Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Send in the Clowns – aber dalli!
> Täglich zeigt das UK neue Mangelerscheinungen. Ausgerechnet Nordirland
> gebricht es neuerdings an Spaßmachern.
Bild: Bislang galten die weltweit auftretenden Witzbolde nicht gerade als bedro…
Gähnende Leere in der Manege des Zirkus Fluffy Puffy, der zurzeit auf
Tournee und in der nordirischen Stadt Lisburn zu Gast ist. Der Grund: Es
ist Mittagspause. Doch auch später am Abend wird es hier kein schallendes
Gelächter geben. Der Zirkus hat keinen Clown mehr im Ensemble. Und mit
diesem Problem ist er nicht allein: Die Pandemie hat auf der Insel zu einem
Personalmangel in der Unterhaltungsbranche geführt: Nordirland befindet
sich in einer Clownskrise.
Während derzeit in England vor allem nach Personen gesucht wird, die einen
Lkw fahren dürfen, zum Beispiel alte Deutsche mit noch älterem
Führerschein, häufen sich in Nordirland Stellenausschreibungen, die sich so
lesen: „Ihr Profil: Sie sind lustig, ein bisschen ungeschickt und hauen
gern mit Gummihämmern um sich.“ Während des Lockdowns haben viele
arbeitende Menschen Nordirland verlassen, um die Zeit in ihrer Heimat zu
verbringen. Einige sind gleich dortgeblieben. Unter ihnen auch etliche
Rotnasen. Wohin man in Nordirland schaut: Weit und breit findet sich kein
einziger witziger Mensch, es ist wie beim Deutschen Comedypreis auf Sat1.
## Welkende Spritzblumen
„Ein Zirkus ohne Clown ist wie eine Kirche ohne Jesus“, meint die
Dompteurin Aeryn Ó Ceallaigh, deren Namen wir zum Glück nicht aussprechen
müssen, weil es sich hier um eine reine Textreportage handelt. Im nächsten
Moment bedeutet Ó Ceallaigh ihrem fauchenden Tiger, zurück in seinen Käfig
zu springen, und lässt dabei die Peitsche auf den Boden zischen. „Sorry,
falls er Sie erschreckt hat, ich schließe den Käfig sonst immer ab. Aber
zurzeit haben wir so viel Stress, dass ich es manchmal vergesse.“
Seit kein Clown mehr am Zirkus Fluffy Puffy ist, seien nicht nur die
Vorstellungen weniger unterhaltsam geworden. Auch das Leben der anderen
Künstler ist trist. Laut Ó Ceallaigh haben die Leute am Zirkus zwar
allesamt beeindruckende Fähigkeiten, aber so richtig komisch sei wohl
niemand. „Mir liegt das Witzeerzählen nicht so. Der Direktor interessiert
sich hauptsächlich fürs Geld. Die Reiter stehen nur auf schlechte makabre
Wortwitze und reiten die dann tot. Und Artisten kennen sich zwar mit
Fallhöhe aus, lassen die Pointe aber immer hinten runterfallen.“
Es ist eigentlich kaum zu glauben, dass es einem von Boris Johnson
geführten Königreich an Clowns mangeln soll. Doch die Zeichen sind
untrüglich: In den Supermärkten vergammeln die Bananen, weil keine Clowns
mehr einkaufen, die vor allem die Schalen zum Ausrutschen brauchen. In den
Scherzartikelläden verwelken die Spritzblumen. Und in Schuhgeschäften
stapeln sich die Kartons ab Größe 65. Die nordirische Wirtschaft leidet,
der Clownsmangel zieht einen gewaltigen Rattenschwanz nach sich. Das Ausmaß
der Krise ist nicht mehr lustig.
## Lachen im Katastrophengebiet
Um auf die Misere aufmerksam zu machen, haben bekannte Musiker Nordirlands
sich nun zu einem Benefizkonzert verabredet: 24 Stunden lang wollen sie in
Belfast „Send in the Clowns“ singen, bekannt durch die Interpretation Frank
Sinatras. Ein Notruf an Europa und die ganze Welt.
Aus deutscher Perspektive könnte man zunächst fragen: Was geht uns der
Clownmangel in Nordirland an? Wir haben eigene Probleme, die
Kellnerknappheit zum Beispiel. Doch in einer globalisierten Welt kann der
Flügelschlag eines Taubenschwänzchens in Südamerika für einen Tsunami in
Flensburg sorgen. Ähnlich verhält es sich in dieser Angelegenheit: In
Deutschland dürfte die Regierungsbildung aufgrund der Personalflaute in der
nordirischen Entertainmentbranche nun deutlich schneller vorangehen, weil
jetzt klar ist, dass es doch noch einen Job für Armin Laschet gibt. Dass er
das Zeug für die Bespaßung von Menschenmassen hat, hat Laschet im Wahlkampf
mehrfach bewiesen. Auch sein schwarzer britischer Humor, das Lachen in
Katastrophengebieten, qualifiziert ihn. Hier könnte die Bundesrepublik also
Abhilfe schaffen. Auch nach dem Brexit muss Europa zusammenhalten.
Doch ein scheidender CDU-Chef allein wird kaum ganz Nordirland belustigen
können. Aus Verzweiflung werden in den dortigen Zirkussen testweise die
ersten Leute eingestellt, die vor ein paar Jahren noch als Horrorclowns für
Schlagzeilen gesorgt haben. „Neulich hatten wir so einen zum Probearbeiten
da“, erzählt Ó Ceallaigh, „aber der Typ war einfach nur gruselig.“
Vorerst werden sich die Zirkusfans in Nordirland daher mit der Situation
abfinden müssen. Der Zirkus Fluffy Puffy setzt darauf, dass seine anderen
Künstler den Wegfall der Clowns kompensieren und während ihrer Einlagen en
passant den einen oder anderen Witz machen. „Ab und zu erzähle ich auch
einen, um es vor dem Publikum zu überspielen, wenn mein Tiger mal wieder
nicht so will. Kennen Sie zum Beispiel den?“, fragt Dompteurin Ó Ceallaigh
uns zum Abschied: „Was macht ein Dieb im Zirkus? Clown!“ Die Lage in
Nordirland ist ernst.
8 Oct 2021
## AUTOREN
Cornelius Oettle
## TAGS
Die Wahrheit
Schwerpunkt Brexit
Nordirland
Zirkus
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Soziale Medien
Steueroasen
Redewendungen
Sex
Gedicht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Wartezimmer statt Kneipe
Seit der Pandemie gibt es plötzlich Small- und Longtalk im Vorzimmer des
Hausarztes. Manch einer und eine findet gar nicht mehr heraus aus der
Praxis.
Die Wahrheit: Vom Alter rasiert
Black Friday bei Amazon? Oder doch good old fashioned in die Innenstadt zu
Karstadt, um sich Rasierer für Kopf und Bart zu kaufen?
Die Wahrheit: Rompelpompel Smombiebompel
„Was Sie aber eventuell noch nie gehört haben, ist das Wort ‚Bompel‘. Ich
zumindest kannte es nicht…“ Bekenntnisse eines Autors auf Sprachsuche.
Die Wahrheit: Neues vom Internet: die Meta-Kritik
Mark Zuckerberg benennt Facebook um, Trump gründet sein eigenes soziales
Netzwerk – aber der Internetstandort Deutschland ist allen voraus.
Die Wahrheit: Kein Aufbruch nach Pandora
Der allerneueste Leak bietet auch die Woche noch eine Menge Klolektüre mit
edler Prominenz – und darunter sogar einen deutschen Namen.
Die Wahrheit: Tot überm Zaun
Sterben möchte man in wenig gelittenen Ortschaften nicht gerade. Aber wozu
gibt es sonst beispielsweise das niedersächsische Seesen?
Die Wahrheit: Mutmaßungen über Schleuser
Wenn sich Stuttgarter urlaubstechnisch auf die Mebusepla, die Mecklenburger
Seenplatte, verirren, geht das Kopfkino aber sowas von los.
Die Wahrheit: Lieber ohne Lithium
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die geneigte
Leserschaft an einem Poem über moderne Verkehrspolitik erfreuen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.