# taz.de -- Umstrittener neuer Interpol-Chef: Eine Wahl, die polarisiert | |
> Die Emirate haben einen ihrer Vertreter erfolgreich als | |
> Interpol-Präsidenten platziert. Kritiker sehen die Funktionsfähigkeit der | |
> Behörde in Gefahr. | |
Bild: Neuer Kopf von Interpol: Ahmed al-Raisi (am vergangenen Dienstag) in Ista… | |
BERLIN taz | Menschenrechtsorganisationen hatten gegen ihn mobilisiert, | |
doch ohne Erfolg. Ahmed Nasser al-Raisi, der Kandidat der Vereinigten | |
Arabischen Emirate (VAE), hat das Rennen gemacht und ist neuer Präsident | |
von Interpol. Al-Raisi, der seit Monaten weltweit für sich geworben hatte, | |
wurde von der Generalversammlung der Polizeiorganisation zum Nachfolger des | |
Südkoreaners Kim Jong Yang bestimmt, wie Interpol am Donnerstag auf Twitter | |
mitteilte. | |
[1][Gegen al-Raisi sind in fünf Ländern Klagen wegen Folterverdachts | |
anhängig.] Aus diesem Grund sowie wegen der Tatsache, dass al-Raisi ein | |
Vertreter der autoritären Führung der VAE ist, hatten sich neben | |
Menschenrechtler*innen auch Abgeordnete des EU-Parlaments sowie des | |
deutschen Bundestags gegen ihn ausgesprochen. | |
„Sehr enttäuscht“ zeigt sich der Bundestagsabgeordnete Peter Heidt | |
gegenüber der taz am Donnerstag. „Ich sehe die Funktionsfähigkeit von | |
Interpol in Gefahr.“ Der FDP-Politiker befürchtet zum einen einen | |
Missbrauch des Systems der internationalen Haftbefehle, mit dem die | |
Interpol-Mitgliedstaaten nationale Haftbefehle auf das Ausland ausweiten | |
und so gesuchte Personen im Fall einer Festnahme ausliefern lassen können. | |
Zum anderen sieht Heidt die Gefahr, dass Teile von Interpol nach Abu Dhabi | |
verlegt werden könnten. In Frankreich, wo gegen al-Raisi zwei Folterklagen | |
anhängig sind, befindet sich der Interpol-Hauptsitz, das Generalsekretariat | |
in Lyon. Sollte es in Frankreich zu einer Verurteilung des neuen | |
Präsidenten kommen, wären die Behörden verpflichtet, al-Raisi zu verhaften, | |
sobald er französischen Boden betritt. | |
## Geldsegen aus den Emiraten | |
Interpol hatte gegenüber der taz vor der Wahl al-Raisis betont, [2][dass | |
der Präsident von Interpol keine wichtige Rolle spiele]. „Die Rolle des | |
Präsidenten ist eine unbezahlte Teilzeitstelle mit der Hauptfunktion, die | |
Generalversammlung und drei Sitzungen des Exekutivausschusses pro Jahr zu | |
leiten.“ Für die laufenden Geschäfte sei der Generalsekretär, derzeit der | |
Deutsche Jürgen Stock, zuständig. | |
„Wir sollten die Konsequenzen nicht unterschätzen“, [3][sagt] dagegen Inès | |
Osman von der Menschenrechtsorganisation [4][Mena Rights Group]. Sie | |
beklagt, dass sich die Emirate bereits in der Vergangenheit unzulässig in | |
die Arbeit von Interpol eingemischt hätten, und betont, dass der größte der | |
Teil der nicht-staatlichen Gelder für Interpol von der in Genf ansässigen | |
[5][“Interpol Foundation for a Safer World“] komme. Diese sei | |
ausschließlich dafür gegründet worden, Gelder von der VAE-Regierung an | |
Interpol weiterzuleiten. | |
Die internationale Polizeiorganisation finanziert sich über freiwillige | |
Beiträge ihrer 195 Mitgliedstaaten sowie über nicht-staatliche Zuwendungen, | |
etwa aus der Privatwirtschaft oder anderen nicht-staatlichen | |
Organisationen. Die Emirate sind nach den USA der zweitgrößte | |
Beitragszahler. | |
## Wer sind die Terroristen? | |
Osman befürchtet vor allem eine Verfolgung von Kritiker*innen der | |
emiratischen Führung mithilfe von Interpol. „Eine der Kernaufgaben von | |
Interpol ist es, Terrorismus zu bekämpfen, und in den VAE wird friedlicher | |
Dissens als eine Form von Terrorismus gesehen.“ Sie erinnert an den | |
jüngsten [6][Fall von vier prominenten Dissidenten aus den VAE]. | |
Die vier Männer, die sich im Exil befinden, waren von den VAE im September | |
als Terrorismusunterstützer bezeichnet worden. Human Rights Watch | |
kritisierte dies als „Teil eines anhaltenden Versuchs, Aktivismus und freie | |
Meinungsäußerung unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung zu | |
verbieten.“ | |
Der Abgeordnete Heidt fordert indes Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier | |
auf, bei seiner anstehenden Reise in die VAE das Land zu ermahnen, sich zu | |
öffnen, jetzt, da es den wichtigen repräsentativen Posten des | |
Interpol-Präsidenten stelle. „Wir haben hier ja nicht den Hausmeister | |
gewählt“, so Heidt. Steinmeier bricht am Sonntag zu einer Reise in die | |
Emirate und nach Katar auf. Heidt erinnerte in diesem Zusammenhang an den | |
prominenten emiratischen Regimekritiker Ahmad Mansoor. Dieser verbüßt | |
aktuell eine zehnjährige Haftstrafe in den VAE. | |
25 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Praesidentenposten-von-Interpol/!5816237 | |
[2] /Umstrittener-Kandidat-fuer-Interpol/!5812667 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=0oNZc5O1qV8 | |
[4] http://menarights.org/en | |
[5] https://www.interpol.int/Our-partners/INTERPOL-Foundation-for-a-Safer-World | |
[6] https://www.hrw.org/news/2021/11/21/uae-dissidents-labeled-terrorists | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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