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# taz.de -- Parteinachwuchs zur Ampel: Die Stimmungskiller
> Die Freude von Jusos und Grüner Jugend über die Ampelkoalition ist
> begrenzt. Ihren Frust laden sie beim Koalitionspartner FDP ab.
Bild: Vielen der jungen KlimaaktivistInnen ist die Ampelkoalition noch lange ni…
Nun mag die politische Schlechtgelauntheit der Jusos und der Grünen Jugend,
die auf ihren Versammlungen zum Regierungsvertrag der künftigen
[1][Ampelkoalition] spürbar wurde, sehr viel mit Corona zu tun haben. Es
ist ja auch verstörend: Wesentliche Teile der bundesdeutschen
Einwohnerschaft berufen sich auf ihre persönlichen Freiheiten, um sich
einer Impfung zu verweigern und damit tatsächlich alle in Gefahr zu
bringen.
Die Jusos und die Grüne Jugend jedenfalls verströmten mit ihren Beratungen
ein Gefühl, als stünde mit der SPD/Grünen/FDP-Koalition ein Bündnis auf den
Fußmatten der Ministerien und des Kanzleramts, das kaum der sich
erfreuenden Rede wert sein kann. „[2][Von Ampel-Euphorie keine Spur]“, so
fasste die Tagesschau ihren Bericht von den Nachwuchsökos zusammen. Zu den
zeitgleich tagenden Jusos heißt es in der Überschrift nur lapidar „[3][Die
Union kritisieren, nicht die Ampel]“.
Es ist deprimierend, aber wahr: Die Nachwuchseliten von zwei der drei
künftigen Regierungsparteien tun so, als sei alles wie immer – ein Land
unter der Glocke der Union. Dass es die FDP ist, an der sich beide
Nachwuchsorganisation, wie bei einem schlechten Voodoozauber, abarbeiteten,
ist dafür nur ein platzhalterischer Umstand: Jusos und Grüne Jugend
vermögen sich nicht grundsätzlich, dass dieser 16 lange Jahre dauernde
gewisse Spuk der von der Union dominierten Regierungen ein Ende hat.
Die FDP ist die Puppe, in die man spitze Nadeln steckte – die Bösen, die
Lindner-Jünger*innen, die Antisozialen. Bis in heutige Tage gelten in
linken und in den sozialen Netzwerken beflügelten Bubbles die Liberalen als
„Rechte“. Ohne Sinn und Verstand werden Buzzwords ins Orbit gemeinsam
verblödender Universen der Selbstbestätigung gesandt.
Dass diese Atmosphäre auf den zentralen Versammlungen des
Regierungsnachwuchses weder empört noch achtsam zurückgewiesen wurde, muss
zu denken geben. Woran das liegt, weshalb also die künftigen Mover und
Maker kaum ein gutes Haar an den Erwachsenen in ihren Parteien lassen, hat
mit einer sehr deutschen Tradition zu tun: mit dem, was hier
„Konsequentismus“ genannt sei, quasi die Entsprechung in der (linken) Szene
zum Impfverweigerermilieu in puncto Corona.
## Die FDP muss den Kopf hinhalten
Pocht man hier auf die persönliche Freiheit zulasten aller anderen,
kommentiert man im Politischen mit: „Viel zu wenig“. Eigentlich ist die
Spezialistin in dieser Disziplin in jüngerer Vergangenheit stets die
Linkspartei gewesen – nichts war ihr je hinreichend. Immer folgte ein
Appell, „endlich“ und „konsequent“ durchzusetzen, was demoskopische
Umfragen angeblich belegten. Die gültige Währung war und ist indes das
Wahlergebnis, nicht irgendeine Umfrage:
Und dem Wahlergebnis nach gibt es eine Koalition, in der SPD und Grüne
keine Mehrheit haben, von ihr gar weit entfernt sind. Insofern war das
Backenaufgeblase der Jusos und der Grünen Jugend mehr als eine Spur von den
politischen Fakten entfernt. Sei’s drum: Wählende erwarten von der Politik
konkrete Besserungen ihrer Lebensbedingungen. Und für eine Mehrheit der
proletarischen Schichten ist zwar kein Manna vom Himmel zu erwarten, aber
immerhin 12 Euro Mindestlohn.
Mehr als zehn Millionen Beschäftigte werden von diesem Gesetz profitieren.
Das wissen sie und freuen sich darauf. Rentner*innen haben das Signal
bekommen, dass ihre Altersgelder nicht gekürzt werden, und wer möchte – das
übrigens ist der FDP zu verdanken –, kann länger arbeiten. Wer das nicht
kann, kommt zu besseren Bedingungen in die Gunst einer
Erwerbsminderungsrente.
Der [4][Paragraf 219a-StGB] wird abgeschafft, eine grauslige Bestimmung,
die für die Union identitär war. Das Elternrecht lesbischer Paare wird
diskriminierungsfrei. Und, last but not least: Hunderttausende von neuen
deutschen Bürger*innen, die in unserem Land als Flüchtlinge im rechtlich
prekärsten Zustand und dauernder Angst vor Abschiebung leben, bekommen
einfache Wege zum deutschen Pass aufgezeigt.
Auch das war mit der Union nicht zu haben – ebenso wenig einen halbwegs
konsistenten Plan, wie eine Klimakrisenpolitik mit der fundamental
wichtigen Industriestruktur der Bundesrepublik vereinbar sein kann. Dass
nicht alles das Paradies auf Erden verheißt, ist doch selbstverständlich.
Alles wird ein bisschen und ein bisschen mehr besser werden.
## Blindheit wie bei den Verschwörungstheoretiker*innen
Wer bei den Linken und Linksökos ermessen möchte, was sie da zuwege bringen
könnten, würden sie es nur beherzt anpacken und nicht nur stimmungskillend
benörgeln, muss sich nur die Statements der Union, der AfD und Linkspartei
anhören. Letztere scheint dem Dasein als Unwichtige weiter
entgegenzudämmern, die AfD ist nur noch mit sich selbst beschäftigt – aber
die eigentlich Entsetzten sind die Leute der Union.
Man lese die FAZ oder andere Medien aus den altbürgerlich-konservativen
Milieus: Hier dominiert so viel Hoffnungslosigkeit, wie es sie in
bundesdeutschen Zeiten noch nie gab. Das sollte doch die Linksmittigen
stimulieren. 1998, mit Kanzler Schröder, haben es die linken
Schlaumeier*innen schon einmal versemmelt: Von der ersten Sekunde kaum
mehr als Zwist und Hader – vom ersten Tag an war es der Union möglich, die
Reformregierung zu dämonisieren, die rassistische Kampagne gegen den
Doppelpass (Roland Koch etc.) inklusive. Falls sich jemand noch erinnern
möchte!
Olaf Scholz sagte unmittelbar nach dem Wahltag, ihm komme es darauf an,
dass die Regierungsparteien in vier Jahren auch wiedergewählt werden; und
Robert Habeck, der intellektuelle Avantgardist dieses Jahres, ergänzte in
diesem Kontext, es komme auf den Prozess im Miteinander an, auf das Zuhören
und Verstehen. Das darf als politisches Denken genommen werden. Jusos und
Grüne Jugend übten sich in – Antipolitik. Also kein Madigmachen bitte. Der
Ton macht die Musik – und den Erfolg.
28 Nov 2021
## LINKS
[1] /Neue-Regierung-von-SPD-Gruenen-und-FDP/!5816977
[2] https://www.tagesschau.de/inland/gruene-jugend-koalitionsvertrag-103.html
[3] https://www.tagesschau.de/inland/scholz-jusos-103.html
[4] /Schwerpunkt-Paragraf-219a/!t5480560
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Grüne Jugend
Jusos
Ampel-Koalition
Olaf Scholz
Olaf Scholz
SPD
Schwerpunkt Klimawandel
Ampel-Koalition
Koalitionsgespräche
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