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# taz.de -- Mehrere Tote im Libanon: Gewalt versetzt Beirut in Angst
> Bei Schießereien in Beirut sind fünf Menschen getötet worden. Hintergrund
> ist ein Streit über die Ermittlungen zur Explosion im Hafen von Beirut.
Bild: Tote und Verletzte bei Protesten in Beirut
Beirut taz | Bei Auseinandersetzungen in Beirut sind mindestens fünf
Menschen getötet und 30 verletzt worden. Anhänger der schiitischen Parteien
Hisbollah und Amal waren am Donnerstag auf die Straßen im Süden der
libanesischen Hauptstadt gegangen, um für die Absetzung von Richter Tarek
Bitar zu protestieren.
Dieser ist für die Untersuchung der Explosion am Hafen von Beirut
zuständig. Die Demonstrierenden wurden von bisher unidentifizierten
Scharfschützen von Häuserdächern aus angegriffen. Auf Videos waren zudem
Männer zu sehen, die mit Maschinengewehren durch die Straßen liefen und
schossen.
Grund für die wohl parteipolitische geprägte Gewalt ist die juristische
Aufarbeitung der Beiruter Explosion. [1][Am 4. August 2020 war unsicher
gelagertes Ammoniumnitrat im Hafen explodiert.] Noch immer ist der genaue
Hergang nicht aufgearbeitet worden. Kein hochrangiger Politiker wurde zur
Verantwortung gezogen.
Dabei ist aus Berichten von ausländischen Journalist*innen und
internationalen Untersuchungen bekannt, dass viele ranghohe Politiker über
das unsicher gelagerte Ammoniumnitrat Bescheid wussten – sogar der damalige
Regierungschef Hassan Diab und Präsident Michel Aoun.
Bitar hatte zuletzt zwei Ex-Minister zur Vernehmung vorgeladen. Daraufhin
klagten diese und forderten seine Absetzung. Auf richterliche Anordnung
hatte Bitar seine Ermittlungen am Dienstag vorläufig unterbrechen müssen,
doch am Donnerstag entschied das Kassationsgericht, dass er weiterermitteln
darf.
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah warf Bitar vor, voreingenommen zu sein.
Andererseits verwehrt sich die Hisbollah, die Partei und Miliz in einem
ist, einem internationalen Strafverfahren. Angehörige der Explosionsopfer
haben Bitar öffentlich ihr Vertrauen ausgesprochen.
Bitar ist nicht der erste mit dem Fall betraute Richter. Seinem Vorgänger,
Fadi Sawan, wurde der Fall entzogen, nachdem Ex-Bauminister Ghazi Zeiter
und der schiitische Ex-Finanzminister Ali Hasan Khalil gegen ihn klagten –
dieselben Politiker, die auch Bitar zu Fall bringen wollten. Sie
bezichtigten Sawan, nicht objektiv zu sein, da sein Haus bei der Explosion
zerstört wurde.
## Panik unter Stadtbewohner*innen
Die jüngste Gewalt kann als Ablenkungsmanöver gewertet werden. Dennoch
sorgten die Schusswechsel für Aufruhr und Angst. Rund um den
Verkehrskreisel Tayouneh und angrenzende Nachbarschaften mussten die
Menschen zu Hause bleiben. Einige schlossen aus Angst Tür- und
Fensterläden. Eltern kamen panisch an die Schulen, um ihre Kinder zu
evakuieren, die zuvor in Fluren ausharren mussten. Lokale Medien
berichteten, dass Bewohner*innen höherer Stockwerke in ihre Keller
stiegen, um Schüssen von Scharfschützen zu entgehen.
Die Menschen werden an die Traumata des Bürgerkriegs (1975–1990), des
Kriegs mit Israel (2006) oder an sektiererisch geprägte Straßenschlachten
2008 erinnert. Die Gefechte zwischen konfessionell verfeindeten
Parteianhängern verliefen am Donnerstag entlang der Straße, die im Krieg
einst das mehrheitlich christliche Ost- und muslimische Westbeirut trennte.
„Was heute passiert ist, ist die Folge dessen, was nach dem Bürgerkrieg
passierte“, sagt Ziad Saab, Vorsitzender der [2][Organisation Fighters for
Peace]. „Nach dem Krieg gab es keine Aufarbeitung. Es gab nur ein
Amnestiegesetz, das alle Beteiligten von ihrer Schuld freisprach.
Gleichzeitig fanden die ehemaligen Milizenführer Wege, ihre eigene
Regierung zu errichten.“ Der 63-Jährige hat als Jugendlicher selbst im
Krieg gekämpft, setzt sich heute aber für Aussöhnung ein.
Warum glauben junge Männer noch immer, straffrei schießen zu können?
„Trauma kann von einer Generation zur nächsten transferiert werden“,
erklärt Saab am Telefon. „Sie haben von der Gesellschaft und ihren
Großeltern all die Informationen bekommen, sodass sie bereit sind,
gewalttätig zu werden im Namen ihrer sektiererischen Religion.“
Der zweite Grund sei, dass sie keine Angst vor Konsequenzen hätten. „Sie
denken, genug Macht zu haben, um nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Einige Parteien glauben, sie stünden über dem Gesetz.“ Um dies zu ändern,
brauche es einen neuen Gesellschaftsvertrag, glaubt Saab. Mitglieder der
Gesellschaft müssten das Gemeinwohl im Blick haben, statt sich
konfessionell geprägten Gruppen zu beugen.
14 Oct 2021
## LINKS
[1] /Explosion-im-Libanon/!5705536
[2] /Libanesischer-Ex-Geheimdienstchef/!5073603
## AUTOREN
Julia Neumann
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