# taz.de -- Russische Firma plant Reaktor: Zweifel an AKW-Bau in Finnland | |
> Das geplante Atomkraftwerk Hanhikivi könnte vor dem Aus stehen. Es ist | |
> unklar, ob es überhaupt Bedarf für den Strom der Anlage geben wird. | |
Bild: Die Hanhikivi-Baustelle in Pyhäjoki in Nordfinnland am 3. November | |
Stockholm taz | Die Kosten laufen davon, der Zeitplan für Baubeginn und | |
Inbetriebnahme wurde mehrfach revidiert und verschoben. Die | |
Planungsunterlagen sind so mangelhaft, dass das Projekt auch nach einem | |
sechsjährigen Zulassungsverfahren noch nicht genehmigungsreif ist. | |
Und die meisten unabhängigen Analysen gehen davon aus, dass das Vorhaben | |
weder profitabel werden kann noch überhaupt Bedarf für das besteht, was | |
hier produziert werden soll. Kürzlich stellte sich heraus, dass auch eine | |
riesige Finanzierungslücke klafft, und nun meldet das Militär zusätzlich | |
Bedenken wegen der nationalen Sicherheit an. | |
Die Rede ist vom finnischen AKW-Neubauprojekt Hanhikivi. Das Land hat sich | |
ja bekanntlich bereits einen Namen mit dem Fiaskobau Olkiluoto-3 gemacht. | |
Der fünfte Atomreaktor Finnlands, der eigentlich schon seit 2009 Strom | |
liefern sollte, der aber tatsächlich bis heute, 16 Jahre nach Baubeginn, | |
immer noch nicht fertig, dafür aber bislang schon mehr als dreimal so teuer | |
als ursprünglich geplant ist. | |
Die Geschichte von Reaktor Nummer sechs, Hanhikivi, benannt nach der | |
Halbinsel am Ostseestrand, wo er gebaut werden soll, entwickelte sich noch | |
chaotischer. 2007 geplant, war man ursprünglich von einer Inbetriebnahme im | |
Jahr 2016 ausgegangen. Zunächst sollte der deutsche Energiekonzern Eon | |
diesen Reaktor bauen, war aber vor 10 Jahren aus dem Projekt ausgestiegen. | |
## Ein Reaktor vom russischen Konzern Rosatom | |
Das schien damit am Ende zu sein, weil sich kein anderes Energieunternehmen | |
fand, das das Risiko der Errichtung und des Betriebs eines AKW-Neubaus | |
wagen wollte. Nach einem merkwürdigen Zwischenspiel mit einer | |
[1][kroatischen Strohmannfirma] tauchte dann doch ein Akteur auf, der eher | |
politische als wirtschaftliche Interessen an einem Engagement in Finnland | |
hatte: der russische Staatskonzern Rosatom. | |
Sein Angebot: Ein Reaktor vom Typ VVER-1200, wie er bereits bei Sankt | |
Petersburg und in Belarus in Betrieb ist, sollte weitgehend mit russischem | |
Kapital finanziert und gebaut und nach seiner Fertigstellung von dem im | |
Teilbesitz von Rosatom stehenden Bauherrn Fennovoima betrieben werden. | |
Mitfinanziers und Anteilseigner des Projekts – drei Dutzend Unternehmen und | |
kommunale Elektrizitätsgesellschaften – lockte ein steuerbegünstigter | |
Strombezug, und Rosatom verpflichtete sich, ihnen 12 Jahre lang Strom zu | |
einem festen Selbstkostenpreis zu liefern. | |
Doch, was vor fast zehn Jahren noch attraktiv erschienen sein mag, ist es | |
längst nicht mehr. Schon 2018 kam eine Studie zum Ergebnis, dass auch | |
dieser Selbstkostenpreis ein Drittel über dem von Windkraftstrom liegen und | |
der Atomstrom von Hanhikivi ein sicheres Verlustgeschäft werden würde. | |
Mittlerweile haben sich die Produktionskosten für Elektrizität weiter zu | |
Ungunsten von Atomstrom verschoben. „Wir haben seit 2013 versucht, aus dem | |
Projekt auszusteigen“, berichtete im Sommer beispielsweise Ragnar | |
Lundqvist, der Bürgermeister von Raseborg, eine der Investor-Kommunen: | |
„Aber wir finden keinen Käufer.“ | |
Die Anteilseigner haben noch mehr Sorgen. Ohne dass es bislang auch nur | |
eine Baugenehmigung der finnischen Atombehörde Stuk gibt, sind bereits eine | |
runde Milliarde Euro in Form von Planungskosten und vorbereitenden | |
Bauarbeiten investiert worden. Gegenüber dem Fernsehen zeigten sich | |
VertreterInnen mehrerer Kommunen und Unternehmen zunehmend nervös, was die | |
Zukunft des Projekts angeht. | |
## Weitere Milliarden Euro verschwenden? | |
Wäre es da nicht am sinnvollsten, die Reißleine zu ziehen, bevor weitere | |
Milliarden Euro in den Sand gesetzt werden? Im Frühsommer gab es erstmals | |
vonseiten des Bauherrn selbst Signale, die als Umdenken gedeutet werden | |
konnten. Fennovoima teilte mit, dass sich die geschätzten Baukosten um mehr | |
als eine weitere Milliarde auf bis zu 7,5 Milliarden Euro erhöhen würden. | |
Außerdem werde sich der Termin, bis zu dem man die Unterlagen für eine | |
Baugenehmigung zusammenhaben will, weiter verzögern – wodurch zusätzliche | |
Kostensteigerungen drohen. Gleichzeitig warnten die Bauherren erstmals vor | |
neuen „finanziellen Risiken und Unsicherheiten“, die nicht nur den | |
Zeitplan, sondern auch insgesamt „die Finanzierung des Projekts | |
beeinflussen“ würden. | |
Auf Anfrage der taz wollte der Fennovoima-CEO Joachim Specht diese „Risiken | |
und Unsicherheiten“ nicht weiter vertiefen. Eigentlich war die Finanzierung | |
schon 2015 als gesichert abgehakt worden. Der Löwenanteil der Baukosten | |
sollte über den beim russischen Finanzministerium angesiedelten „Nationalem | |
Wohlfahrtsfonds“ finanziert werden, den Moskau eingerichtet hatte, um mit | |
seinem Guthaben Defizite in der Rentenversicherung zu decken. Ob es in | |
Moskau Zweifel an der Finanzierung des Projekts gibt? „Solche Probleme | |
sind uns nicht bekannt“, betonte Specht. Den gleichen Bescheid gab es auf | |
die Frage nach Finanzierungsproblemen aufseiten der finnischen | |
Anteilseigner. | |
Doch Ende September gestand Rosatom plötzlich ein, dass es eine | |
Finanzierungslücke gebe: 2 Milliarden Euro fehlten, erklärte der | |
Rosatom-Manager Kirill Komarow bei einem Besuch in Helsinki, die hoffe man, | |
mit neuen Bankkrediten decken zu können. | |
## Bedenken wegen „geopolitischer Risiken“ | |
Und im Oktober meldete sich auch noch das finnische | |
Verteidigungsministerium mit der Nachricht, man arbeite an einer Analyse, | |
inwieweit dieses AKW in russischer Regie, das in seinem Betrieb von | |
russischen Brennelementelieferungen abhängig ist, überhaupt mit den | |
sicherheitspolitischen Interessen des Landes vereinbar sei oder es zu große | |
„geopolitische Risiken“ gebe. Die Frage, ob damit das ganze Projekt auf der | |
Kippe stehen könnte, wollte eine Ministeriumssprecherin nicht beantworten, | |
betonte aber: „Wir sehen deutlicher als früher, dass es einen Bedarf für so | |
eine Analyse gibt.“ | |
Aber braucht Finnland nicht diesen Atomstrom? Eine aktuelle Studie der beim | |
finnischen Parlament angesiedelten Innovationsstiftung Sitra meint das | |
nicht. Sie rechnet mit einer Verdoppelung des Strombedarfs Finnlands bis | |
zum Jahr 2050 und will den vor allem mit einem umfassenden Ausbau der | |
Windkraft decken. Künftiger Atomstrom aus dem AKW Hanhikivi taucht in ihrer | |
Studie nur noch in Form einer Fußnote auf: Das Projekt sei [2][zu unsicher] | |
sei, um es überhaupt zu berücksichtigen. | |
Ähnliches konnte man im Juni einer [3][Analyse des finnischen Klimapanels] | |
entnehmen. Der Beschluss zum Bau neuer Atomkraft in Finnland sei ein | |
politischer Beschluss gewesen und spiegele die Prioritäten der Politik | |
wider, betonte Peter Lund, Physikprofessor und Vizevorsitzender des Panels | |
bei der Vorstellung dieses Rapports: „Ich glaube nicht, dass der Markt ein | |
Interesse am Ausbau der Atomkraft hat.“ | |
Diese Studien werden sich Banken sicher genau ansehen, bevor sie | |
Milliarden in ein AKW-Projekt stecken, an dem die Zweifel stetig wachsen. | |
„Der Beschluss für diese teuren und langfristigen Investitionen wurde | |
gefällt, als die Welt noch ganz anders aussah“, sagt der Strommarktexperte | |
Iivo Vehviläinen. Er schätzt, dass schon Olkiluoto 3 – sollte der Reaktor | |
wirklich wie zuletzt geplant 2022 ans Netz gehen – niemals rentabel | |
arbeiten wird. | |
Für ein Atomkraftwerk Hanhikivi, mit dessen Baubeginn Fennovoima aktuell | |
noch für 2023 rechnet und der dann möglicherweise Anfang der 2030er Jahre | |
fertiggestellt sein könnte, gelte dies umso mehr: „Schon jetzt und erst | |
recht in Zukunft kann Strom mit anderen, schneller als erwartet | |
eingeführten Produktionsmethoden günstiger erzeugt werden.“ | |
18 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /AKW-Neubau-in-Finnland/!5213927 | |
[2] https://media.sitra.fi/2021/09/30130958/sitra-enabling-cost-efficient-elect… | |
[3] https://www.ilmastopaneeli.fi/wp-content/uploads/2021/06/ilmastopaneelin-ju… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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