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# taz.de -- Buch über Tennisbaron: Tadelloser Sportsmann
> Als Gegenentwurf zum „hässlichen Deutschen“ wird in einer Biografie
> Tennisspieler Gottfried von Cramm stilisiert. Gut, aber mitunter zu
> einseitig.
Bild: Baron Gottfried von Cramm in Aktion: der deutsche Tennisspieler 1937 in W…
Es ist eines der großen Matches des Jahrhunderts, das sich Gottfried von
Cramm und Donald Budge am 20. Juli 1937 in Wimbledon liefern, und die
treffendsten Worte dafür findet vielleicht US-Schriftsteller und Tennisfan
James Thurber. „So nah an eigentlicher Kunst“ sei diese Partie gewesen,
„dass es am Ende eher war, als wenn ein Konzert endete als ein
Tennismatch“, schrieb er.
Gottfried von Cramm steckt an diesem Tag im Davis Cup eine weitere bittere
Niederlage (6:8 im fünften Satz) auf dem heiligen Rasen ein, erst wenige
Wochen zuvor war er ebendort an Budge im Finale gescheitert. Doch als sich
die beiden nun am Netz die Hände geben, soll er gesagt haben: „Don, this
was absolutely the finest match I have ever played in my life. I’m very
happy that I could have played it against you, whom I like so much.“
Diese Beschreibungen erzählen viel über Gottfried von Cramm als Sportsmann
und als Menschen. Nachlesen kann man sie in der Biografie „Der schöne
Deutsche. Das Leben des Gottfried von Cramm“, die der Journalist und Autor
Jens Nordalm, zuletzt Leiter des Cicero-Feuilletons, veröffentlicht hat.
Cramm wird darin als Gegenentwurf zum „hässlichen Deutschen“ gesetzt, in
dessen abscheuliches Gesicht die Welt zu jener Zeit allzu oft blickte.
[1][Denn der Tennisstar ist zeit seines Lebens ein Gegner der Nazis, ein
bisexueller Kosmopolit], der sich in den kultivierten Kreisen Berlins
bewegt. Cramm gewann in den 1930ern zweimal die French Open, zwischen 1935
bis 1937 stand er dreimal hintereinander im Wimbledon-Finale (und unterlag
jeweils). Er selbst wird vom NS-Regime verfolgt: Im März 1938 verhaftet die
Gestapo Cramm wegen eines Verhältnisses mit dem jüdischen Schauspieler
Manasse Herbst, er wird nach Paragraf 175 verurteilt und sitzt sieben
Monate im Gefängnis in Berlin-Moabit. Später unterstützt Cramm den
Stauffenberg-Kreis, wie Nordalm schreibt.
## Haltung einer Generation
Im Zentrum steht aber zunächst das Kultur- und Geistesleben Berlins zur
Zeit der Weimarer Republik. Der in einer Adelsfamilie im niedersächsischen
Schloss Brüggen aufgewachsene Cramm zieht im Jahr 1928 an die Spree, er
spielt dort für den LTTC Rot-Weiß. Die Welt des Sports und das Kulturleben
sind eng verflochten. „Sport [2][wird in den 1920er Jahren Kultur, Glamour,
Haltung] – Haltung einer Generation, Haltung eines städtischen Lebens und
körperlich-modischen Sich-Genießens“, schreibt der Autor.
Die erste Frau Gottfrieds – Lisa von Cramm – etwa ist Hockeyspielerin,
genießt aber genauso die Vorzüge des Nachtlebens und inszeniert sich wie
eine Künstlerin. Auch Gottfried von Cramm besucht Jazzbars und Kneipen, im
Umfeld des Ehepaars finden sich Figuren wie die jüdische Schriftstellerin
und Schauspielerin Ruth Landshoff oder der homosexuelle Schauspieler Hubert
von Meyerinck.
Von Cramm verkörpert für den Autor Ästhetik und Anstand, Eleganz und
Effeminität, Nordalm schildert zahlreiche Anekdoten, die von Cramm als
fairen Sportsmann auf dem Platz und uneigennützigen Altruisten fern des
Platzes ausweisen. Er zitiert dazu aus Briefen seiner Mutter Jutta von
Cramm und seiner ersten Frau Lisa, auch aus den Briefen Gottfrieds aus der
Haftzeit. Die Sportpresse und Literatur werden ebenfalls häufig angeführt;
im Übrigen ist das Buch auch großartig bebildert.
Als Zeitporträt taugt dieses Buch für das Ende der goldenen Berliner
Epoche, nicht aber für die Nazizeit. Da bleibt es zu einseitig und
lückenhaft, man hätte etwa gern mehr über die Widersprüche und
Zugeständnisse gewusst, die es auch in der Cramm-Familie gegeben haben
muss.
Und sogar gewiss gegeben hat: Dass auch die Cramms Zwangsarbeiter auf ihren
Gütern eingesetzt haben, ist dem Autor aber nur einen einzigen kurzen
Absatz wert. Auch vom gleichgeschalteten Deutschen Tennis Bund ist nur
einmal kurz die Rede, da hätte man sich viel mehr Hintergrund gewünscht.
Nur zwei Beispiele: Manchmal gewinnt man den Eindruck, der wegschauende,
der opportune und der hässliche Deutsche sollen hier möglichst ganz
ausgeklammert werden. Den Stil, die Haltung und die Persönlichkeit Cramms
nachzuzeichnen, das gelingt Nordalm hingegen sehr gut, insofern liest man
diese Biografie über den „finest sportsman of all time in any sport“
(Donald Budge) dennoch mit Gewinn.
14 Dec 2021
## LINKS
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[2] /Tanz-in-der-Weimarer-Republik/!5762817
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Tennis
Rezension
Biografie
Wimbledon
Schwerpunkt Rassismus
Tennis
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