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# taz.de -- Dehio-Kulturpreis für Europa von unten: Angewandte Geschichte ausg…
> Europa von den Regionen her erzählen: Dafür bekam unter anderem das
> Institut für Angewandte Geschichte in Frankfurt (Oder) den
> Dehio-Kulturpreis.
Bild: Die Preisträger von Borussia und dem Institut für Angewandte Geschichte
Berlin taz | Und plötzlich hab es da eine ganze Region neu zu entdecken.
Kaum war die Mauer in Berlin gefallen, der Eiserne Vorhang Geschichte und
die [1][Europa-Universität Viadrina] in Frankfurt (Oder) gegründet, machten
sich deutsche und polnische Studierende daran, die Neumark zu erkunden,
jenen Teil der historischen Mark Brandenburg östlich der Oder, der seit
1945 in Polen lag.
[2][Terra transoderana] nannten die Studierenden einen Almanach, der aus
ihren Spurensuchen, Forschungen und im Dialog mit den Menschen vor Ort
entstanden war. Es war die Geburtsstunde des „[3][Instituts für Angewandte
Geschichte]“ in Frankfurt (Oder). Am Donnerstag Abend wurde das Institut
mit dem Georg-Dehio-Förderpreis ausgezeichnet, der vom [4][Kulturforum
östliches Europa] vergeben wird.
„Dem kulturwissenschaftlichen Ansatz und der Grenzregion verbunden, greifen
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Themen auf, die sich auf die
schwierigen Verflechtungen von Deutschen, Polen, Juden oder Ukrainern im
gesamteuropäischen Kontext beziehen“, heißt es in der Begründung der
siebenköpfigen Jury für den Preis.
## Das Atlantis des Nordens
Doch die große Leistung des Instituts liegt noch in einem anderen Punkt:
Mit ihren Exkursionen, Workshops und Publikationen haben es die
Aktivistinnen und Aktivisten geschafft, im zentralistische verfassten Polen
der Warschauer Perspektive eine regionale Perspektive entgegenzusetzen.
Und, darauf hat der Osteuropahistoriker Karl Schlögel in seiner Laudatio
hingewiesen, sie haben die universitären Themen und Debatten einem
breiteren Publikum zu vermitteln vermocht.
Regionale statt nationale Perspektive, das ist auch das Thema der
[5][Kulturgemeinschaft Borussia] in Allenstein/Olsztyn, die am Donnerstag
den Dehio-Hauptpreis verliehen bekommen hat. Borussia, also Preußen im
Namen zu tragen, daran erinnerte in seiner Dankesrede der Historiker
Andreas Kossert, sei in Polen eigentlich etwas Ungeheuerliches. Doch das
Preußen, auf das sich die vor dreißig Jahren gegründete
zivilgesellschaftliche Initiative beruft, ist nicht das Preußen der
Nationalisten, sondern das multikulturelle Grenzland im ehemaligen
Ostpreußen, das heute zur polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren gehört.
Es ist das Verdienst der Borussia, dass die historischen Schichten wieder
sichtbar werden und die deutsche Vergangenheit nicht Bürde, sondern
gemeinsame, das heißt europäische Geschichte ist. „Richtungweisend war
dabei von Anfang an der Ansatz“, so Kossert, „eine historische Landschaft
als Zusammenspiel seiner ehemaligen und heutigen Einwohner gemeinsam zu
denken.“
„Atlantis des Nordens“: So nannte der Dichter und Mitbegründer von
Borussia, Kazimierz Brakoniecki, die vergessene Grenzlandschaft von
Deutschen, Polen, Litauern und Juden, an welche die Borussia mit ihren
Arbeiten, unter anderem der Sanierung des Bethauses von Erich Mendelsohn,
erinnerte. Aber ist nicht auch die Erinnerung daran selbst zum Atlantis
geworden? „Heute spielen Grenzen wieder eine Rolle“, mahnte Kornelia
Kurowska am Donnerstag in ihrer Dankesrede und erinnerte daran, wie Polen
die Grenze zu Belarus dichtmache, um keine Flüchtlinge ins Land zu lassen.
Das sei das Gegenteil von dem, was Borussia wolle.
## Europa der Grenzlande, nicht der Grenzen
Es war das Europa der Regionen, das am Donnerstag ausgezeichnet wurde und
sich dabei auch ein wenig selbst feierte. Ein Europa, in dem nicht Grenzen
im Mittelpunkt standen, sondern die „Grenzlande“, jene Zwischenlande an der
Peripherie zwischen den eindeutig definierten Landen der Hauptstädte. Die
Allensteiner Borussia, sagte Kossert in seiner Würdigung, sei „die
Verfechterin eines offenen Regionalismus“. Ihre Macherinnen und Macher
„scheuten keine Tabus, richteten unbequeme Fragen an überkommende und zudem
national verengende Narrative, und zwar an Polen, Deutsche, Russen und
Litauer gleichermaßen“.
Das gleiche lässt sich, uneingeschränkt, auch für das Institut für
Angewandte Geschichte in Frankfurt (Oder) sagen. Gleichwohl lag etwas
Wehmut über der Preisverleihung, es war die Wehmut, die sich in der Rührung
vieler zeigte, in den Freudentränen, die manche nicht mehr wegzudrücken
vermochten, im – in jeder Hinsicht gerechtfertigten – Pathos der
Laudatoren.
Die Neugier und Unbefangenheit, mit der sich die Studierenden der Viadrina
und die Borussen in Allenstein an die Erkundung neuer Welten machten, ist
vorbei. Vorbei ist damit auch die „Zeit der Provinz“, von der vor allem in
Polen in den neunziger Jahren die wichtigsten intellektuellen Impulse
ausgingen. Vorbei ist auch die „Unschuld“ der Grenzregionen, in denen die
Anzahl der Stimmen für populistische Parteien oft höher ist als in den
großen Städten.
## Gegenwind statt Rückenwind
Und auf der Kippe steht zumindest jener faszinierende Versuch, mit dem
„offenen Regionalismus“ die Geschichte Europas von den Rändern her zu
erzählen. Stattdessen dominiert heute wieder die Erzählung in den
Hauptstädten. Die regionale Perspektive, die vor allem in Polen der
Perspektive Warschaus entgegengestellt werden sollte, ist an ihre Grenzen
geraten.
Der Rückenwind hat sich gedreht, nun bläst immer öfter der Gegenwind. Umso
wichtiger wäre eine finanzielle Absicherung der Preisträger. Die nämlich
gibt es nicht nur nicht für die Borussia im nationalkonservativen Polen.
Auch das Institut für Angewandte Geschichte, inzwischen „everybodys
darling“, basiert im wesentlichen auf ehrenamtlicher Arbeit.
8 Oct 2021
## LINKS
[1] https://www.europa-uni.de/de/index.html
[2] https://www.bebraverlag.de/verzeichnis/titel/38-terra-transoderana.html
[3] https://www.instytut.net/
[4] https://www.kulturforum.info/de
[5] http://borussia.pl/
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Frankfurt Oder
Oder (Fluss)
Polen
Jüdisches Leben
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