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# taz.de -- Trauma des italienischen Fußballs: Drohender WM-Boykott
> Europameister Italien kann wegen eines torlosen Remis in Nordirland nur
> noch über die Playoffs zur WM. Böse Erinnerungen werden wach.
Bild: Zum Verzweifeln: Manuel Locatelli nach dem Spiel gegen Nordirland
Im Juli wurde [1][der Europameister] noch für seinen berauschenden
Angriffsfußball gefeiert. Beim torlosen Remis am Montagabend in Nordirland
gelang den Italienern dagegen erschreckend wenig. Die Vorstellung im
Windsor Park war an sich schon enttäuschend. Gegen die technisch
limitierten, physisch allerdings topfitten Nordiren geriet der
Europameister gegen Ende des Matches sogar in Gefahr zu verlieren.
Das Schlimmste an dem matten Auftritt ist jedoch, dass Italien nun um die
WM-Teilnahme in Katar bangen muss. Erst über den Umweg der Playoffs kann
die Reise ins Wanderarbeiterausbeuterland am Persischen Golf noch gebucht
werden. Der Absturz trifft das Team und die Nation hart. Viele hatten
geglaubt, das Trauma des WM-Aus von 2018 sei überwunden. Nationalcoach
Roberto Mancini hatte die Auswahl neu aufgebaut. Er war behutsam
vorgegangen, hatte alte Heroen wie Claudio Chiellini und Leonardo Bonucci
im Team gelassen, aber auch viele neue Kräfte integriert. Nicolo Barella
von Meister Inter Mailand und Manuel Locatelli von Juventus Turin wurden
unter Mancini zu Schlüsselspielern im Mittelfeld.
Die größten Angriffstalente Federico Chiesa und Lorenzo Insigne bekamen
Vertrauen und entsprechende Einsatzzeiten. Mit ihnen und den nachrückenden
Außenverteidigern wurde Druck an der Seitenlinie aufgebaut. Vor allem aber
wurde das Mittelfeld zu einem Kraftzentrum. Mancini gab auch die Parole
aus: „Alle sind Stammspieler.“ Im Quartier der Nationalmannschaft in
Coverciano bei Florenz wurde zudem ein ganz besonderer Teamgeist
geschaffen.
Nach der EM zerbrach das Ensemble allerdings. Ein Grund ist die
Verletzungsserie. Mit Marco Verratti fiel der Regisseur aus. Zudem musste
man auf den Toptorjäger Ciro Immobile verzichten. Ersatzmann Andrea
Belotti kam von einer Verletzungspause nur mit halber Lungenkraft zurück.
Und in der Defensive fiel Chiellini im Entscheidungsspiel komplett aus,
Bonucci konnte erst im letzten Moment doch antreten.
## Pleitemonat September
In die Bredouille hatten sich die Azurri aber schon vorher gebracht.
Absoluter Pleitemonat war der September. Gegen die Schweiz und Bulgarien
reichte es nur zu zwei Remis bei einem einzigen erzielten Treffer. „Hier
haben wir die Qualifikation verspielt. Wir hätten schon viel früher alles
klarmachen können“, übte Mancini Selbstkritik. In der Analyse redete er
sich aber heraus. Er verwies auf den ungünstigen Zeitpunkt. „Im September
haben wir traditionell Probleme. Die Spieler kommen von lediglich ein, zwei
Spielen“, sagte Mancini schon vor dem Match in Belfast. Das stimmt.
Allerdings leiden die Gegner unter demselben Problem.
Müdigkeit wegen der Vorbereitung und mangelnde Spritzigkeit sind das Thema
vieler Vereins- und Nationalmannschaften in Europa. Mancini muss sich
vorwerfen lassen, für dieses Problem keine Lösungen gefunden zu haben. Auch
gelang es ihm nicht, jenseits der strapazierten Euro-Helden ein paar
frischere und hungrige Spieler heranzuziehen. Er berief sie zu den
Lehrgängen, etwa Spielmachertalent Sandro Tonali oder Mittelstürmer
Gianluca Scamacca, setzte sie dann aber nur sporadisch ein.
Insgesamt war das Team nicht nur physisch, sondern auch mental
angeschlagen. [2][„Wir müssen den Geist der Euro wiederfinden], unsere
Unbekümmertheit und den Biss“, hatte Bonucci angemahnt. Genau daran
mangelte es dem Europameister in den Monaten nach dem Titel. Die Mannschaft
wirkte selbstzufrieden. Sie hatte ja auch etwas erreicht. Drei Jahre nach
dem absoluten Tiefpunkt, dem Verpassen der WM in Russland, gab es nicht nur
die Rekordserie von 37 Spielen ohne Niederlage, sondern eben auch den
EM-Titel. Meister der Herzen waren sie sowieso. Dinge, die nur mit größter
Entschlossenheit gelingen, drohen bei lässigerem Einsatz zu misslingen.
Mancini, selbst Jahre lang Nationalspieler und seit 2018 commissario
tecnico, kennt selbstverständlich das Problem. Aber er fand nicht das
rechte Mittel dagegen.
Jetzt droht Italien die Retraumatisierung. Wie 2018 geht es über die
Playoffs. Damals scheiterte man an Schweden. Die können erneut Gegner sein.
Ein weiterer möglicher Gegner ist Portugal, das wegen einer 1:2-Niederlage
gegen Serbien die direkte Qualifikation verpasste. Die Sorge der Italiener
ist nun, dass deren Star Cristiano Ronaldo nach seinem umstrittenen Abgang
aus Turin besonders motiviert sein dürfte.
16 Nov 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Tom Mustroph
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