# taz.de -- Die Wahrheit: Irre teuer, so billig auszusehen | |
> Eine Hommage an Dolly Parton – oder warum es nötig ist, sich demütig vor | |
> einer seriösen Songschreiberin mit abstrus langen Fingernägeln zu | |
> verneigen. | |
Früher kam ich oft an einem Perückenladen vorbei, in dem im Schaufenster | |
„Original Dolly Parton Wigs“ angeboten wurden. Es handelte sich dabei | |
allerdings nicht um – wie man vermuten möchte – billige Faschingsartikel, | |
sondern um ernst gemeinte, wenn auch bizarre Zweitfrisuren für die | |
exzentrische Best-Ager-Dame, die versucht, ihrem Königspudel hairstylemäßig | |
Konkurrenz zu machen. | |
Ja, ich gestehe, ich dachte lange, Dolly Parton sei ein Freak. Eine durch | |
kosmetische OPs entstellte Showbusiness-Mumie, deren groteske | |
Modeverbrechen sie garantiert für immer ins Bad-Taste-Fegefeuer bringen | |
würden. Quasi die bei der Geburt getrennte fünfte Jacob Sister. | |
Nichts könnte falscher sein als eine solche Einschätzung. Wenn man Dolly | |
überhaupt mit jemandem vergleichen kann, dann vielleicht mit Madonna, | |
Beyoncé oder Taylor Swift. Oder mit Lady Gaga. Nur dass Dolly mehr Humor | |
hat. Ihr selbstironisches Credo lautet: „It costs a lot of money to look | |
that cheap!“ | |
Bevor jemand sich über sie lustig machen kann, macht sie es selbst: „Die | |
besten Dolly-Parton-Witze hab ich selbst erfunden.“ Und wenn man sie fragt, | |
wie sie auf ihren ikonischen Look gekommen sei, sagt sie, dass sie immer | |
aussehen wollte wie eine Frau in ihrer Heimatstadt, die von allen als „town | |
tramp“ bezeichnet wurde: „Diese Frau trug viel Make-up, auffällige Frisuren | |
und hochhackige Schuhe. Ich fand sie wunderschön. Aber alle sagten, sie sei | |
nur menschlicher Müll. Und ich sagte: Genau das will ich werden, wenn ich | |
groß bin: Müll!“ Und sie fügt ernst hinzu: „Ich hoffe, ich bin dann doch | |
ein bisschen mehr.“ | |
Vor allem ist die 1946 geborene Tochter eines analphabetischen | |
Landarbeiters eine seriöse Songschreiberin, die sich selbstbestimmt eine | |
Karriere aufbaute, als im Country- und Popbusiness Frauen eigentlich nur | |
als singende Püppchen geduldet wurden. | |
Dolly ignorierte das einfach und schrieb bis heute geschätzte 3.000 Songs, | |
unter denen sich nicht nur ihre eigenen Erfolge wie „Jolene“ oder „9 to 5… | |
finden, sondern zum Beispiel auch das durch Whitney Houston zum Welthit | |
gemachte „I will always love you“. | |
Ihre Größe zeigt sich aber auch darin, dass sie nicht – wie so einige | |
andere reiche Amerikaner – ihr beträchtliches Vermögen dazu nutzt, sich ins | |
Weltall zu schießen, sondern mal eben eine Million Dollar für die | |
Entwicklung des Corona-Impfstoffs Moderna spendet oder eine Stiftung | |
betreibt, die inzwischen über 100 Millionen Bücher an Kinder verschenkt | |
hat. Dolly Parton ist die Nicht-Arschloch-Version des vom „Tellerwäscher | |
zum Millionär“-Mythos. | |
Wem das immer noch nicht reicht, dem empfehle ich, sich mal anzuschauen, | |
wie sie es schafft, mit ihren abstrus langen Fingernägeln Gitarre oder | |
Banjo zu spielen – technisch gesehen ein Ding der Unmöglichkeit. Wer dann | |
immer noch nicht das Bedürfnis verspürt, sich in Demut vor dieser Frau zu | |
verneigen, dem ist einfach nicht zu helfen. | |
25 Nov 2021 | |
## AUTOREN | |
Hartmut El Kurdi | |
## TAGS | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Singer-Songwriter | |
Musik | |
Stars | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
Kolumne Die Wahrheit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Das entzweite Land. Ein Weckruf | |
Shitstorm in den sozialen Medien? Früher lief es anders, aber auch alles | |
andere als menschenfreundlich oder gar wertschätzend. | |
Die Wahrheit: Willkommen in der Kuscheldiktatur | |
Gegner der Coronamaßnahmen bemühen immer wieder die Nazi-Zeit als Referenz. | |
Dabei haben die Deutschen in ihrer Kernkompetenz doch schwer nachgelassen. | |
Die Wahrheit: Satanischer Gabelverbieger | |
Das Fernsehprogramm der Flimmerkistenzeit war schon dämonisch genug. Wenn | |
dann noch TV-Spiritismus auf Religion traf, war Höllenpein garantiert. | |
Die Wahrheit: Eine lose-lose Situation | |
Toleranz gegenüber Nazis können sich nur Leute leisten, die sich ihnen – | |
kommt es hart auf hart – andienen können. Liberaler Luxus eben. | |
Die Wahrheit: Fick die Kultur | |
Die Jugendorganisation der CDU fällt mit Populismus und Spießigkeit auf – | |
unter dem heutigen Vorsitzenden Kuban wie seinem Vorgänger Ziemiak. | |
Die Wahrheit: Missionarisches Zoombombing | |
Wo sind eigentlich die Zeugen Jehovas geblieben? Sie kommen nicht mehr an | |
die Haustüren. Und stehen nicht mehr in den Passagen. |