| # taz.de -- Vivantes-Mitarbeiter:innen am Limit: Pflegende schlagen Alarm | |
| > In Notaufnahmen der landeseigenen Vivantes-Krankenhäuser herrscht | |
| > permanenter Ausnahmezustand, beklagt ein Brandbrief. Die Missstände lägen | |
| > im System. | |
| Bild: Es brennt in den Notaufnahmen: Pfleger*innen in einer Krankenhaus sind de… | |
| Berlin taz | In einem Brandbrief haben sich 163 Pfleger:innen aus den | |
| Notaufnahmen der Vivantes-Krankenhäuser an Franziska Giffey (SPD) und an | |
| den gesamten Berliner Politikbetrieb gewandt. Die Zustände dort würden | |
| „Ausmaße annehmen, die Sie sich nicht einmal vorstellen können“, heißt es | |
| in dem Brief. Patient:innen würden „stundenlang auf den Fluren liegen, | |
| abgestellt ohne Aussicht auf einen Platz auf Station“. Die Beschäftigten | |
| seien „am Ertrinken“ – sie wüssten nicht, wie lange sie die Situation no… | |
| durchhalten. | |
| Akut sei es die Coronanotlage, welche die Notaufnahmen überfordere. „Wir | |
| arbeiten mit derselben Anzahl Pfleger:innen wie vor der Pandemie“, | |
| erklärte [1][Stella Merendino, Pflegerin in der Notaufnahme des | |
| Humboldt-Klinikums], die Lage der taz. Dabei sei ihrer Notaufnahme nun noch | |
| ein Isolationsbereich für 14 Covid-Patient:innen angehängt worden. Diese | |
| müssten noch zusätzlich zum ohnehin schon kaum zu bewältigenden | |
| Arbeitsumfang versorgt werden; das sei nicht zu leisten. | |
| Als Sofortmaßnahme wird mehr Personal für die Notaufnahmen gefordert. Zur | |
| Not müssten dafür auch Pfleger:innen aus anderen Stationen abgezogen und | |
| mit Leasing-Kräften kompensiert werden, so Merendino. Von der Politik, | |
| insbesondere von der Senatsfinanzverwaltung, die (noch) unter der Obhut von | |
| Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) steht, fordern die Pfleger:innen | |
| zudem die verbindliche Zusage, die Refinanzierung aller Krankenhausbereiche | |
| sicherzustellen. | |
| Doch offenbar hat sich die Politik kollektiv dafür entschieden, die | |
| Beschäftigten zu ignorieren. Seit Oktober hätten sie den Brandbrief bereits | |
| drei Mal an alle entscheidenden Politiker:innen gesandt, erzählt | |
| Merendino. Lediglich Bettina König, SPD-Politikerin und Mitglied des | |
| Gesundheitsauschusses, habe überhaupt reagiert – und auch sie habe nur vage | |
| zugesagt, sich mit den Forderungen auseinanderzusetzen. „Mein Eindruck ist, | |
| dass in der Politik kaum jemand Ahnung besitzt oder auch nur Interesse für | |
| die Situation in den Notaufnahmen zeigt“, sagt Merendino frustriert. Ihr | |
| Eindruck: „Wir werden von Politik und Klinikleitung im Stich gelassen.“ | |
| Der Brief kritisiert auch die Entscheidung von Vivantes, wegen des | |
| Personalmangels Betten auf den Intensivstationen zu sperren. „Das bleibt an | |
| uns hängen“, sagt Merendino. „Wir können ja keine Patient:innen | |
| wegschicken. Dann liegen sie auch mal 24 Stunden in unseren Akuträumen, bis | |
| sie einen Platz auf einer Station bekommen.“ | |
| Vivantes-Pressesprecherin Mischa Moriceau bestätigte auf taz-Nachfrage, | |
| dass „[2][in einzelnen Vivantes-Kliniken] momentan nicht alle Betten | |
| betrieben werden“. Vivantes hatte bereits im Zuge des Arbeitskampfes der | |
| Berliner Pflegenden um einen neuen Tarifvertrag wiederholt angekündigt, | |
| Betten sperren zu wollen, um Pflegende zu entlasten. Dabei seien | |
| Bettensperrungen nie Forderung der Krankenhausbewegung gewesen, so | |
| Merendino. „Das würde den Versorgungsauftrag der Berliner Krankenhäuser | |
| gefährden“, sagt sie. | |
| Etwas enttäuscht ist sie auch vom Tarifvertrag Entlastung. Zwar definiere | |
| dieser auch für die Notaufnahmen eine Personal-Patient:innen-Quote, diese | |
| würde allerdings nicht auf Basis der absoluten Anzahl der behandelten | |
| Patient:innen, sondern aufgrund der Anzahl der Behandlungen, die bei den | |
| Krankenkassen in Rechnung gestellt werden können, berechnet. Es würde | |
| deshalb nur so viel Personal eingesetzt, wie der in den Notaufnahmen | |
| erwirtschaftete Geldbetrag hergebe. | |
| Fast jede:r fünfte Patient:in tauche so nicht im Personalschlüssel auf. | |
| „Wenn ein:e Patient:in mehrmals im Quartal in der Notaufnahme erscheint, | |
| wenn Menschen keinen Wohnsitz oder keine Versicherung besitzen, dann sind | |
| das formal keine abrechenbaren Fälle“, sagt Merendino. Sie sei „nicht | |
| glücklich“ darüber, dass dies im Tarifvertrag so festgehalten wurde. | |
| Zugestimmt hätte sie dennoch. „Wir wollten nicht die Abteilung sein, die | |
| den gesamten Tarifvertrag an die Wand fährt“, sagt sie. | |
| Da die Notaufnahme formal keine sogenannte Pflege am Bett darstellt, können | |
| Pflegestellen in den Notaufnahmen noch immer nicht über die Krankenkassen | |
| refinanziert werden. Für andere Klinikbereiche ist dies seit dem | |
| Pflegepersonalstärkungsgesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn | |
| (CDU) möglich. Als Option, wie dennoch Mindestpersonalbesetzungen | |
| festgeschrieben werden könnten, nennt der Brief die Definierung der | |
| Notaufnahmen als „pflegesensitiver Bereich“. | |
| Sogar Vivantes-Pressesprecherin Moriceau stimmt den Pfleger:innen zu, | |
| dass es insgesamt eine Abkehr vom ökonomisierten Gesundheitssystem hin zu | |
| einer „bedarfsgerechten Finanzierung“ benötige. Um die Forderungen der | |
| Beschäftigten vollumfänglich zu erfüllen, ist deshalb wohl auch die | |
| Bundespolitik gefragt. Bis dahin appelliert Merendino an die Berliner | |
| Bevölkerung, die Pflegenden in den Notaufnahmen durch eine einfache | |
| Maßnahme zu entlasten. „Wenn es sich nicht um einen Notfall handelt: Geht | |
| zu eurem Hausarzt!“, sagt sie. | |
| 22 Nov 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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