# taz.de -- UN-Bericht zum Krieg in Äthiopien: Konflikt von „extremer Brutal… | |
> Die UN-Menschenrechtskommission erhebt schwere Vorwürfe gegen alle | |
> Kriegsparteien in Äthiopien. Nun müssten juristische Ermittlungen folgen. | |
Bild: Rauchschwaden nach einem Luftangrif auf Mekelle, der Hauptstadt der Regio… | |
BERLIN taz | Es sind martialische Schilderungen wie die eines Zeugen vom | |
28. November 2020, als Soldaten aus Eritrea, die zur Unterstützung der | |
äthiopischen Armee in Tigray kämpften, in der alten Klosterstadt Axum | |
wüteten: „Eritreische Soldaten holten einen 70-jährigen Mann und seine zwei | |
Söhne aus ihrem Haus. Sie brachten sie zum nahen Wassertank, befahlen ihnen | |
sich hinzulegen, und schossen allen dreien in den Kopf“. Ein anderer Zeuge | |
berichtet: „Wir durften die Toten erst am 30. November beerdigen. Bis dahin | |
waren die Straßen drei Tage lang voller Leichen. Viele waren von Tieren | |
gefressen, stanken und waren schwer zu bergen, da sie bereits verwesten.“ | |
Die Mutter eines jungen Tigrayers erzählt, wie äthiopische Soldaten am 8. | |
Januar 2021 ihren Sohn abholten, weil sie ihn als Rebellen verdächtigten. | |
Er sei hingerichtet worden, ebenso wie 35 andere Menschen. Aus dem Ort Mai | |
Kadra im Westen Tigrays berichtet eine Überlebende von einem Massaker durch | |
Tigray-Milizionäre an Amhara-Zivilisten am 9. November 2020: „Als sie das | |
Haus anzündeten, griff mein Mann einen Stock, um sich zu verteidigen, und | |
ging hinaus. Ihm wurde in den Rücken geschossen. Er fiel mit dem Gesicht | |
nach unten, die anderen hackten mit ihren Macheten auf ihn ein und warfen | |
seine Leiche dann ins Feuer.“ | |
Unzählige solcher Greueltaten dokumentiert der [1][Untersuchungsbericht der | |
UN-Menschenrechtskommission zu den Verbrechen im Tigray-Krieg], der am | |
Mittwoch in Genf veröffentlicht wurde. Auf der Grundlage von 269 | |
Interviews, die zwischen Mitte Mai und Ende August 2021 geführt wurden, | |
werden systematisch Verbrechen aufgezählt und beschrieben. „Der Bericht ist | |
keine erschöpfende Aufstellung“, erklärte UN-Menschenrechtskommissarin | |
Michelle Bachelet in Genf, „aber er illustriert die wichtigsten Formen und | |
das Gesamtmuster der Übergriffe“. Der Konflikt sei von „extremer | |
Brutalität“ gekennzeichnet. | |
Der Begriff „Völkermord“ – ein Vorwurf, den Tigrays Rebellen regelmäßig | |
gegen Äthiopiens Regierung erheben – kommt in der Auflistung jedoch nicht | |
vor. Das veranlasste Äthiopiens Regierung zu einer selbstgefälligen | |
Reaktion: Der Bericht „stellt klar, dass der Vorwurf des Völkermordes | |
falsch und ohne jegliche Grundlage ist“, behauptete Premierminister Abiy | |
Ahmed. | |
## Alle Seiten für schwere Verbrechen verantwortlich | |
UN-Kommissarin Bachelet widersprach dem in Genf deutlich. „Die Beweislage | |
reicht nicht aus, um die Intention und das Ausmaß ethnischer Verbrechen zu | |
charakterisieren,“ sagte sie, aber es habe durchaus „Anstiftung zu Gewalt | |
auf Grundlage der Ethnizität“ gegeben. Juristische Ermittlungen – notfalls | |
auf internationaler Ebene, falls die sehr intransparente äthiopische Justiz | |
das nicht leiste – seien nun nötig. | |
Bachelet stellte klar, dass im Untersuchungszeitraum – von Kriegsbeginn am | |
3. November 2020 bis zur Rückeroberung von Tigrays Hauptstadt Mekelle durch | |
die Rebellen am 28. Mai 2021 – eritreische und äthiopische | |
Regierungstruppen die Haupttäter gewesen seien. Seither gebe es zudem eine | |
„deutliche Zunahme“ von Vorwürfen gegen die Tigray-Rebellen. Alle Seiten | |
seien für schwere Verbrechen verantwortlich. | |
Beobachter hatten im Vorfeld befürchtet, dass der UN-Bericht Äthiopiens | |
Regierung komplett reinwaschen würde. Denn die UN-Untersuchung musste | |
gemeinsam mit [2][Äthiopiens Menschenrechtskommission EHRC] durchgeführt | |
werden, die offiziell unabhängig ist, aber als regierungsnah gilt. Sonst | |
hätte Äthiopien die Untersuchung gar nicht zugelassen. | |
Ungeachtet dessen wurden die Untersuchungen der UN-Ermittler immer wieder | |
behindert. Sie durften keine Satelittentelefone benutzen, auch die | |
Kommunikationsnetzwerke in Tigray waren abgestellt. Zudem waren die | |
UN-Ermittler von Reisegenehmigungen der Behörden abhängig, die oft | |
verweigert wurden. So durften sie manche der Massakerorte gar nicht | |
besuchen. Sogar den UN-Menschenrechtsbeauftragten wies Äthiopien im | |
vergangenen Monat aus. | |
Dennoch sei man zuversichtlich, „eine erhebliche Menge an Informationen | |
gesammelt“ zu haben, so Bachelet. Sie warnte zugleich, dass seit Ende der | |
Untersuchung die Zahl der Verbrechen weiter zunähme. So seit zwei Wochen | |
die äthiopischen Luftangriffe auf Tigray und „summarische Hinrichtungen und | |
Massenvertreibungen“. | |
3 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=27756&… | |
[2] https://ehrc.org/ | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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