nach dem Staat ist bereits ertönt. Großunternehmen genießen eben, | |
im Gegensatz zu kleinen und mittleren Firmen, die Aufmerksamkeit der | |
Öffentlichkeit und damit auch der Politik. So wird im Fall Schlecker | |
abermals über eine Transfergesellschaft diskutiert, in der die Entlassenen | |
aufgefangen werden sollen – unterstützt vom Staat, was den Steuerzahler | |
Millionen kosten wird. | |
## Mickriger Sozialplan | |
Eine wirkliche Hilfe ist dies aber genauso wenig wie ein mickriger | |
Sozialplan. Die meisten der in eine Transfergesellschaft überführten | |
Beschäftigten werden nach einem Jahr keine neue Arbeit gefunden haben. | |
Ihnen droht in Anbetracht der schlechten Arbeitsmarktlage für | |
Verkäuferinnen dann die Erwerbslosigkeit. So müssen am Ende für die Krise | |
des Unternehmens wirklich nur die haften, die sie nicht verursacht haben. | |
Statt wie geplant die Schlecker-Reste an neue private Investoren zu | |
verkaufen, wäre jedoch eine weit bessere Lösung möglich: die staatlich | |
flankierte Übernahme des Unternehmens in Belegschaftseigentum zu einem | |
symbolischen Preis von einem Euro. | |
Für ein Unternehmen in der Hand der Belegschaft sind dann verschiedene | |
Formen vorstellbar. Ein „Mitarbeiter-Schlecker“ könnte als | |
Aktiengesellschaft, GmbH oder Genossenschaft organisiert werden. Die | |
Belegschaft hätte die Möglichkeit, in einem Gesellschaftsvertrag über die | |
derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen der Mitbestimmung hinaus jede nur | |
denkbare Form der demokratischen Kontrolle und Entscheidungsfindung | |
festzuschreiben. | |
Aus der Rettung in der Not würde so ein wichtiger Schritt auf Neuland: Die | |
Beschäftigten könnten sich eine eigene Führungsmannschaft wählen, sie | |
könnten uneingeschränkt mitbestimmen über die Geschäftspolitik und die | |
Strategie, über Investitionen und Gewinnverwendung. Und sie könnten für | |
„gute Arbeit“ im Unternehmen sorgen und damit für mehr Produktivität und | |
Effizienz. | |
## Größtes Kapital der Firma | |
Denn keiner kennt ein Unternehmen – seine Stärken und Schwächen wie auch | |
die Erwartungen der Kunden – so gut wie die Beschäftigten. Sie sind das | |
größte Kapital jeder Firma. Ihr Einsatz, ihre Erfahrung und ihr | |
Sachverstand käme dem Unternehmen noch mehr zugute, wenn sie sich mit ihm | |
identifizieren könnten: als Eigentümer, die nicht nur mit einem Lohn | |
abgespeist werden, sondern denen der Gewinn selbst gehört. | |
Wichtig auf dem Weg zum Belegschaftseigentum wären allerdings zwei Dinge: | |
Kein Schlecker-Mitarbeiter dürfte entlassen werden, sonst käme es zu einer | |
Entsolidarisierung. Und das wäre keine gute Voraussetzung für einen | |
Neustart in Mitarbeiterhand. Zudem müsste das insolvente Unternehmen | |
vollständig entschuldet und mit neuem Eigenkapital ausgestattet werden. | |
Dieses Kapital können die bisher schlecht bezahlten Beschäftigten natürlich | |
nicht aufbringen. Deshalb muss der Staat mit einer Subvention einspringen, | |
was zwar viele Vorurteile wecken würde, aber gesamtwirtschaftlich | |
gerechtfertigt ist: Erstens bräuchte die Gesellschaft keine Arbeitslosen zu | |
alimentieren. Zweitens entstünden keine Sozialplankosten, und es würde | |
drittens weder zu Mindereinnahmen der Sozialversicherungssysteme kommen | |
noch würden, viertens, die Lohnsteuerzahlungen sinken. | |
## Gefährliches Duopol droht | |
Ein fünfter Vorteil wäre: Es würde zu keiner weiteren Marktkonzentration | |
kommen. Das ist keine Nebensache, denn werden die Schlecker-Reste an | |
private Investoren verkauft, droht ein gefährliches Duopol der | |
Schlecker-Konkurrenten dm-drogerie-markt und Rossmann. Eine solche | |
Konzentration würden nicht nur die Kunden in Kürze durch höhere Preise zu | |
spüren bekommen: Betroffen wären auch die Lieferanten, die einer noch | |
größeren Nachfragemacht der Duopolisten ausgesetzt wären, die wiederum so | |
ihre Gewinne noch beträchtlich steigern könnten, was mit abermals | |
wachsender Marktmacht einhergehen würde. | |
Es würden freilich Probleme bleiben, die mit einer Überführung Schleckers | |
in Belegschaftseigentum allein nicht zu beseitigen sind. Dazu gehört als | |
Erstes das marktwirtschaftliche Konkurrenzprinzip, das mit einem | |
verschärften Wettbewerbsrecht eingedämmt werden sollte. Zudem bräuchte man | |
eine branchenbezogene verteilungsneutrale Tarifpolitik, die für | |
ausgeglichene Verteilungsverhältnisse in Deutschland sorgt. Nur so ist auch | |
eine nachhaltige Entwicklung im Einzelhandel möglich. | |
Der heute herrschende Verdrängungswettbewerb zum angeblichen Vorteil der | |
Verbraucher ist in Wahrheit zerstörerisch. Dazu haben allgemein gigantische | |
Umverteilungen des Volkseinkommens von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen | |
wie auch speziell im Einzelhandel die Lockerungen des Rabatt- und | |
Ladenschlussgesetzes kontraproduktiv beigetragen. Würde es gelingen, diesen | |
destruktiven Rahmen durch eine antineoliberale Wirtschaftspolitik zu | |
berichtigen, könnte auch das Belegschaftseigentum seine vollen positiven | |
Wirkungen entfalten. Nicht nur im Fall Schlecker. | |
20 Mar 2012 | |
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