# taz.de -- Folter in Russland: „Hölle auf Erden“ | |
> Eine Gefangenenrechtsgruppe veröffentlicht Videos über brutale | |
> Misshandlungen in russischen Strafanstalten. Beschuldigte wurden | |
> entlassen. | |
Bild: Einer der Orte der Folterungen: Das Tuberkulose-Krankenhauses im russisch… | |
MOSKAU taz | Moskau reagierte ungewöhnlich schnell. Anfang der Woche | |
kursierten Veröffentlichungen von Videos mit mutmaßlichen Vergewaltigungen | |
von Gefängnisinsassen im Netz. Bereits am Mittwoch wurden mehrere | |
Beschuldigte vom Chef des russischen Strafvollzugs (FSIN) entlassen. | |
Darunter war auch der Leiter des Tuberkulose-Krankenhauses in Saratow – | |
einer der Orte, wo es regelmäßig zu Folterungen von Häftlingen gekommen | |
sein soll. Mehrere Angestellte der Haftanstalt und der Vorsitzende des | |
Strafvollzugsdienstes in der Region mussten den Dienst quittieren. | |
Strafverfahren wurden eingeleitet. | |
Folter und Misshandlungen gehören zum Alltag vieler Häftlinge in Russland. | |
Die russischen Straflager haben den Ruf, eine „Hölle auf Erden“ zu sein. | |
Folterungen und Demütigungen sind keine Neuigkeit. Alle paar Jahre gelangen | |
immer wieder spektakuläre Fälle auch an die Öffentlichkeit. Die | |
Gefangenenrechtsgruppe Gulagu.net stellte Anfang der Woche mehrere Videos | |
ins Netz. Eines der Opfer wurde [1][mit einem Besenstiel vergewaltigt] und | |
schrie vor Schmerzen. | |
Der Gründer der Gruppe ist Wladimir Ossetschkin, der seit Jahren im Ausland | |
lebt. Ihm wurde Archivmaterial zugespielt. Bislang veröffentlichte die | |
Gruppe nur einen Bruchteil des 40-Gigabyte-Archivs. Insgesamt läge der | |
Gruppe aber Foltermaterial von 70 Gigabyte vor, sagte Ossetschkin gegenüber | |
dem Sender Echo Moskau. Die Videos soll ein ehemaliger Mitarbeiter der | |
Strafvollzugsbehörde, selbst ein ehemaliger Häftling, aus der Kolonie | |
herausgeschmuggelt haben. | |
## Arbeit als Spitzel | |
Das Beweismaterial ist so erdrückend, dass Moskau auf den „systematischen | |
Charakter von Folter“ reagieren musste. Im russischen Strafvollzug gebe es | |
ein überregional organisiertes Foltersystem. Dazu gehöre auch Saratow, wo | |
das Besenstiel-Video im Winter 2020 entstand. Gebiete, wo es zu ständigen | |
Misshandlungen kommt, stellen auch Irkutsk, die Baikalregion, Kransnojarsk | |
und Wladimir dar, meint Ossetschkin. | |
Wer nicht gefügig sei, werde oft in Strafkolonien verlegt, wo [2][grausame | |
Folter] zum Alltag gehört. Manche Häftlinge sollen als Spitzel arbeiten, | |
bei anderen wird erwartet, dass sie Mitgefangene durch Falschaussagen | |
belasten. | |
Besonders gewaltbereite Häftlinge arbeiten mit der Strafvollzugsbehörde | |
FSIN zusammen. Die FSIN rekrutiert sogenannte Sonderkommandos, die die | |
Aufgabe haben, Gefängnisinsassen zu foltern. Dabei kommen auch besonders | |
gewaltbereite Mitgefangene zum „Einsatz“. | |
Grundsätzlich müssen alle Einzelheiten des körperlichen und sexuellen | |
Missbrauchs auf Video aufgezeichnet werden. Die Aufnahmen werden | |
anschließend im FSIN-System abgespeichert, um die Misshandelten erpressbar | |
zu machen. Ossetschkin vermutet, dass die Aufnahmen im Auftrag des | |
Inlandsgeheimdienstes FSB und des Strafvollzugs angefertigt wurden. | |
## Schwerer Stand | |
Wer in russischen Haftanstalten vergewaltigt wurde, hat unter Mithäftlingen | |
einen schweren Stand. Meist fällt er in die unterste Häftlingskategorie, | |
die jeder Inhaftierte nach Belieben erniedrigen darf. | |
Der ehemalige Häftling, der das Material Gulagu.net zur Verfügung stellte | |
und in der Haftanstalt als Programmierer eingesetzt wurde, ist dem | |
russischen Geheimdienst nicht unbekannt. Er wurde bei der Ausreise von | |
einem russischen Flughafen zunächst festgesetzt. Wegen vermeintlicher | |
Spionage wurde ihm auch Haft angedroht. Dennoch ließ der Geheimdienst, der | |
den Delinquenten seit Monaten überwachte, letztendlich ausreisen. Er soll | |
sich jetzt an einem sicheren Ort „unter Palmen“ aufhalten, so Wladimir | |
Ossetschkin. | |
Er kündigte überdies an, seine Menschenrechtsgruppe werde nach und nach | |
weitere Videos aus Gefängnissen veröffentlichen, um auf den systematischen | |
Missbrauch in russischen Gefängnissen aufmerksam zu machen. | |
8 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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Alexei Nawalny | |
Russland | |
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