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# taz.de -- Brauchtum weltweit: Bettdecke über'n Kopf an Halloween
> Ich bin kein Fan von Halloween. Bettdecken mit Baumwollbezug wären mir
> als weltweites Brauchtum lieber. Oder auch der mexikanische „Tag der
> Toten“.
Bild: Cooler als Halloween: Ein Schädel, wie er beim mexikanischen „Tag der …
In nicht einmal zwei Wochen ist es wieder so weit: Wie, bitte sehr, konnte
sich dieses Halloween-Fest in der ganzen Welt verbreiten? Nur der
Valentinstag ist noch bekloppter. Aber da klingeln wenigstens nicht ständig
Leute an der Tür, die Süßigkeiten wollen.
Warum hat sich denn nicht stattdessen die Bettdecke im Baumwollbezug
globalisiert? Wie kann es sein, dass auch nur ein einziger Amerikaner, der
jemals unter einer frisch bezogenen Baumwoll-Bettdecke geschlafen hat,
danach auf sein Bett freiwillig wieder mehrere Schichten glibberiger
Synthetik-Laken friemelt? Schlimmstenfalls befindet sich dazwischen sogar
noch eine Polyesterwolldecke, auf der die Betttücher überhaupt nur halten,
weil sie von ihr elektrostatisch angezogen werden oder natürlich, weil man
sie unter der 70 Kilo schweren Matratze eingekeilt hat.
Mal eben ins Bett hüpfen ist da nicht. Man muss mühsam unter die Schichten
robben, ohne sie durcheinander zu bringen und ist dann gezwungen, flach auf
dem Rücken zu liegen mit nach vorne gepressten Fußspitzen. Wer kann denn so
schlafen? Ich muss jedenfalls immer sofort das ganze Gelöt mit Gewalt unter
der Matratze herauszerren, um mich auf die Seite zu drehen, um einen Fuß
raus strecken zu können. Nachts friere ich dann zwischen einem heillos
verwurschtelten Lappenhaufen oder habe die Ekel-Wolldecke direkt auf der
Haut. Nee, danke.
Als ich mal ein Weilchen in Mexiko studiert habe, ließ ich mir von meinen
Eltern als Erstes eine Bettdecke nachschicken und dann erst Schwarzbrot.
Für Schwarzbrot konnte ich wirklich niemanden begeistern, aber um meine
Bettdecke haben sich bei meiner Abreise alle Mitbewohner gekloppt. Die
Bettdecke hat unerklärlicherweise seitdem keinen weltweiten Siegeszug
angetreten. Stattdessen feiern wir jetzt Halloween.
## Ikea-Tasche voll Süßigkeiten
In Mexiko habe ich übrigens Halloween das erste Mal wahrgenommen. Bei den
Feierlichkeiten zu Allerheiligen am 1. November hörte ich viele Mexikaner
schimpfen, dass es das alte Brauchtum vom Tag der Toten infiltriere. Ich
muss sagen, dass ich einen Feiertag, an dem sich die gesamte Familie trifft
und mit besonderem Essen, Musik und viel Alkohol gemeinsam an die
Verstorbenen denkt, eine noch coolere Idee finde als die Bettdecke. Aber
nein, wir feiern Halloween.
Aber ganz ehrlich: So richtig stören tut mich Halloween nicht. Den „Tag der
Toten“ würde ich nur eben viel toller finden.
Mich nervt eigentlich nur die beschmierte Haustür, das ewige Klingeln und
die Ikea-Tasche voll Süßigkeiten, die unsere Tochter nach Hause schleppt.
Und dieser behämmerte Süßes/Saures- und der Geister/Kleister-Spruch. Na ja,
so gesehen stört mich Halloween vielleicht doch.
Mit den Unmengen von Süßigkeiten haben wir das Problem, dass sie bei uns
niemals aufgegessen werden. Aber ich kann das Zeug auch unmöglich
wegwerfen. Also mache ich Ende Oktober Inventur und gebe den Haufen vom
Vorjahr zurück in den Zuckerkreislauf unserer Siedlung. Nur dank Corona
wurde dieser Teufelskreis letztes Jahr endlich durchbrochen. Ich stellte
alles in einem Eimer an die Straße, der sofort verschwand. Yes!
Unser Sohn Willi hält übrigens auch nicht viel von Halloween. Verkleidete
Menschen vor der Tür findet er einfach „falsch“. Er macht keinen Schritt
nach draußen. Würden Pizza und Würstchen verteilt, sähe die Sache
vielleicht anders aus – aber mit Weingummi oder Lollis lässt er sich nicht
locken.
Trotzdem grabscht Willi begeistert in die aufgehaltenen Tüten der Kinder,
die bei uns klingeln, und bevorratet sich. Wir finden das lustig. Aber wenn
man sieht, wie sich so manches Kind ernsthaft vor dem „Behinderten“
gruselt, macht das auch keinen Spaß.
Also schalten wir Klingel und Lichter aus. Willi darf im Wohnzimmer in
voller Lautstärke Mozarts Requiem anschauen und wir machen Feuer im Garten.
Alle Kinder, die sich ums Haus herum trauen und ein Gedicht aufsagen,
werden freundlich empfangen und reich beschenkt mit mehr oder weniger ollen
Süßigkeiten. Und danach freue ich mich auf meine Bettdecke.
19 Oct 2021
## AUTOREN
Birte Müller
## TAGS
Mexiko
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