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# taz.de -- Die Wahrheit: Kein Aufbruch nach Pandora
> Der allerneueste Leak bietet auch die Woche noch eine Menge Klolektüre
> mit edler Prominenz – und darunter sogar einen deutschen Namen.
Bild: Oh, island in the sun! Steueroasen sind fern. Und doch so nah …
Offshore-Geschäfte mit Briefkastenfirmen in Steueroasen – haben Sie mal
Einschlafschwierigkeiten und kein Sedativum zur Hand, murmeln Sie diese
drei Begriffe hintereinander weg und Sie ruhen umgehend in Morpheus’ Armen.
Übrigens: Die Redewendung „in Morpheus’ Armen ruhen“ basiert auf einem
Missverständnis, denn Morpheus ist der Gott des Traumes, sein Vater Hypnos
hingegen jener des Schlafes – man müsste also in Hypnos’ Armen ruhen.
Spannend, nicht?
Spannender wird es in diesem Artikel nicht werden, denn es geht um die
Pandora Papers. Nach den Panama Papers und den Paradise Papers interessiert
sich kein Mensch mehr für die Doppel-P-Papiere. Für die allermeisten von
uns werden die Pandora, Panama und Paradise Papers erst interessant, wenn
das Toilettenpapier wieder zur Neige geht und man was zum Abwischen
braucht.
Dabei hat man schon bei der Namensgebung versucht, uns einfachen Leuten die
Bedeutung dieser Leaks klarzumachen: Pandora rührt von der Büchse der
Pandora her. Das war eine alte Schachtel, die eine noch ältere Schachtel
geöffnet hat, aus der laut griechischer Mythologie alles Schlechte in die
Welt gekommen ist, beispielsweise Krankheit, Schmerz und Promi Big Brother.
Aber woher sollen wir einfachen Leute das wissen?
## Ach, es ist kompliziert
Bei „Pandora“ denken wir an die wundervoll-fantastischen 3-D-Welten aus
James Camerons „Avatar – Aufbruch nach Pandora“. Vielleicht wäre daher
„Palpatine Papers“ ein besserer Name gewesen, benannt nach dem superbösen
Star-Wars-Imperator Sheev Palpatine. Den kennen wir immerhin, aber das
blicken dann andere wieder nicht. Ach, es ist kompliziert.
Aber wenn uns schon der Name verwirrt, wie sollen wir dann den Inhalt
kapieren? Wir halten ja sogar Friedrich Merz für einen Wirtschaftsexperten.
Sicher, die Sache geht uns schon irgendwie was an. Steuereinnahmen, die
Deutschland und Europa durch diese Offshore-Scheiße verlieren, muss ja
indirekt jede und jeder von uns bezahlen. Wenn neben uns in der Kneipe
einer aufspringt, ohne zu zahlen wegrennt und der Wirt sich aufregt, rufen
wir ja auch nicht: „Ach, Wirt, reg dich ab, ich begleich das.“
Doch genauso wenig kämen wir auf die Idee, dem Zechpreller
hinterherzujagen, weils uns dann doch zu egal ist. Betroffen wären wir
persönlich erst, wenn der Wirt die Kneipe wegen derartigen Finanzbetrugs
schließen müsste, aber der Laden läuft auch so. Saufen wir nächstes Mal
drei Bier mehr, unsere Leber schafft das schon.
Die gute Nachricht: Stand jetzt handelt es sich um einen Finanzskandal, in
den weder die CDU noch Olaf Scholz verstrickt ist. Wobei es für die
Christdemokraten einen kleinen Haken gibt: Unter anderem taucht in den
Pandora Papers der Name Ilham Aliyev auf, der ist Präsident von
Aserbaidschan, und der gehört ja mittlerweile zur korrupten Unionsfamilie.
Über Briefkastenfirmen hat Aliyev mit seiner Sippe Immobilien in London für
550 Millionen Euro gekauft. So erwarb der Sohn des Präsidenten 2009 ein
Haus für 33 Millionen Pfund. Er war damals 11 Jahre alt, also sehr früh
sehr geschäftig. Gewissermaßen der aserbaidschanische Christian Lindner.
Im Alter von 11 Jahren ein Haus für 33 Millionen besitzen – mit harter
Arbeit und Disziplin kann das jeder schaffen, aber viele investieren ihr
Geld in diesen jungen Jahren lieber in Fruchtgummis und saure Zungen beim
Bäcker um die Ecke. Selbst schuld.
In den Dokumenten begegnen uns überdies auch Namen, die nicht allzu große
Bestürzung auslösen sollten. Silvio Berlusconi etwa. Um den hätte man sich
ganz sicher eher Sorgen gemacht, wenn er nicht genannt worden wäre.
Außerdem noch einige Leute aus dem Umfeld von Wladimir Putin sowie der
König von Jordanien und sogar eine deutsche Person.
## Die Leni Klum der 90er Jahre
Kleines Ratespiel: Wer könnte das sein? Christian Lindner, Carsten
Maschmeyer, Frank Thelen? Fast, es ist Claudia Schiffer! Das fitte Altmodel
sagt aber, es sei alles legal, sie habe sich an wirklich sämtliche
Vorschriften und Gesetze gehalten. Stimmt bestimmt, vermutlich wollte
Schiffer über die Pandora Papers nur mal wieder in die Schlagzeilen. Oder
aufs Cover. Für die Jüngeren: Claudia Schiffer war so etwas wie die Leni
Klum der 1990er Jahre.
Und in der Tat: Gesetzeswidrig sind Briefkastenfirmen nicht unbedingt. Das
ist einfach unser geiles System, das wir so sehr lieben, dass wir auch
nächstes Mal wieder CDU oder Olaf Scholz wählen. It’s the economy, baby!
Briefkastenfirmen sind demnach wie Camp-David-Shirts oder SUV-Fahren: Nicht
direkt verboten, aber man wird in der Öffentlichkeit trotzdem dafür
geächtet.
Weitere illustre Persönlichkeiten aus der Pandorabüchse: Shakira, Julio
Iglesias, Queen Elizabeth – und Pep Guardiola! Den muss man aber in Schutz
nehmen, der hat sich wahrscheinlich in seiner Zeit beim FC Bayern einfach
nur von Uli Hoeneß beraten lassen.
Falls Sie sich nun fragen: Warum steht mein Name eigentlich nicht in diesen
Dokumenten? Wieso profitiere ich Idiot nicht von Steuersparmodellen der
Britischen Jungferninseln? Die Antwort: Sie haben für derlei Unternehmungen
weder Zeit noch Geld, weil Sie etwas haben, wovon die Queen nur träumen
kann – eine richtige Arbeit. Sie brauchen Ihren Briefkasten nur für
Aldi-Werbung und Ikea-Katalog.
Wir haben uns so weit in die kapitalistische Wüste treiben lassen, dass
Steueroasen auf uns wie etwas aus einer anderen Galaxie wirken. Im
Gegensatz zu James Cameron starten wir sicher keinen Aufbruch nach Pandora.
Das soll freilich nicht heißen, dass sich mehr als 600 Journalisten umsonst
durch 3 Terabyte und 12 Millionen Dokumente gekämpft haben. Wobei, doch, im
Grunde schon.
15 Oct 2021
## AUTOREN
Cornelius Oettle
## TAGS
Steueroasen
Panama Papers
Luxus
Kolumne Die Wahrheit
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Soziale Medien
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Redewendungen
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