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# taz.de -- Gnadenlose Ausweisung: Ausländerbehörde wird rückfällig
> Die Ehefrau eines türkischen Koma-Patienten wird von der Pinneberger
> Ausländerbehörde ausgewiesen. Auch der Sohn des Patienten musste schon
> ausreisen.
Bild: Hörü Ince würde ihren komatösen Mann gern betreuen, aber die Ausländ…
Hamburg taz | Seit einem Jahr liegt der türkische Arbeiter Uysal Ince aus
Uetersen nach einem schweren Arbeitsunfall im Koma. Trotz der großen
Entfernung versuchen seine Familienangehörigen, sich um Ince zu kümmern,
doch die bundesdeutschen Behörden werfen ihnen immer wieder Knüppel
zwischen die Beine. Allen voran die [1][Pinneberger Ausländerbehörde].
Nachdem sie schon dem Sohn einen längeren Aufenthalt zu Betreuungszwecken
verweigert hatte, versagt das Amt auch der Ehefrau Hörü Ince die
Verlängerung eines Aufenthaltsstatus, um den 62-jährigen Koma-Patienten
betreuen zu können.
Uysal Ince lenkte in den frühen Morgenstunden des 3. November 2020 den
Firmenlaster einer Baufirma aus Tornesch auf dem Weg zu einem Kunden, als
er zusammen mit Kollegen auf der Bundesautobahn 1 bei Stapelfeld in einen
Stau geriet. Ein sich von hinten nähernder Sattelschlepper mit Holzstämmen
übersah das Stauende, zermalmte den Kleinlaster und schlitzte die
Fahrerkabine regelrecht auf.
Ersthelfer mussten den damals 61-Jährigen vor Ort reanimieren, bevor Ince
mit dem Rettungshubschrauber ins Berufsgenossenschaftliche Klinikum
Hamburg-Boberg geflogen wurde. Die ÄrztInnen stellten ein schweres
Schädeltrauma sowie wegen des Sauerstoffmangels eine Hirnschädigung fest,
so dass Ince ins Wachkoma fiel.
Sein 36-jähriger Sohn Mehmet eilte sofort nach Hamburg, wofür er ein
dreimonatiges Visum beim deutschen Konsulat in Izmir bekommen hatte. In der
Zeit besuchte er seinen Vater, wie es die Corona-Beschränkungen zuließen,
und organisierte weitere Behandlungsschritte sowie nach sechs Monaten die
Verlegung in eine medizinische Einrichtung in Wedel.
## Ärztliche Atteste überzeugen die Behörde nicht
Im Juni dann forderte das Pinneberger Ausländeramt Mehmet Ince auf,
[2][nach Ablauf des Visums Deutschland zu verlassen]. Mehrfache Versuche,
eine Verlängerung des Visums zu erlangen, scheiterten – trotz der
Bestätigung seines türkischen Arbeitgebers, dass er an einem längeren
Aufenthalt in Deutschland wegen seiner Verpflichtungen in der Türkei kein
Interesse habe, und trotz ärztlicher Atteste, die eine weitere
vorübergehende Anwesenheit des Sohnes als medizinisch zwingend geboten
ansahen.
Nach mehreren vergeblichen Konsultationen im Pinneberger Ausländeramt
reiste Mehmet Ince enttäuscht und genervt in die Türkei zurück. „Ich wollte
den Stress mit den Behörden nicht auf die Spitze treiben, damit es keinen
Grund gibt, mir eine Wiedereinreise zu verweigern, wenn mein Vater aus dem
Koma erwachen sollte“, sagte Mehmet Ince damals zur taz.
Außerdem hatte die Familie vereinbart, dass Uysals Inces Ehefrau Hörü den
Part des Sohnes am Krankenbett übernehme sollte. Doch diese Alternative
machte das deutsche Konsulat in Izmir vorerst zunichte. Es verweigerte Hörü
Ince monatelang ein Touristenvisum, weil sie sich angeblich in Deutschland
nicht ernähren könnte – obwohl ihr Sohn Mehmet für die Kosten aufkommen
wollte.
Dieses Vorgehen der bundesdeutschen Behörden löste nach einem Bericht der
türkischen Tageszeitung „Sözcür“ einen Proteststurm in den Medien aus. D…
gewährte das Konsulat in Izmir Hörü Ince im September doch ein
Touristenvisum.
Seither besucht die selbst kränkliche, 58-jährige Frau täglich ihren Mann
in der Wedeler Einrichtung – zuletzt wegen der Corona- Einschränkungen
zweimal die Woche. „Wenn ich meinem Mann lange Geschichten erzähle, merke
ich, dass er mir mit Augen oder Beinbewegungen etwas sagen will. Er gibt
mir Signale, als wenn er mich verstehen würde“, berichtet Hörü Ince der
taz.
## Offiziell gibt sich das Ausländeramt hilfsbereit
Ende November dann das Déjà-vu: Hörü Ince bekam die Aufforderung, nach
Ablauf des Touristenvisums Deutschland zu verlassen. Selbst ein Attest von
Uysal Inces behandelnder Ärztin zeigte keine Wirkung. „Sein Zustand ist
sehr kritisch, sodass ein Besuch der Ehefrau aus medizinischer Sicht sehr
zu befürworten ist“, schreibt die Internistin Sabine Rapp-Storrier über
ihren Patienten Ince. „Der Besuch der Angehörigen ist [3][für den
Heilungsprozess des Patienten] sehr wichtig.“
Beim Pinneberger Ausländeramt stoßen derartige Appelle auf taube Ohren.
„Aus Sicht der Behörde sind die eingereichten Atteste und Bescheinigungen
für eine Visa-Verlängerung nicht ausreichend“, schreibt das Amt. Das
Besuchsvisum habe lediglich eine Gültigkeit bis zum 25. November, deshalb
sehe man einer Ausreise bis zum 10. Dezember 2021 entgegen. „Bitte reichen
Sie die entsprechenden Rückflugtickets per E-Mail ein“, schreibt das
Ausländeramt an Hörü Ince.
## Kreisverwaltung gibt sich gesprächsbereit – gegenüber den Medien
Auf Anfrage der taz gibt sich die Pinneberger Kreisverwaltung offiziell
moderater und vermittelt Hoffnung. Es handele sich hier um einen sehr
tragischen Fall, sagt eine Sprecherin. Dabei stehe außer Frage, dass es für
die Familie wichtig sei, ihrem Angehörigen beizustehen.
Deshalb habe die Ordnungsbehörde des Kreises auch mehrfach alle
Möglichkeiten gründlich geprüft, wie die Familie optimal unterstützt werden
könnte – innerhalb der rechtlichen Vorgaben. Diese Möglichkeiten seien mit
der Familie besprochen worden. Bei weiterem Gesprächsbedarf oder Nachfragen
seitens der Familie stehe die Behörde jederzeit zur Verfügung, so die
schriftliche Erklärung der Kreisverwaltung.
„Das Angebot zum Gespräch steht“, beteuert Kreissprecherin Katja Wohlers
auf Nachfrage am Telefon. „Es ist das Ziel, eine sinnvolle und
einvernehmliche Lösung zu finden.“ Das hatte hat auch ihre Vorgängerin
Silke Linne beim Hin und Her um eine Duldung von Mehmet Ince im Juni
versprochen. Nach einem 30-minütigen Gespräch wurde Mehmet Ince damals von
den Beamten des Ausländeramts eine bereits ausformulierte Ausweisung
übergeben. So viel zur Lösungssuche.
12 Dec 2021
## LINKS
[1] /Familiennachzug-fuer-Fluechtlinge/!5480463
[2] /Ausweisung-trotz-Vater-im-Koma/!5773206
[3] /Klinikumsdirektor-ueber-Besuchsverbote/!5817073
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Abschiebung
Pinneberg
Patienten
Ausländerbehörde
Emsland
Schwerpunkt Flucht
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