# taz.de -- Bei Schlecker, vor Ort: Aus der Schaum | |
> Viele Schlecker-Filialen müssen nächste Woche schließen, der Abverkauf | |
> ist in vollem Gange. Freuen kann sich unter den Kunden kaum jemand über | |
> die Angebote. | |
Bild: 30 Prozent auf alles – außer Tabak und DVDs. | |
„So ist das Leben. Scheiße, aber so ist es eben“, sagt die | |
Schlecker-Kassierin. An der Kasse hat sich eine lange Schlange bis zum Ende | |
des Ganges gebildet. Eine alte Frau packt gerade die ergatterten Putzmittel | |
auf das Band. Dort sitzt die junge Frau mit den tätowierten Unterarmen und | |
kassiert. | |
Es müffelt ein wenig. „Aus dem Kühlschrank ist letzte Woche was | |
ausgeronnen“, sagt die andere Schlecker-Frau. Sie schiebt ihn angewidert | |
zur Seite. Die weißen Regale sind auch bei äußerst optimistischer | |
Einstellung halb leer, der graue Fliesenboden ist schmutzig. Nach Putzen | |
ist den Schlecker-Damen nicht mehr zumute. Das kann man ihnen auch nicht | |
verübeln. | |
Die ältere Mitarbeiterin füllt im ersten Gang „Hohes C“ nach, das Einzige, | |
was das Lager noch hergibt. Dann klingelt das Telefon. Es steckt in ihrem | |
weißen Arbeitskittel. Sie nimmt ab und eilt in den Hinterraum. Sie | |
erkundigt sich, wie es denn jetzt weitergehen soll, aber sie erfährt nichts | |
Neues. „Wie gehabt also“, sagt sie und beendet das Gespräch. | |
Ein alter Mann mit Stock betritt das Geschäft, er deutet mit seiner | |
Gehhilfe auf den Korb, auf dem „Minus 50 Prozent“ steht, und ruft der | |
Kassierin zu: „Warum warst du nix da! Wollt ich kaufen!“ Sie antwortet, | |
dass sie bei einer Betriebsversammlung gewesen sei, der Laden hat deswegen | |
wohl später geöffnet. Er schimpft noch ein bisschen vor sich hin und geht | |
wieder. | |
## Schüchterne Schnäppchenjäger | |
Im Laden ist es still. Nur das Piepsen des Scanners an der Kasse und die | |
aufmunternden Worte der Kunden unterbrechen die Ruhe. Das schlechte | |
Gewissen liegt in der Luft, schüchtern streifen die Blicke der | |
Schnäppchenjäger durch die fast leeren Regale. Sie gehen von Gang zu Gang | |
und beraten sich leise. Sie sind hastig, aber zurückhaltend, als würden sie | |
sich ein bisschen schämen. | |
Besonders viel legt niemand in seinen Einkaufswagen, man will sich ja nicht | |
am Leid anderer laben. Vielleicht haben ihnen ihre Eltern einst | |
beigebracht, dass sich Schadenfreude nicht gehört. Es fühlt sich nicht | |
richtig an, vom Jobverlust anderer zu profitieren. Obwohl das ja lächerlich | |
ist, denn nicht einkaufen würde die Schlecker-Filialen auch nicht mehr | |
retten. | |
Ein Gedanke: So muss es nach dem Krieg gewesen sein. Im nächsten Moment | |
kommt man sich dumm vor. Deo und Nagellack zu ergattern war wohl eines der | |
kleineren Probleme in der Nachkriegszeit. Aber es ist trotzdem ein | |
unbehaglicher Anblick. In Zeiten, in denen alles immer und im Überfluss zu | |
kriegen ist, fühlen sich leere Regale falsch an. | |
## „Haben Sie’s nicht kleiner?“ | |
Nur Sonnencreme gibt es noch zur Genüge, da ist die Erinnerung an den | |
eiskalten Winter wohl noch zu gegenwärtig. Viel Geld hat die Filiale noch | |
nicht eingenommen, wie ein Blick in die Kasse verrät. Die ältere | |
Mitarbeiterin sitzt vor der schlecht bestückten Geldlade, verschränkt die | |
Arme und sagt: „Ich kann nicht mehr rausgeben, haben Sie’s nicht kleiner?“ | |
Dann sucht sie doch nach Münzen. Die gut gemeinten Fragen der Kunden nach | |
ihrem Befinden nerven sie langsam. | |
„Gibt‘s noch was?“, schreit ein alter weißhaariger Mann. Er steht in der | |
Tür und will einkaufen. „Die Leute finden doch immer noch was“, sagt die | |
junge Schlecker-Frau halblaut. Ob es auch Rabatt auf Tabak gibt, will er | |
wissen. „Auf alles außer Tabak und DVDs“, antwortet sie. Er erzählt, dass | |
er in einer anderen Filiale auch auf Tabak Prozente bekommen habe. „Da | |
haben wir zugeschlagen!“ Er zieht die Vokale übertrieben in die Länge und | |
wiederholt die ganze Geschichte zur Sicherheit noch einmal. Die Frauen sind | |
genervt. | |
„Lass dich nochmal drücken!“, sagt eine kleine dicke Kundin zu der älteren | |
Schlecker-Frau. „Aber wir haben doch noch bis Freitag offen!“, antwortet | |
die. Die kleine Frau erkundigt sich nach der Lage. Die Mitarbeiterin fährt | |
sich durch ihre kurzen, roten Haare und seufzt. Dann erzählt sie von der | |
Transfergesellschaft, dass 200 Filialen weniger schließen und wie schwer es | |
für die alleinstehenden Kolleginnen mit Kindern ist. Sie umarmt die kleine | |
dicke Frau. | |
Dann sagt sie lächelnd: „Ich mach' mir keine Sorgen, das wird schon | |
werden.“ | |
21 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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