# taz.de -- Montagsinterview mit Robert Traba: "Berlin hat eine Toleranz, die i… | |
> Der Historiker Robert Traba auf der Suche nach den Gemeinsamkeiten in der | |
> Geschichte von Deutschen und Polen. So entstand das Megaprojekt | |
> "Deutsch-polnische Erinnerungsorte". | |
Bild: Robert Traba, Leiter des Zentrums für Historische Forschung Berlin der P… | |
taz: Herr Traba, haben Sie sich den 8. Juli 2012 schon vorgemerkt? | |
Robert Traba: Warum sollte ich? | |
An diesem Tag beginnt in Warschau die Fußball-Europameisterschaft. Leider | |
zwar nicht mit Deutschland - Polen - aber das kann ja im Verlauf des | |
Turniers noch kommen. | |
Wir machen gerade eine Konferenz zum Thema "Deutsch-polnische Fußballfälle | |
in der Geschichte". | |
In Ihr Mammutprojekt über die deutsch-polnischen Erinnerungsorte hat es der | |
Fußball aber nicht geschafft. Trotz Podolski und Klose. | |
Doch, doch. Wir haben einen wunderbaren Beitrag über parallele | |
Erinnerungsorte: Bern 1954 und Wembley 1973. | |
Also den Gewinn der Deutschen bei der WM in der Schweiz und den polnischen | |
Sieg gegen England bei der Qualifikation für die WM 1974. | |
In diesem Beitrag wird die Bedeutung des Fußballs für die beiden | |
Gesellschaften untersucht. Sie haben aber recht: Es ist kein gemeinsamer, | |
sondern ein paralleler Erinnerungsort. | |
Welche Rolle spielt denn der Fußball für die Beziehung zwischen Deutschen | |
und Polen? | |
Das war immer Kampf. Früher gab es die größten Emotionen immer, wenn die | |
Polen gegen die Sowjetunion spielten oder gegen die Deutschen. Aber das hat | |
sich geändert - und Podolski und Klose hatten daran großen Anteil. | |
Lukas Podolski wurde letztens in Polen nicht ausgepfiffen - anders als | |
Mesut Özil von den Türken in Deutschland. Ein Hinweis darauf, dass es gar | |
nicht mehr darum geht, ob er nun zur einen oder zur andern Seite gehört? | |
Vielleicht. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Michael Ballack vor der | |
WM 2006 in polnischen Medien in Kreuzrittermontur abgebildet wurde. Das | |
wäre heute aber nicht mehr so einfach - auch deshalb, weil die Deutschen | |
nicht mehr so deutsch spielen. | |
Sie spielen nicht mehr wie die Kreuzritter? | |
Und auch nicht wie 1974 im Halbfinale bei der WM in Deutschland gegen die | |
Polen. Da waren wir besser und die Deutschen haben, wie immer, gewonnen. | |
(lacht) Wenn die Deutschen jetzt gewinnen, gewinnen sie zu Recht und nicht, | |
weil sie wie ein Panzer über den Platz rollen. | |
2011 ist ein wichtiges Jahr in der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte. | |
20 Jahre Nachbarschaftsvertrag werden gefeiert, Polen hat die | |
Ratspräsidentschaft der EU, im Gropiusbau gibt es die große Ausstellung | |
"Tür an Tür". Wie gut ist das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen? | |
Das kann ich nicht als Historiker oder Politikwissenschaftler, sondern nur | |
als Robert Traba beantworten: Das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen | |
war in der Geschichte beider Länder noch nie so gut wie jetzt. Und die | |
Möglichkeiten, die vor uns stehen, sind noch besser. | |
Welche Rolle spielt die Geschichte für diese Beziehungen? | |
Noch immer eine sehr große. Vor allem auf der polnischen Seite. Vom 19. | |
Jahrhundert bis vor noch nicht allzu langer Zeit waren die Deutschen in | |
Polen eine Art identitätsstiftender Faktor: "Ich definiere mich als Pole | |
durch die Abgrenzung von den Deutschen." Die deutsche Geschichte war in | |
Polen ein negativer Erinnerungsort. Für die Deutschen war das anders. Da | |
hat man sich nach dem Krieg in Westdeutschland in Richtung Westen | |
orientiert. Das hat dazu geführt, dass die Polen aus dem Wahrnehmungsraum | |
der Deutschen eher verschwunden sind. | |
Außer in Ostberlin und der DDR. | |
Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Die DDR wird in Polen immer noch nur | |
unter dem Blickwinkel des Kommunismus betrachtet. Tatsächlich gab es aber | |
viele Nischen, in denen sich die Menschen begegnet sind. In der DDR waren | |
viele von polnischer Musik und Kunst fasziniert. Da war viel weniger | |
Arroganz im Spiel als bei vielen Westdeutschen. Dieses Potenzial haben wir | |
nach der Wende nicht genutzt. | |
In der Ausstellung "Tür an Tür" wird die deutsch-polnische | |
Beziehungsgeschichte nicht als Kampf, sondern als verbindendes Element | |
gezeigt. Für wen ist das die größere Überraschung? Für die polnischen | |
Besucher oder für die Deutschen? | |
Die Bedeutung der Ausstellung unterscheidet sich sehr. Für die Polen kann | |
es eine Entdeckung sein, dass wir nicht nur Feinde waren. Für die Deutschen | |
dagegen geht es erst einmal darum, Polen als Kulturland zu entdecken. Die | |
Stärke dieser Ausstellung sind die Exponate. Diese Kunstwerke zeigen, wie | |
wir zusammen in Europa gelebt und uns gegenseitig beeinflusst haben. | |
Der Gropiusbau hat im November ein Video von Artur Zmijewski entfernt, das | |
tanzende Menschen in einer Gaskammer zeigt. | |
Auf mich haben die Videoinszenierung von Zmijewski sowie der gesamte dem | |
Zweiten Weltkrieg gewidmete Teil einen erschütternden Eindruck gemacht, vor | |
allem das menschliche Ausmaß der Tragödie. Es gibt hier sowohl einen | |
Klassiker, Andrzej Wroblewski, als auch die Vielfalt von Themen und Stilen. | |
So sieht die künstlerische Landschaft zu diesem Thema in Polen aus. Und | |
darum ging es ja auch bei der Zusammenstellung der Ausstellung. Wie sollen | |
wir uns verstehen, wenn wir die unterschiedlichen Interpretationen der | |
Vergangenheit nicht kennen lernen? Die Entfernung wenn auch nur eines | |
Exponats untergräbt ein wenig den Sinn des Dialogs. | |
Anda Rottenberg, die Kuratorin der Ausstellung, hat die Geschichte zwischen | |
Deutschen und Polen mittels der Kunst erzählt. Sie gehen mit Ihrem Projekt | |
der Erinnerungsorte einen anderen Weg. Was unterscheidet diese beiden Wege? | |
Kunst ist eine freie, unbewaffnete und vor allem individuelle Gattung. Bei | |
den Erinnerungsorten - also Ereignissen, Territorien, Persönlichkeiten, die | |
symbolische Bedeutung haben - geht es darum, die Mechanismen zu zeigen, wie | |
kollektive Erinnerung überhaupt erst entsteht. | |
Gibt es denn eine gemeinsame deutsche und polnische Erinnerung? | |
Bei 90 Prozent der Erinnerungsorte, die wir bearbeitet haben, gibt es eine | |
polnische und eine deutsche Lesart. Bestes Beispiel ist die Schlacht von | |
Tannenberg 1410, die in Polen die Schlacht von Grundwald heißt, also der | |
Sieg Polen-Litauens über den Deutschordensstaat. In Polen war das von | |
Anfang an wichtig, in Deutschland dagegen nicht - nicht einmal als es in | |
Polen 1910 die 500-Jahr-Feiern gab. | |
Dann kam der Erste Weltkrieg. | |
Ja, es wurde in Deutschland erst wichtig, als zu Beginn des Ersten | |
Weltkriegs die Russen in Ostpreußen geschlagen wurden. Da hat man dann den | |
deutschen Sieg bei Tannenberg daraus gemacht. Heute geht es dagegen darum, | |
Grunwald-Tannenberg europäisch zu erzählen. Das machen wir, indem wir die | |
Entwicklung dieses Erinnerungsortes auf beiden Seiten darstellen, sodass | |
jeder weiß, wie er auf der jeweils anderen Seite funktioniert. | |
Sie haben bereits 1990 in Olsztyn/Allenstein die Kulturgemeinschaft | |
Borussia gegründet, die unter anderem das preußische Erbe in Masuren | |
bewahren will. Was hat Sie bewegt? Ein familiärer Hintergrund? | |
Ja, aber kein deutscher. Meine Eltern sind nach dem Krieg aus Frankreich | |
nach Polen zurückgekehrt. Mein Vater war 1940 in Kriegsgefangenschaft in | |
Angerburg in Masuren, und als er 1947 nach Wegorzowo in Polen kam, | |
entdeckte er, dass das ein und dieselbe Stadt war und der masurische | |
Nachbar früher Aufseher war. Diese Fremdheit meiner Eltern unter den | |
Bewohnern, die aus dem Osten nach Masuren gekommen waren, hat eine Achtung | |
für den Anderen hervorgerufen, die in unserer Familie immer wichtig war. | |
Auch für Sie? | |
Ja, und auch Borussia ist in diesem Geiste gegründet worden. Anlass dafür | |
war meine Erfahrung mit der GFPS. Das war damals das einzige | |
nichtstaatliche Stipendienprogramm - gestiftet von jungen Deutschen für | |
junge Polen. Ich hab mich da einfach gemeldet - und sie haben mich 1989 | |
nach Deutschland geschickt. Da habe ich zum ersten Mal eine Organisation | |
entdeckt, die von unten arbeitet. Meine Entdeckung in Deutschland war eine | |
gesellschaftliche Partizipation, die nicht von staatlichen Behörden | |
abhängig ist. So habe ich die Wendezeit in Deutschland erlebt. Und dann | |
habe ich in Olsztyn 18 Menschen gefunden, die mit mir Borussia gegründet | |
haben. | |
Nun arbeiten Sie seit fünf Jahren in Pankow als Direktor des Zentrums für | |
Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Ist | |
Berlin ein guter Ort, um über regionale Geschichte, Identität und | |
Erinnerungsorte für Deutsche und Polen zu forschen? | |
Ohne Berlin hätte ich mich wohl nie entschieden, nach Deutschland zu kommen | |
und hier fünf Jahre zu arbeiten. Berlin ist eine faszinierende Stadt, weil | |
sie aus so verschiedenen Schichten besteht. Das Entscheidende aber ist die | |
Offenheit. Du kannst hier schwarz, rot, groß, klein, polnisch oder | |
chinesisch sein: Berlin hat eine Toleranz, die ist wunderbar. | |
Wenn Sie Besuch aus Polen bekommen, wohin in Berlin gehen Sie mit diesem | |
Besuch als Erstes? | |
Sie werden lachen, ich zeige ihnen zuallererst Pankow. Die Allensteiner | |
erkennen in Pankow etwas anderes als die Warschauer, sie finden sich hier | |
nämlich wieder. Die norddeutschen Städte an der Ostseeküste wurden vor | |
allem nach dem Ersten Weltkrieg auch von Berliner Architekten geprägt. Und | |
dann hat sich Pankow in den vergangenen fünf Jahren prächtig entwickelt. Es | |
sind viele junge Leute gekommen, ohne dass dabei die Mischung verloren | |
gegangen ist wie in Prenzlauer Berg. | |
Das klingt durchaus lokalpatriotisch. | |
Außerdem habe ich einen Hund. Mit diesem Hund habe ich bestimmt 50 oder 100 | |
Leute kennen gelernt, die ich sonst nie getroffen hätte. Das alles ist | |
Pankow. Erst dann zeige ich meinem Besuch den Prenzlauer Berg und Mitte, | |
das Nachtleben, die Umgebung der FU in Dahlem, wo ich Honorarprofessor bin. | |
Und natürlich die Museen. Das Neue Museum ist für mich absolut die Nummer | |
eins in Europa. | |
Welche Bedeutung hat Berlin inzwischen für polnische Besucher? Hat das | |
polnische Berlin sein Klempner- und Putzfrauenimage abgestreift? Ist es | |
jetzt die Stadt der Künstler und Studierenden aus Polen? | |
Die Entwicklung ist enorm. Vor der Wende war Westberlin die erste Stadt im | |
Westen. Ein Ort der Migration. Und nun ist es eine Kulturstadt für die | |
Polen. Ich höre es immer in der Straßenbahn. Was machst du hier? Ein | |
Superkonzert, deswegen bin ich hier. Und so weiter. Es kommen völlig neue | |
Leute aus Polen nach Berlin. | |
Sie haben 2007 im Ephraim-Palais eine Ausstellung über die Berliner Polen | |
gemacht, die hatte den Titel "Wir, Berliner". Ist Robert Traba nun auch ein | |
Berliner? | |
Ich durfte in Pankow nun auch die Bezirksverordnetenversammlung mitwählen. | |
Wenn das keine Ankunft ist. Leider werde ich in zwei Jahren die Stadt | |
wieder verlassen müssen. Aber ich werde neben Wegorzowo, Olsztyn und | |
Warszawa mit Berlin immer einen Punkt auf der Karte haben, mit dem ich mich | |
identifizieren kann. | |
Wir beobachten überall in Europa eine Renationalisierung der Erinnerung: in | |
Ungarn, in Finnland, in Litauen. Wir erleben sie nicht so sehr in | |
Deutschland und in Polen. Ernten wir jetzt die Früchte einer sehr engen, | |
dichten Zusammenarbeit in den vergangenen zwanzig Jahren? Auch und gerade | |
auf dem Feld der historischen Forschung? | |
Ich wäre froh, wenn die Fachgeschichte auch die gegenseitige Wahrnehmung | |
verändern würde. So weit sind wir noch nicht. Aber ich bin optimistisch. | |
Dann kann ja auch die Fotomontage von Michael Ballack als Kreuzritter zum | |
Beginn der Europameisterschaft im Museum landen. | |
(lacht) Aber nur, wenn wir uns erst im Finale treffen. | |
5 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
Uwe Rada | |
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